Kultur, Nach(t)kritik

Scheibe Zwei? Jabitte!

Jabitte! Nach dem erfolgreichen Erstling „Scheibe Eins“ der bayrischen Volksmusik-Combo Zwirbeldirn, ist jetzt auch die zweite Platte „jabitte“ auf dem Markt und wurde in einem kochenden, vollgestopften Milla-Club präsentiert.

Foto: Laura Spes.

Foto: Laura Spes.

Man fühlt sich wohl, wenn im Milla-Club, zu einer Art Stüberl umfunktioniert, in „kuscheliger“ Atmosphäre wirtshauserprobte Volksmusik dargeboten wird. Doch die Geduld (und das Atemvermögen) der Zuhörer wird zunächst einmal auf die Probe gestellt:

Der offiziell angesagte Beginn des Konzertes um 21 Uhr kann nicht eingehalten werden, da sich ein Lindwurm von Menschenschlange die Holzstraße hinunterwindet – es dauert bis nach halb zehn, bis jeder einzelne mit Karten und Bier versorgt bzw. wieder weggeschickt ist. Die Ensemblemitglieder werden vom sardinenbüchsenartig überfüllten Club mit Jubel empfangen: Evi Keglmaier, Maria Hafner und Beatrix Wächter an Geige, Gesang und Bratsche, sowie Simon Ackermann an Kontrabass und Ukulele.

Es ist Tanzmusik!

Zu Beginn kreisen Zwirbeldirn die Thematik ein: „Woid, Alm, Wuid, Dirndl, Jaga, Bixn, Schiaßn… Mit diesen Begriffen ist etwa 80% unseres Kanons inhaltlich abgedeckt.“ Von Rumänien über Österreich bis in den Nahen Osten, sprich Niederbayern, reicht das musikalische Repertoire und ist mit dadaistischen Texten durchsetzt, die in ausgereiftem Dreigesang mal sanft, mal grob daherkommen und steht damit in Traditionslinie zu „Scheibe Eins“.

Diesmal jedoch haben Zwirbeldirn nichts Neues komponiert, sondern lediglich alte Melodien und aufgeschnappte Texte neu aufpoliert. Zudem wurde Archivforschung in familieneigentümlichen Liederhandschriften betrieben. Das Ergebnis? Keine gesetzte Stubenmusik, wie man vermuten könnte, sondern tanzbar Wildes mit zur Einsilbigkeit neigenden Texten: „He Dianei!“ und „Jagastüberl!“ (bereits auf „Scheibe Eins“).

Foto: Laura Spes.

Foto: Laura Spes.

Eine ungestüme Tanzparty ist das Konzert trotzdem nicht, denn es wird geliebt und gelitten. Ein „trauriger Bua“ klagt, dass sein „saubers Dirndl“ ihn versetzt habe und beschließt sich aufzuhängen, „dodadara“ – nur leider reißt der Strick! Einem anderen ist die Geliebte untreu geworden. Da zetern die Geigen, da schluchzt die Bratsche melancholisch vor sich hin. Die zuvor exaltierten Jodler münden in zartere Timbres.

Lange hält die Trauer allerdings nicht an und weicht einem Lob auf bayrische Trink- und Esskultur, die man nur ungern gegen himmlische Nektar- und Ambrosia-Kost eintauschen möchte: „Zum Herrgott hob i gsagt, i dank, hams denn herom koan Bierausschank?!“ Dazu werden der Zwirbeldirnschen Speisekarte gemäß Knödel serviert, denn „Pfannis Knödel sind ’ne runde Sache!“ und nach Zwirbeldirn explizit förderlich für ein glückliches Befinden: „Mach’ mir Pfanni-Knödel bis ich platz’!“

Stimmlich gewachsen

Stimmlich ist das Ensemble im Vergleich zu früheren Konzerten voller und einheitlicher geworden, der Dreigesang ist zu hoher Präzision gereift. „Der Klangkörper wächst zusammen.“, sagt Evi Keglmaier, die auch bei der Singermaschin spielt. Die drei Damen entfalten ihre Stimmen in Sopran, Mezzo und Alt auf dem Bass-Fundament Ackermanns, der streichend, slappend, Pizzicato zupfend und schweigend alle Entgleisungen auffängt und hin und wieder versonnen lächelt.

Foto: Laura Spes.

Foto: Laura Spes.

„Es geht um lebendiges Musikmachen. Das ist, was mir am besten gefällt.“, sagt Evi Keglmaier. Allerdings ist es Restaurations- und Aufklärungsarbeit zugleich. Das miserable Bild von Volksmusik, das in der gegenwärtigen Gesellschaft durch diverse Perversionen Nahrung findet, soll zu Grabe getragen werden und Platz für eine neue Perspektive schaffen. Neu? Sagen wir, ursprünglich.

Denn was ist Volksmusik? Musik für das Volk, die ureigenste Form von Musik, die aus dem kollektiven Gedächtnis immer wieder geboren und im Volk bewahrt wird. Zahllose Komponisten und Lyriker versuchten die Volksmusik einzubinden, sich vom Volkslied inspirieren zu lassen. Jene Dimension des Volksliedes bleibt allerdings unerreicht. Dem zollen Zwirbeldirn Respekt, indem sie die Tradition der Volksmusikanten fortführen, alte Lieder neu entdecken. Jabitte!

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Erwerben kann man „jabitte“ seit dem 24.10.14 für 15€ bei Zwirbeldirn im Konzert, bei Trikont und überall wo es Scheiben gibt.

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