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„Ich wäre gerne so trotzig wie meine Hauptfigur“ – Stefan Sommer über seinen Debütroman Trabant

Seit er „Trabant“ veröffentlicht hat, ist Stefan Sommer häufig auf Lesereisen. Zwischen zwei solchen Terminen haben wir den Autor in München zum Interview getroffen. Am 25.04. liest er im Rauch & König aus seinem Coming-of-Age Roman. 

„Namen machen Leute“ besagt ein altes Sprichwort. Folgt man Stefan Sommers Debütroman, dann müsste man das eher anders formulieren: Namen können Leute ganz schön verrückt machen. Als dessen Protagonist Georg Himmel eine SMS seines Vaters erhält, die an eine „Lisa“ adressiert ist, gerät sein Leben gedanklich aus den Fugen. Wer ist die ominöse Lisa? Hat sein Vater eine Affäre oder ist er vielmehr todkrank? Alles scheint möglich und der Vater ist nicht mehr erreichbar. Weil Fragen wie diese nach Antworten verlangen, begibt er sich auf eine lange Autofahrt und die Leser*innen mit ihm.

Worum es in „Trabant“ außerdem geht und wie es zur Veröffentlichung seines ersten Buchs kam, hat uns der in München lebende Autor und Journalist Stefan Sommer (u.a. PULS und SZ) im Interview verraten.

Übers Hadern und Trotzen – Stefan Sommer im Interview

Hey Stefan, du kommst gerade von der Buchmesse Leipzig. Wie war’s dort als Roman-Debutant?

Es war meine erste Buchmesse. Ich glaube, ich habe die Branche an den vier Tagen von jeder Seite gesehen. Von den sehr schönen bis zu den sehr einschüchternden Momenten. Ich war auf der Messe, auf den Partys, habe mehrmals gelesen und viele Leute kennengelernt. Es war sehr aufregend, aber auch sehr anstrengend.

Kommen wir zu deinem Roman, was ja der Grund war, weshalb du in Leipzig warst. Worum geht es in „Trabant“?

In Trabant geht es um einen jungen Mann namens Georg, den aber alle nur „Juri“ nennen, weil er sich für Sterne interessiert und eine enge Verbindung zum Astronauten Juri Gagarin hat. Im Roman fährt er in einem alten Opel Corsa von einer Hochzeit in Kroatien nach Deutschland zurück.

Während dieser Autofahrt denkt er eine Nacht lang über sich und seine Familie nach. Er fragt sich, wer seine Eltern eigentlich sind. Ob seine Kindheit, sein Aufwachsen, seine Jugend – ob das alles so war, wie er es in Erinnerung hat, oder ob er sich das viel zu romantisch im Kopf behalten hat. Er malt sich Szenarien aus, was zuhause nicht alles kaputt gegangen sein könnte: Der Vater habe eine Affäre oder sei ein unentdeckter ostdeutscher Agent oder die Eltern hätten sich das Leben genommen.

Wie kam dir die Idee zu dieser Geschichte?

Vor etwa zehn Jahren saß ich selbst einmal nachts im Auto und musste darüber nachdenken, wie die Dinge für mich so laufen. Es hatte damals nichts mit meinen Eltern zu tun, aber ich habe lange nachgedacht. Diese Angst, diese Panik, in einem Auto zu sitzen und eine Nacht durchzufahren – nach und nach verschieben sich die Erinnerungen an Ereignisse und man fragt sich, ob sie sich wirklich so abgespielt haben – das ist die Grunderfahrung, die diesen Roman antreibt.

Kannst du uns mehr über den Entstehungsprozess erzählen: Wie nahm das Buch Gestalt an seit diesem Moment?

Zuerst habe ich eine Kurzgeschichte geschrieben und dachte, ich könnte bestimmt einen Roman daraus machen. Dann vergingen viele Jahre, in denen ich das versucht habe. Nach und nach musste ich merken, dass dazu mehr Handwerk und Wissen gehört, als ich es anfangs hatte. Ich dachte, es geht sehr einfach. Turns out: Es war nicht sehr einfach.

Irgendwann aber wusste ich, wer die Hauptfigur sein würde, was sie sagt und wie sie sich in Szenen verhalten würde. Dann ging es einfacher.

Wie kam es dazu, dass der Roman wirklich publiziert wurde?

Über die Jahre konnte ich Gott sei Dank immer wieder mit Freund*innen darüber sprechen – auch in Phasen, wo dieser Text ziemlich albern und sehr eitel war. In diesen Gesprächen habe ich gemerkt, dass sich Sachen daran ändern müssen. Später habe ich die Berliner Literaturagentur Petra Eggers gefunden, die tolle Leute vertritt und einen Verlag für mich finden wollte, aber mein Weg zum Otto Müller Verlag kam dann nochmal ganz anders. 

Über drei Ecken kenne ich Ann Marwan (Bachmannpreisträgerin 2022 – Anm. d. Red.), die Autorin in diesem Verlag ist. Ich habe ihr meinen Text geschickt. Eines Nachts hat sie mir geschrieben, dass sie den Text jetzt endlich gelesen hätte und ihn gerne ihrem Verlag zeigen möchte. 

Eine Woche später saß ich in Salzburg und habe einen Vertrag unterschrieben. Auf dem Sofa, auf dem anscheinend Thomas Bernhard auch seinen ersten Buchvertrag unterschrieben hat.

Wolltest du schon immer Romanautor werden?

Seit etwa zehn Jahren habe ich die Idee, dass ich gerne einen Roman schreiben würde. Irgendwann habe ich angefangen, mich für Bücher zu interessieren, später Germanistik studiert und viel gelesen. Ich hatte dann den Wunsch, Dinge einmal so zu erzählen und auszudrücken, wie ich es möchte.

Jetzt, wo das Buch erschienen ist, könnte ich mich daran gewöhnen. Ein zweites, drittes Buch wäre sehr schön – sicher auch anstrengend und schrecklich – aber ich glaube, das ist, was ich machen möchte.

Du arbeitest hauptberuflich als freier Journalist. Wie hat sich dieses Leben seit dem Buch-Release verändert?

Die ehrliche Antwort ist: Ich mache das weiterhin tagsüber. Und abends und am Wochenende bin ich im ICE unterwegs auf Lesungen. Geändert hat sich also, dass die Arbeit abends und am Wochenende nicht mehr aufhört in so einer Promophase.

Gehen wir nochmal ins Buch: Dein Protagonist Georg erhält eine fehlgeleitete SMS seines Vaters. Daraufhin beginnt er, seine Familiengeschichte anzuzweifeln und verlässt im Affekt die Hochzeit seines besten Freundes. Ist er ein großer Zweifler?

Georg ist ganz viel auf einmal und bestimmt auch ein Zweifler. Er ist jemand, der das Schöne und das Romantische in Dingen sehen kann und der naiv ist. Er kann Dinge bedingungslos schön und großartig finden. Aber er ist auch jemand, der ängstlich ist und die Dinge auf den Kopf stellen muss, weil er wenig für sicher hält und einfach zu verunsichern ist.

Sollte er besser mehr Vertrauten haben – könnte das ein Plädoyer des Buches sein?

Das ist eine schwierige Frage. Georgs Zweifel, ob die Welt um ihn herum wirklich so existiert, wie er sie sich vorstellt, bringen ihn in dieser Nacht in eine schwierige Situation und machen ihm das Leben schwer. Aber er und seine Eltern kommen in diese Situation, weil sie ein Leben lang nicht richtig miteinander reden konnten. Ich glaube, dass ein großer Teil des Zweifelns und Haderns daher rührt, dass Dinge nicht ausgesprochen wurden und unklar sind.

Wenn der Text ein Plädoyer ist, dann dafür, dass diese Figuren einen Weg finden sollten, ehrlicher miteinander zu reden – auch über Dinge, die unangenehm oder belastend sind.

Ein Trabant ist ein Himmelskörper im Weltall, der einen Planeten auf festen Bahnen umkreist. Ist das ein Sinnbild für die Eltern-Kind-Beziehung im Buch – kreist Georg trotz der kommunikativen Probleme zu nahe um seine Eltern?

Er ist keine Person, die sich leichtfüßig im Sozialleben bewegt. Er hat ein sehr enges Verhältnis zu seinen Eltern, da sie ganz oft umgezogen sind. Deswegen waren sie immer der Fixpunkt für ihn. Und dieses System, in dem er sich so wohl gefühlt hat und das er total braucht, steht plötzlich in Gefahr. 

Diese Nacht, die im Roman beschrieben ist, treibt aber einen Entwicklungsprozess bei ihm voran, den vielleicht viele Menschen mit Mitte dreißig kennen. Das Verhältnis zu den Eltern ändert sich: vom beschützten Kind wird man zur Person, die sich selbst Sorgen macht und sich kümmert.

Was können wir von deinem Protagonisten lernen oder was hast du vielleicht selbst von ihm gelernt?

Was ich an Georg eigentlich am meisten mag, ist, dass er einerseits ein zurückhaltender, verschüchterter Junge ist, der auf der anderen Seite aber eine wahnsinnig trotzige Person sein kann. Die Figur hat sich mir über den Trotz erschlossen.

Ich glaube, das ist eine Eigenschaft, die ich mir für mich wünschen würde – so aufbrausend und wütend und trotzig zu sein.

Lass uns einen Blick aufs Buchcover werfen. Der Blick von dem Jungen in der Badewanne hat mich ein bisschen verfolgt. Er strahlt etwas Beklemmendes, aber auch Faszinierendes aus – so als ob er mich als Leser*in genau im Blick hat. Wie kam es zu dieser Wahl?

Das Bild stammt von der kanadischen Malerin Nancy Friedland. Ich habe es rein zufällig auf Instagram gefunden. Sie hat ganz viele Bilder gemalt, die warum auch immer aussehen wie Motive oder Szenen aus meinem Buch. 

Ich kenne sie nicht und sie lebt am anderen Ende der Welt, aber ich habe dieses Bild von dem Jungen in der Badewanne gesehen und wusste sofort, das ist das Bild, das auf dieses Buch muss.

Er sieht aus, wie ich ihn mir vorgestellt habe, er guckt, wie er gucken würde. Viel von der Atmosphäre, die das Buch vermitteln soll, steckt in diesem Bild. Glücklicherweise sah das der Verlag ähnlich. Sie haben die Malerin kontaktiert und Friedland hat mir danach eine sehr nette Email aus Kanada geschrieben, dass sie das Buch auf deutsch zwar nicht lesen kann, aber das Cover sehr schön findet.

Ich habe ihr dann eine kurze Inhaltsangabe auf Englisch geschrieben und sie versucht jetzt einen Weg zu finden, das doch lesen zu können. Das hat mich sehr gerührt, muss ich sagen.

Noch eine persönliche Frage. Im Buch taucht immer wieder der Stern „Beteigeuze“ auf, der für Georg große Bedeutung hat. Glaubst du an Horoskope oder an die Möglichkeit, dass Sterne irgendetwas mit unserem Glück zu tun haben könnten?

Das ist jetzt ein Zufall: Vor zwei Wochen habe ich für eine Zeitung einen Text über meinen astrologischen Zwilling geschrieben und mich intensiv mit der Frage beschäftigt, ob Sternenkonstellationen tatsächlich etwas mit dem eigenen Schicksal zu tun haben können. Ich habe das immer für Blödsinn gehalten. Und nun habe ich mit vielen verschiedenen Wissenschaftler*innen darüber gesprochen, die am Ende ebenfalls sagten: Es ist tatsächlich Blödsinn. 

Den im Buch beschriebenen Stern gibt es aber wirklich. Im Jahr 2019 sah es fast so aus, als würde er verglühen und als Supernova explodieren. Es gab hysterische Nachrichten darüber, weil er an Helligkeit verlor, aber irgendwie hat er sich wieder gefangen, dieser Stern. Und jetzt leuchtet er heller als je zuvor. Am Ende ist das auch ein bisschen die Geschichte des Buches.

Autorengespräch, Lesung und Verlosung!

Trabant ist im Otto Müller Verlag erschienen und im Buchhandel erhältlich. Am 25. April findet ab 19.30 Uhr ein Autorengespräch mit Lesung in der Buchhandlung Rauch & König statt – PULS-Moderator Friedl Achten führt durch den Abend.

Unter allen MUCBOOK-Leser*innen verlosen wir 2×1 Exemplar von „Trabant“. Hinterlasst uns einfach einen Kommentar unter diesem Artikel und wenn euer Glücksstern günstig steht, gehört ihr vielleicht zu den beiden glücklichen Gewinner*innen. Ausgelost wird am 2. Mai – checkt dann eure Mails!

Beitragsbild: © Jonas Höschl