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Streit um die Halle 23: „Dieser Ort konnte nie Lösung für alles sein“

Endlich wurden Mieter für die leer stehende Halle 23 im Kreativquartier gefunden. Aber: Stadträt:innen und Stimmen aus der Kulturszene beklagen einen intransparenten Vergabeprozess. Und fordern jetzt Aufklärung.

Kurz vor Silvester unterschrieb die neu gegründete „Experimental Exchange GmbH“ den Mietvertrag für das Gebäude auf dem Gelände des Kreativquartiers an der Dachauer Straße. Gerade erst haben die Mieter die Halle 23 bezogen, schon gibt es Stress. Statt Brot und Salz zur Eröffnungsfeier gibt es einen Antrag von zwölf Stadträt:innen, die Aufklärung wollen. Deren Kritik lautet: während des Vergabeprozesses der Halle 23 habe es keine klaren Kriterien, stockende Kommunikation und wenig Transparenz.

Was ist passiert? Warum ist dieses Thema so aufgeheizt?

Der Anfang der Geschichte liegt im November 2019: Das ehemalige Gebäude der Stadtentwässerung wird den Münchner Gewerbehöfen (MGH), einer städtischen Tochtergesellschaft, übergeben. Die Halle befindet sich auf dem Areal des Kreativquartiers an der Dachauer Straße, auf „fünf Hektar Fläche für Ideen und Projekte“. „Für Ideen und Projekte“, das klingt catchy und vage und kann in alle Richtungen ausgelegt werden. Schon 2018 wird die Ausgestaltung des Kreativquartiers gemeinsam diskutiert: wie viel Sub-, wie viel Hoch- und wie viel Stadtteilkultur braucht das Quartier? Oder besser: wie viel davon braucht München?

Die MGH eröffnet zusammen mit dem Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft das erste sogenannte Interessenbekundungsverfahren zu einem Zeitpunkt, an dem Corona Kulturschaffenden einen Strich durch die Rechnung macht: Ende 2020. Dazu kommt: „Die Halle ist in einem herausfordernden Zustand, die Laufzeit der Miete begrenzt auf etwa sieben Jahre und Events sind beispielsweise aus Brandschutzgründen nicht Teil der aktuell genehmigten Nutzung“, erklärt Susanne Mitterer. Sie ist die Leiterin des Kompetenzteams Kultur- und Kreativwirtschaft und damit zuständig für die Vergabe der Halle 23.

Viele Kollektive können sich die Miete von etwa vierzehn Euro pro Quadratmeter schwer leisten. Für andere ist die Laufzeit der Miete für die Halle zu kurz, angesichts der notwendigen Investitionen. Dass die Mieten so hoch sind, liegt daran, dass die MGH wirtschaftlich handeln muss. Das heißt: Sie muss auf dieser Fläche einen Beitrag zu den Sanierungskosten von anderen Gebäuden auf dem Gelände erwirtschaften. Außerdem kann die Halle aus Brandschutzgründen nur komplett vermietet werden – ganze 3.800 Quadratmeter also.

Keines der vorgelegten Konzepte kann damals alle drei Kriterien erfüllen:

1. Eignung des Konzepts mit den Gegebenheiten der Halle,

2. Eignung des Konzepts in der Umgebung und

3. Wirtschaftlichkeit.

Das heißt: Interessent:innen müssen fähig sein, den geforderten Mietpreis zu zahlen, erklärt Susanne Mitterer. Es wird kein Mieter gefunden und Münchner Kulturschaffende drängen auf einen tieferen Mietpreis.

Ein zweites Verfahren startet

Das Verfahren startet erneut, „Interessenbekundungen“ müssen nun bis Ende April 2021 abgegeben werden. Diesmal wird ein Mietpreis von etwa acht Euro festgelegt, der aber über- oder unterboten werden darf. Der Fokus läge weiterhin auf dem inhaltlichen Konzept, zusätzlich müssen die Interessent:innen eine „belastbare Wirtschaftlichkeitsrechnung“ vorlegen. In der Ausschreibung steht: „Zu diesem Zeitpunkt ist noch kein finales Nutzungs- und Wirtschaftlichkeitskonzept notwendig!“ Es habe spannende inhaltliche Konzepte gegeben, die keine Angaben über Finanzierung gemacht hätten, die leider nicht berücksichtigt werden konnten, sagt Susanne Mitterer. Sie beteuert: „Das war von Anfang an klar kommuniziert.“ Gespräche um Rahmenbedingungen habe es mit 25-30 Interessent:innen gegeben.

Ulrich Gläss vertritt die Kooperationsgemeinschaft „Halle 23 – shared space“, einen Zusammenschluss Münchner Kollektive und Vereine. Sie wollen einen offenen Raum schaffen, dessen Ausgestaltung gemeinsam ausgehandelt wird. Eine Art Nachfolgeprojekt der Zwischennutzung „Gabriele“. Auch Common Ground war Teil von „Gabriele“ und will mit in die Halle 23. Einen derartigen soziokulturellen, nicht-kommerziellen Raum, der nicht nur zur Zwischennutzung bespielt würde, gebe es in München derzeit nicht, sagt Joshua Neumann, Mitglied von Common Ground. Seine Meinung: „Es braucht Multifunktionsflächen und nicht poshe Einzelateliers.“

Dann gibt es die Gruppe um Tobias Tzschaschel (kennt ihr vielleicht vom Cucurucu beim Hauptbahnhof), die in der Halle das Zentrum für interdisziplinäre Raum- und Kulturarbeit (ZIRKA) eröffnen möchten. Sie sind auf der Suche nach einem freien Raum, „um kreative Ideen wachsen zu lassen“, indem sie „ein diverses und ambitioniertes Netzwerk unter einem Dach vereinen“ können. Das schreiben sie in ihrem Konzeptpapier. Platz finden sollen in der Halle Ateliers, Ton-, Radio-, Film-, Foto- und Designstudios, Werkstätten, Räume für Workshops und Kulturveranstaltungen und auch Gastronomie.

Was braucht München?

Was mit der Halle 23 geschieht, entscheidet, in welche Richtung sich das Areal an der Dachauer Straße entwickeln wird. Vielleicht ist diese Entscheidung aber schon längst gefallen: Im Herzen des Kreativquartiers hat Susanne Klatten, die reichste Frau des Landes, für 30 Millionen Euro ein „Gründerzentrum“ bauen lassen, das den Namen „Munich Urban Colab“ trägt. Das ist ein hippes, teures und glänzendes Gebäude für Ideen. Im Juni 2021 wurde es feierlich eröffnet, mit dabei waren hoch dekorierte Gäste, unter anderem auch die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen.

Aber zurück zur Halle 23. Für die wünschen sich die einen:

-soziokulturellen Raum für Jugendliche und junge Erwachsene („shared space“),

-die anderen wünschen sich einen Raum für Kultur- und Kreativwirtschaft, mit Labels, Künstler:innen und Gastro (ZIRKA).

-Der Kinder- und Jugendhilfeausschuss drängt darauf, den Raum für soziale Projekte zu nutzen.

-Die städtische Tochter MGH muss Geld erwirtschaften.

Im Frühjahr 2021 hatte die Bewerbergruppe „Halle 23 – shared space“ ihr Konzept eingereicht. Seit diesem Zeitpunkt habe sie nichts mehr von der MGH gehört, so Ulrich Gläss. Im Januar 2022 erfahren sie: Im Dezember 2021 hat die „Experimental Exchange GmbH“ den Mietvertrag mit den MGH unterschrieben.

Wer kann sich (Frei)raum leisten?

Es ist nicht überraschend, dass „Experimental Exchange GmbH“ die neuen Mieter sind: Sie können es sich leisten. Seit Jahren würde im Kreativquartier auf Kreativ- und Kulturwirtschaft gesetzt, meint Joshua Neumann. Platz für Kreativ- und Kulturwirtschaft bedeutet: Platz für Architekten, Labels und Designer aller Art. Natürlich brauchen die auch Platz, sagt er: „Dass wir um diesen Raum konkurrieren, bedeutet aber nicht, dass es zu wenig Platz in München gibt.“ Vielmehr sei es ein strukturelles Problem: „Durch die Pandemie gibt es etliche Leerstände, teils in Bestlagen, die mal mehr oder mal weniger bewusst leer stehen gelassen werden oder bleiben.“ Die Stadt erarbeite erst jetzt, „viel zu spät“, ein Konzept, wie man auf solche Flächen und ihre Inhaber:innen zugeht.

Warum aber werden eigentlich diese beiden Konzepte im Widerspruch zueinander gesehen? Führt nicht das eine zum anderen? „Nicht-kommerzielle Experimentierräume helfen auf lange Sicht doch der ‚Kreativwirtschaft‘“, sagt Neumann und ergänzt: „Du musst dich quasi auf ein Experiment mit dir, dem Umfeld und dem Außen einlassen, was sich bereits der klassischen Logik in der Gesellschaft entzieht und was gleichzeitig eine viel bessere Grundlage für künstlerisches Schaffen ist.“

Junge Künstler:innen können sich Mieten wie jetzt in der Halle 23 schlicht und einfach nicht leisten. Um es mit kapitalistischer Logik zu sagen: Freiraum für junge Künstler:innen zu schaffen, kann als Investment in die Zukunft gesehen werden. Durch das langsame Handeln der Stadt würden mögliche Experimentierräume an die Kreativwirtschaft vergeben – „aus Raumnot, die mit weitsichtigem Handeln sicher aufzulösen gewesen wäre“, sagt Neumann.

Im Jahr 2020 habe im Raum gestanden, ob die Stadt bzw. einzelne Referate Projekte mitfinanzieren oder die Halle anmieten. Angesichts der damaligen Haushaltssituation standen dafür jedoch keine Mittel zur Verfügung, sagt Susanne Mitterer. „Daher mussten wir für die Halle einen externen Mieter suchen, der die Kosten selbst erwirtschaften kann.“

Man könnte auch sagen: die Stadt hat zu wenig Initiative gezeigt.  

Stadträt:innen beklagen zu wenig Transparenz im Prozess

Kurz nach Bekanntgabe der neuen Mieter reichen Vertreter:innen der SPD und der Grünen einen Antrag auf Transparenzmachung der Vergabekriterien ein. Kathrin Abele, stellvertretende Vorsitzende der SPD/Volt-Fraktion, sagt: „Wir haben den Eindruck, dass der Vergabeprozess transparenter ablaufen hätte können. Das Wirtschaftsreferat hat die Halle 23 ohne Rücksprache mit dem Stadtrat und den Bezirksausschüssen vergeben und eigenmächtig die Mietfläche fast halbiert und damit auch die Pachteinnahmen.“

Mona Fuchs, stellvertretende Vorsitzende von Die Grünen – Rosa Liste, bestärkt Abeles Kritik: „Es ist ein Rätsel, wieso das Wirtschaftsreferat eine Nutzung für soziokulturelle Zwecke zunächst mit zu hohen Mieten unmöglich macht, dann aber kommerziellen Nutzern günstigere Bedingungen anbietet, die auch für nicht kommerzielle Bewerber interessant gewesen wären.“ Diesen Kritikpunkt bestärkt Ulrich Gläss: „Wenn es neue Bedingungen gibt, wäre es nur fair gewesen, diese zu kommunizieren.“

Das städtische Referat für Wirtschaft und Arbeit hat jetzt bis 4. März Zeit, um die Anfrage der Städträt:innen zu beantworten.

“Es gab klare Kriterien”

Auf die Kritik antwortet Susanne Mitterer: „Es gab klare Kriterien: Inhalt, Wirtschaftlichkeit und Mietpreis.“ Ein „vorgelagertes K.O.-Kriterium“ sei die Einreichung einer Wirtschaftlichkeitsberechnung gewesen. “Was die Aufgabenverteilung anbelangt: Es ist Auftrag des Kompetenzteams Kultur- und Kreativwirtschaft, Flächen wie die der Halle 23 zu vergeben. Vertrauliche Informationen und Betriebskalkulationen, die aus den Konzeptpapieren hiervorgehen, dürfen nicht veröffentlicht werden”, so Mitterer.

Auf die Frage, ob beim Vergabeprozess etwas falsch gelaufen sei, antwortet Tobias Tzschaschel: „Wir sind überzeugt, mit dem ZIRKA eine Bereicherung für das Kreativquartier und die Kulturszene der Stadt zu sein.“ Die Entscheidung für etwas sei immer auch die Entscheidung gegen etwas, sagt Mitterer. „Es gibt viel mehr Ideen, als es Räume gibt“, sagt sie und widerspricht damit Joshua Neumann, demzufolge das Problem nicht der fehlende Platz sei. Sie sagt: „Das ist ein Kernkonflikt, der sich an der Halle verdichtet, aber größer ist als dieser Ort“. Vorerst wünscht Mitterer sich Offenheit und Neugier für ZIRKA.

Man könnte auch sagen: mehr Brot und Salz.


Beitragsbild: © Tobias Tzschaschel, ZIRKA