Aktionsplan LGBTIQ
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Bayern braucht einen Aktionsplan gegen Trans*- und Homophobie (TW LGBTIQ*-Feindlichkeit)

Yannik Gschnell

Immer mehr Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, inter* und queere Personen in Bayern melden in der LGBTIQ*-Fachstelle gegen Diskriminierung und Gewalt, Strong!, Anfeindungen und Übergriffe. LGBTIQ* erleben in Bayern tagtäglich Gewalt. Die Fachstelle aus dem Schwulen Zentrum Sub fordert deshalb einen Aktionsplan gegen Trans*- und Homophobie. Den gibt es in Bayern nämlich noch nicht.

Steigt die Zahl der LGBTIQ*-feindlichen Vorfälle?

Vorab erstmal ein paar Zahlen aus dem Jahresbericht der Fachstelle Strong!.
Insgesamt wurden allein im vergangenen Jahr 165 Vorfälle gemeldet. Weit über die Hälfte davon fallen in den Bereich Beleidigung, Bedrohung, Tätlichkeiten, sowie sexuelle Übergriffe und Vergwaltigungen. Dem Bericht ist außerdem zu entnehmen, dass von diesen Vorfällen nur 26 bei der Polizei angezeigt wurden. Das begründe sich unter anderem aus der Unwissenheit über die eigene Vorgehensweise nach Übergriffen, sowie der Angst vor weiterer Gewalt. Nicht zu unterschätzen sei außerdem das mangelnde Vertrauen in die Polizei, gespeist durch die Angst vor weiterer Diskriminierung.

Grundsätzlich lässt sich beobachten, dass die Zahl der LGBTIQ*-feindlichen Vorfälle seit den 1990er Jahren zwar nicht kontinuierlich, doch zuletzt sehr stark gestiegen ist. Waren es in 2020 “nur” 101 Vorfälle, so sind die 165 dokumentierten Vorfälle aus 2021 ein neuer trauriger Rekord — und dabei wohl nur die Spitze des Eisbergs. Überdramatisieren will Strong! die Zahlen allerdings auch nicht. Für die Fachstelle ist diese hohe Fallzahl auch ein Beleg für den Erfolg ihrer Arbeit. Das klingt erstmal kontraintuitiv, erklärt sich aber durch die erweiterten Kapazitäten von Strong!, sowie der höheren Sensibilität für LGBTIQ*-Feindlichkeit. So fallen weniger Fälle durchs Raster, die Dunkelziffer sinkt, Übergriffe werden sichtbarer, Betroffene werden gehört.

Alle Bundesländer haben LQBTIQ*-Aktionpläne beschlossen — außer Bayern

Zum Wohle einer bunten, offenen und friedlichen Gemeinschaft besteht also Handlungsbedarf. Das scheint so ziemlich jedem aufgefallen zu sein. So mahnte beispielsweise die Europäischen Kommission in einem 2014 veröffentlichten Bericht gegen Rassismus und Intoleranz. Darin die Forderung an die Bundesregierung sowie jene Bundesländer, die bisher keinen Aktionsplan zur Förderung der Toleranz gegenüber LGBTIQ* und Bekämpfung von Homo- und Transfeindlichkeit erstellt hatten, entsprechende eigene Maßnahmen oder Aktionspläne zu verabschieden. Berlin und NRW machten vor wie das geht, alle anderen Bundesländer zogen nach, zuletzt das Saarland in 2020.

Alle Bundesländer? Nein, Bayern setzt mal wieder auf eigene Maßnahmen. Man tue bereits genug für die Bekämpfung von Hasskriminalität und um Toleranz zu fördern. Es bestehe schlicht “keine Notwendigkeit” für einen Aktionsplan. Dabei beruft sich die Regierung des Freistaates in einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage des SPD Abgeordneten Dr. Linus Förster von 2015, die MUCBOOK vorliegt, auf ein Gesellschaftsbild, das alle Formen von Intoleranz längst hinter sich gelassen hat. Bereits jetzt hätten alle Menschen die Möglichkeit, “ihr Leben selbstbestimmt und unabhängig von vorhandenen Rollenbildern und Erwartungen der Gesellschaft entsprechend ihrer individuellen Wünsche zu gestalten”, die bayerische Polizei verfolge “konsequent” Straftaten mit LGBTIQ*-feindlichen Tatmotivation, in Schulen werde “das Thema Homosexualität seit Jahren in den einschlägigen Fächern besprochen.”

“Die Polizei ist oft keine denkbare Möglichkeit für die Betroffenen.”

Für die Diplom Psychologin Dr. Bettina Glöggler, die sich als Therapeutin bei Strong! engagiert, ist diese Darstellung und Verleugnung der Problematik schlichtweg weltfremd und zeigt umso deutlicher wie dringend sich Entscheidungsträger*innen mit der Thematik befassen müssen und warum ein solcher Aktionsplan unbedingt von Nöten ist. “Wer nicht in das heteronormative, binäre Gesellschaftssystem hineinpasst, setzt sich nach wie vor dem Risiko aus Diskriminierung und Gewalt zu erleben,” so Dr. Bettina Glöggler. Die steigende Nachfrage des Beratungsangebots von Anlaufstellen wie Strong! belegt das. Der Unterstützungsbedarf ist hoch und kann durch das bestehenden Angebot kaum gestemmt werden, wobei sich die Versorgungsinfrastruktur stark auf München konzentriert. Auf dem Land sind die Versorgungslücken, umso eklatanter. Zudem erhöht sich dort vermeintlich auch die Hemmschwelle, bei der Polizei um Unterstützung zu bitten — um beispielsweise ein ungewolltes Outing zu vermeiden.

“Ein Aktionsplan LGBTIQ* wäre wichtig, um Potential und Bedarfe zu ermitteln, Sicherheits-, Versorgungs- und andere Lücken zu erkennen und zu schließen und Maßnahmen zu koordinieren. Die Haltung, dass schon genug getan wurde ist eine Verhöhnung aller Betroffenen von LGBTIQ*-Feindlichkeit und aller LGBTIQ*, die vergeblich nach passenden Anlaufstellen nahe ihrem Wohnort suchen. Auch in Bayern gibt es durchaus Projekte zur Förderung von LGBTIQ* Lebensweisen. Der fehlende Aktionsplan führt aber dazu, dass diese unabgestimmt bleiben und so im wahrsten Sinne des Wortes planlos Einzelprojekte mühsam gestartet werden ohne Synergien zu nutzen. Ein Aktionsplan würde auch die Möglichkeit schaffen, das Thema LGBTIQ* als Querschnittsthema zu etablieren, in dem auch bei anderen Planungen die Perspektive von LGBTIQ* mitberücksichtigt wird,” erklärt Bettina Glöggler.

Zu solchen Planungen zählt beispielweise die Etablierung von flächendeckenden Beratungsstellen für LGBTIQ* und Aufklärungsprojekte an Schulen oder in der Polizeiausbildung. Ein großer Bedarf bestehe auch für LGBTIQ* Geflüchtete, die häufig traumatisiert durch diskriminierende Gewalterfahrungen in der Heimat auf der Suche nach Schutz, diesen Raum in Unterkünften dringend benötigen, um erneute Feindlichkeiten zu vermeiden.

Wie soll es nun weitergehen?

Neben dem längst überfälligen Aktionsplangegen Homo- und Trans*-Phobie in Bayern, fordern Bettina Glöggler und ihre Kolleg*innen zudem die verfassungsrechtliche Verankerung des Schutzes von LGBTIQ*. Diese Ergänzung der Diskriminierungsmerkmale im Artikel 3 des Grundgesetzes steht auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Sollte die Anerkennung von LGBTIQ*, durch die Aufnahme dieses Merkmals als grundrechtlich geschützt, Wirklichkeit werden, so würde der Druck auf die Landesregierung von Bayern weiter steigen. Die Unterstützung dieser Forderungen, in Form von Anfragen und Argumentation, sei aktuell die größte Hilfe, die man dem Strong! und dem ganzen Team im Sub entgegenbringen kann.

Solltest Du Unterstützung benötigen, findest du das Münchner Schwulenzentrum Sub in der Müllerstraße 14, direkt an der Tramstation “Müllerstraße”. Außerdem findest allerhand Informationen auf der bei https://subonline.org/.

Aus aktuellem Anlass:

Queere Menschen sind in der Ukraine zurzeit in besonderer Weise in Gefahr. Zahlreiche Organisationen aus der LSBTIQ*-Community in Deutschland haben sich daher im Bündnis Queere Nothilfe Ukraine zusammengeschlossen. Mit einer Petition fordern sie die Bundesregierung auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um gefährdeten Menschen aus der Ukraine Schutz zu gewähren – und zwar Menschen mit und ohne ukrainische Staatsangehörigkeit und insbesondere LSBTIQ*, die in die EU bzw. nach Deutschland flüchten wollen.


Beitragsbild: ©Raphael Renter on Unsplash

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