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Tornadoartiger Sturm im Chiemgau: Julia Philipp im Interview

Gruen und Gloria
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„Ich möchte für die Menschheit eine gesunde Lebensgrundlage im Einklang mit der Natur und Tieren schaffen, damit wir dauerhaft auf dem Planeten Erde bewusst und gesund leben können.“

Was ist passiert?

Am Mittwoch den 28. Juli 2021 um 12.25 Uhr ist ein Downburst über uns hinweggefegt. Dies entsteht bei einem Gewitter und ist ein schwerer Sturm, eine Art Tornado. Auf Grund der Winde und des Luftdrucks fegt dieser Sturm wie eine Walze über das Land. Die Windgeschwindigkeiten kann in etwa 120 km/h betragen. Hinzu kommt ein wasserfallartiger Sturzregen mit Hagel. Die Kombination der wirbelartigen Winde und der Geschwindigkeit führt zu flächenhaften Schäden.

Wo warst du bzw. hast du das erlebt?

Ich war in meinem neuen zu Hause, im Chiemgau. Ich wohne in einem kleinen Ort namens Söchtenau und befand mich zu der Zeit im Dachgeschoß, wo mein Büro ist.

Wie hast du den Sturm erlebt?

Ich stand an der offenen Balkontür, mit Blick auf die Kirche, den Ort und einen Hang. Normalerweise sehe ich von da aus auch die Berge. An dem Mittag sah ich zunächst auf dem Hang hinter dem Ort den Regen tänzeln. Der Hang ist Luftlinie vielleicht einen Kilometer weg. Der Wind und der tänzelnde Regen kamen wie eine weiße Wand näher. Binnen Sekunden sah ich weder den Hang, noch die Kirche wie den gesamten Ort. Alles war in weiß eingetaucht. Ich machte die Tür zu. Und im nächsten Moment war der Regen inkl. Wind überm Haus und somit direkt über mir. Ein Klacken war zu hören. Die Hagelkörner kamen runter und ich dachte an die Tontöpfe mit den Tomaten vor dem Haus. Im nächsten Moment wurde es lauter, der Wind wurde stärker und ich hörte es noch lauter klacken. Ich packte die nötigsten Sachen, ging in den ersten Stock, nahm von dort noch einen Pulli mit. Im Erdgeschoss angekommen, sah ich wasserfallartig das Wasser an den beiden Terassentüren herunterlaufen, die Winde tosten gegen die Scheiben und die Hagelkörner hämmerten dran. Ich hatte den Eindruck, die Türen werden gleich eingedrückt. Es klackte weiter. Im Nachhinein wusste ich, dass es die Dachziegel waren. Unsere diesjährig neu gepflanzten Büsche und Sträucher bogen sich enorm. Teils konnte ich sie vor lauter Wasser und Hagel nicht mehr aus dem Küchenfenster erkennen. Einen Moment wurde der Regen ruhiger, der Wind toste weiter und im nächsten Moment flog das Klettergerüst der Nachbarn in einzelnen Teilen vorbei. Alles ging ziemlich schnell. Kurz darauf fiel die neu gebaute Gartenhütte mit rund 1,5 Tonnen vor meinen Augen und dem Blick aus dem Küchenfenster einfach wie ein Pappkartonhaus um. In dem Augenblick hatte ich Sorgen um meinen Partner, der in der Nähe am Waldesrand im Wohnwagen war. Nach zwei missglückten Anrufen erreichte ich ihn beim dritten Mal und war froh, dass es ihm gut ging. Kurz danach war das Netz weg. Wie ich nun weiß, eine typische „Reaktion“ bei orkanartigen Stürmen, der Zusammenbruch u.a. von Telefonverbindungen. Ich wartete im Erdgeschoss im Treppenhaus, bis der rund zehnminütige Sturm nach lies. Dann verschaffte ich mir von innen einen Überblick, zog ich mir Regenklamotten an und wagte mich vorsichtig aus dem Haus. 

Was hast du dort vorgefunden?

Vor der Garage lagen überall Ziegel. Das Auto der Nachbarn im Rückgebäude stand mit Dellen davor. Auf dem Weg lagen ein Moped, ein Kinderrad, ein einzelner Schuh, überall dazwischen Äste, Zweige und Ziegelreste. Im Garten war die Hütte umgefallen, die Glasscheiben der Türen lagen zersprungen auf dem Boden, die Pflanzen waren zum Teil vollständig weg, zum Teil völlig zerstört, das Hochbeet sah verwildert aus, überall lagen Hagelkörner. Diese lagen noch den halben Nachmittag herum, während wir aufgeräumt haben. Es war ein enormer Temperatursturz, von über dreißig auf unter zwanzig Grad. Mir war kalt. Ich ging ums Haus. Da sah ich, dass das Dach zum Teil abgedeckt war, die Hausfassade auf der Rückseite völlig zerlöchert aussah. Im Nachgang erfuhr ich, dass bei den Nachbarn im hinteren Teil der Doppelhaushälfte der Dachstuhl vom Wind angehoben wurde. Der Riss ist heute noch bis zu uns ersichtlich. Weitere Nachbarn von gegenüber waren dabei die Hasen zu trocknen, denn die Hasenställe waren umgefallen. Ihr Haus stand unter Wasser, da es das Wasser sogar durch die geschlossenen Fenster hineingedrückt hat. Beide Autos von diesen Nachbarn waren beschädigt. Unsere von den Ziegeln abgedeckte Garage stand unter Wasser. Fenster von Nachbarn auf der anderen Seite gingen zu Bruch. Bei weiteren Nachbarn schräg gegenüber schlug die Statelittenschüssel in die Fassade ein, die von unserem Dach gefegt wurde (das konnten wir erst am nächsten Tag nachkonstruieren). Die gesamten Häuser in der Straße waren teils abgedeckt und schwer beschädigt. Alte Bäume lagen einfach da, die Linde gegenüber hat eine Hälfte stehend überstanden. Die Wiese lag wie gemäht da. Im gesamten Ort, im kleinen Nachbarsort Haid wie an weiteren Stellen sind gravierende Schäden entstanden. Die Feuerwehren waren kontinuierlich im Einsatz, um Straßen frei zu räumen. Alte Bäume, halbe Wälder sind umgefallen, einfach eingeknickt, entwurzelt o.ä. Eine Schneise der Verwüstung führt durch einen Landstrich des Chiemgaus. In Halfing war zunächst unklar, ob die Kirche einstürzt. Nebenliegende Gebäude wurden evakuiert und das Pfarrgebäude in dem Ort wurde abgedeckt. Andernorts hat es Stadel weggerissen, Häuser beschädigt und vieles mehr. Die gesamte Summe der Schäden ist mir nicht vollständig bekannt. Die Aufräumarbeiten laufen weiter. Gestern Nachmittag erst wurden Bäume von der Straße nebenan abtransportiert. Weitere kleinere Unwetter in den letzten Wochen haben zudem weitere Schäden verursacht. 

Was hat dies in dir ausgelöst?

Es war so gewaltig, eine enorme Energie, die das zehnminütige Wüten der Natur ausgelöst haben. Ich erlebte eine geballte Naturgewalt. In dem Moment wirkte alles so klar und kraftvoll. Ich spürte danach ein enormes Wachrütteln, lauter zu werden. Noch mehr für das Leben und das wohlwollende Sein einzutreten wie nach außen zu gehen.

Wieso willst du das Thema nach außen geben?

Für mich ist das Leben ein sehr bewusstes Wahrnehmen seiner selbst, seiner Gedanken, seiner Gefühle, ein gutes, wie gesundes Sorgen für sich. Die nachhaltigen Aspekte und der ökologische Zusammenhang ergeben sich hier für mich relativ schnell. Denn sobald ich anfange mir zu überlegen, wo meine Tomate gewachsen ist, wie die behandelt wurde, wie ihr Weg zu mir war, wer an ihrem Entstehungsprozess beteiligt war und wie die Arbeitsbedingungen, Löhne usw. waren, dann kann ich mich weiter damit auseinandersetzen, mir Informationen einholen und mir im weitesten selbst meine Meinung bilden. Dadurch bekomme vielleicht einen weiteren Blick und ich achte künftig darauf, wem ich mein Geld für meine Tomaten gebe. Die Tomate kann sinnbildlich für alles stehen. Für die Schokolade und die Kakaobohne die da mitunter drin ist, das Getreide im Brot und den Nudeln usw. Ein bewusster Umgang mit meinem eigenen Konsum, dem was ich mitunter meinem Körper einverleibe, führt zu einem besseren Verständnis für sich selbst wie seine Umwelt.

Da bei dem Sturm unzählige hauseigene Gärten aber auch Gärtnereien vollständig zerstört wurden, sehe ich es als unabdingbar, darauf aufmerksam zu machen, dass die heimischen Ernten schlechter ausfallen und sich auch auf die Konsumenten in den Städten auswirken werden. Heute vielleicht in geringerem Umfang, morgen vielleicht mehr. 

Die starken Regenfälle haben neben den Stürmen dazu geführt, dass ganze Felder unter Wasser stehen. Neben den aktuellen Ernten für Salat, Mangold, Lauch, Karotten, Gurken, Kräuter usw. sind weitere Erntezyklen betroffen. Die aktuelle Ernte ist gravierend minimiert, für den Herbst wie Winter fallen weite Teile der Ernte aus. Die Jungpflanzen und Ableger für das nächste Jahr sind zudem beschädigt und teils unbrauchbar. Dieser Sturm zieht sich quasi weiter durch. Gespräche mit örtlichen Gärtnern bzw. Gemüsehändlern haben mir zu verstehen gegeben, dass die Ernteausfälle in Folge des Sturms enorm sind. Die Lebensgrundlage der Gärtner aber auch die unsrige ist damit in Gefahr.

Es besteht doch die Möglichkeit, Lebensmittel aus anderen Ländern zu beziehen. Wie siehst du das?

Wir haben zwischenzeitlich extreme Witterungsbedingungen. Neben den starken Regenfällen und Stürmen gibt es an anderen Orten aktuell Feuer, Dürre und zu wenig Wasser. Hinzu kommen Vulkanausbrüche, Schnee in Brasilien usw. Überall gibt es Ernteausfälle wie erschwerte Bedingungen zur Produktion von gesunder Nahrung. Zudem leben an allen Orten dieser Welt Menschen, die ebenso Nahrung brauchen. Ich sehe es an der Zeit, dort zu konsumieren, wo die Sachen wachsen und geerntet werden. Kurze Transportwege minimieren einen CO2-Ausstoß und liefern uns zudem frischere Nahrung. Ein Tipp: geh mal zu einem Beerenfeld und pflücke deine eigenen Beeren. Wenn du magst, kaufe dir zeitgleich welche in einem Lebensmittelladen. Achte dann auf den Geschmack, die Konsistenz, die Haltbarkeit usw. 

Wieso sollten andere davon erfahren?

Da wir alle zusammenhängen und ein gutes, wohlwollendes Leben für mich sehr viel mit Gemeinsinn zu tun hat. Menschen zu informieren und aufmerksam machen, was andernorts passiert ist ein Teil davon. Momentan habe ich immer wieder den Eindruck, dass manches nicht weitergetragen, verzehrt dargestellt oder nur ein Auszug weitergegeben wird. Die Glaubwürdigkeit entspricht häufig nicht meinem eigenen Empfinden und der Reflexion, die ich durch eine Innenschau pflege. Eine Erfahrung aus erster Hand ist für mich selbst interessant und fördert mein Verständnis. Es kann mitunter mein Empfinden widerspiegeln und mich bekräftigen. Gern will ich selbst andere bestärken und motivieren.

Schließlich will ich Menschen darin bekräftigen, den eigenen Gedanken wie Impulsen zu folgen und aus innen heraus zu handeln. Durchaus auch im Spiegel mit dem außen. In Kombination mit einer tiefen Innenschau, in ein eigenes selbst reflektiertes und eigenverantwortliches Sein bewegen. Den eigenen, individuellen Lebensweg zu finden und zu gehen. Dabei kann sich jede Person selbst überlegen, was sie annehmen möchte, was nicht und wo sie möglicherweise reagieren möchte. Der eigenen Wahrheit zu folgen, diese nach außen zu tragen und letztlich zu sehen, dass alles und alle zusammenhängen.

Was willst du den Menschen aus dem erlebten Sturm mitgeben?

Achte dich wie dein Umfeld. 

Julia Philipp

Werkstatt Leben

 PS: Ein wundervolles Erlebnis möchte ich an der Stelle ebenso noch erwähnen. Bei all der Zerstörung sind die Tomaten in den Tontöpfen unterm Hausgiebel stehen geblieben und haben, so gut als möglich, dem Sturm getrotzt. Voller Dankbarkeit und Freude ernte und verzehre nun fast täglich die Überbleibsel der angeschlagenen aber dennoch leckeren Hageltomaten. 

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