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Unerhört Jung: Das Konstrukt Jugend und dessen schamlose Propaganda

Lara Schubert

Der Bildschirm des Laptops flimmert und unerhört schöne Menschen unternehmen unerhört coole Dinge. Sie tanzen in Clubs, trinken schöne Getränke, haben eigentlich immer die richtigen Antworten parat und sind einfach cool! Und natürlich fallen diese Helden und natürlich leiden sie und zweifeln und sind auch mal ratlos – aber immer in a cool way…!

Vielleicht spricht hier auch ein schmerzlich über die Jahre bemerkter Mangel der eigenen Person, aber so cool wie die Jugend auf dem Bildschirm, die propagierte Jugend, ist das eigene Jungsein doch nie.

Das mag jetzt wie eine Binsenweisheit daher kommen.

Denn natürlich ist das Leben auf dem Bildschirm geglättet, mit schönen Filtern überblendet und im besten Licht ausgeleuchtet und ausgestellt. Aber zu diesem so sündhaft unbeschwerten Carpe Diem-Leben kommt erschwerend hinzu, dass es alle auch im realen Umfeld leben.

Hier stehen sie in coolen Bars, mit coolen Klamotten, machen die Nächte durch und stehen am Morgen, zwar mit Augenringen, aber bestens gelaunt in ihrem Büro, das zu einem Job gehört, der ziemlich gut bezahlt ist und dazu auch noch genau zu dem angepeilten Karriereweg passt.

Die Delonghi macht den passenden Kaffee zum passenden Leben.

Und selbst die, die nicht im Büro sind, denen man Planlosigkeit und Verlorenheit im eigenen Hadern um den zukünftigen Werdegang vorwerfen könnte, leben in coolen WGs, rauchen nicht Draußen oder am Fenster, sondern am Küchentisch, lesen die wichtigeren Bücher und wissen mehr über das politische Weltgeschehen und haben mehr Zeit das Zeit-Magazin zu lesen.

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass alle anderen cooler sind.

Und das ist ja nichts Neues. Aber um es mit Carrie Bradshaw zu sagen: “”Ich komme nicht umhin mich zu fragen: “Gibt es diese Jugend?”” Ist man jemals so jung wie diese Menschen in Filmen und Serien oder um einen herum? Oder ist die eigene Jugend nicht einfach nur ein Konstrukt, das nach und nach mit der Zeit entsteht und eigentlich erst fertig ist, wenn es vorbei ist. Und während man selbst noch an diesem Konstrukt baut, so scheinen andere schon fertig damit und können bereits darin leben.

Wobei es beim Jungsein eher um ein Gefühl geht, als um einen Lebensabschnitt.

Es ist das Gefühl, alles zu können und alles sein zu dürfen und diese Möglichkeit und damit gleich alle Möglichkeiten jederzeit in Anspruch nehmen zu können. Und da dies ein unfassbarer Zustand ist, der nur sehr selten eintritt, ist er vermutlich auch so erstrebenswert.

Der Realitycheck beweist uns jedoch immer wieder, dass niemand jemals so jung ist, wie es uns in allen Filmen, Serien, Werbespots und Instagram-Posts verkauft wird. Das Streben danach ist die Fatamorgana der Nuller-Generation und aller deren vor ihr. Jung sein ist ein Versprechen an uns und das was kommt. Wird dieses Versprechen nicht eingelöst – und das wird es nie – kommt das nüchterne Erwachen und wir reden uns ein, dass unsere Jugend vorbei ist und wir jetzt nicht mehr am Küchentisch rauchen, die Nächte durchtanzen und einfach mitten in der Nacht spontan nach Italien fahren.

Die Wahrheit ist, wir haben es nie wirklich gemacht. Denn selbst wenn wir all diese Dinge getan haben, sind wir aus uns heraus getreten, haben uns dabei zugesehen und uns unerhört jung gefühlt. Denn wir haben genau das getan, was wir dachten, das diese unerhört jungen Menschen tun würden. Aber wir erlebten es nicht, zumindest nicht so, wie wir es erleben sollten. Es ist ein über die Jahre, Jahrhunderte, vermutlich Jahrtausende andauerndes Schönreden eines Mythos: Jugend.

Um es cineastisch zu verbildlichen

In Rob Rainers “When Harry Met Sally” erzählt Sally, warum ihre erste ernsthafte Beziehung mit einem Mann namens Joe schließlich ein Ende fand: Sie wollte Kinder, er nicht. Und um für sich zu rechtfertigen, dass sie keine Familie brauchten, redeten sie sich ein, dass sie ohne Verpflichtungen jederzeit nach Rom fliegen könnten, oder Sex auf dem Küchenboden haben könnten. Sie flogen aber nie nach Rom und der Küchenboden bestand aus harten, kalten Terrakotta-Fliesen. Also kein guter Ort für…na ja, wir wissen worauf sie hinaus will.

Mir kommt es so vor, als sei Jungsein wie dieser Terrakotta-Boden: kalt, hart und ungemütlich. Und trotzdem birgt er das Versprechen auf Leidenschaft, Ungebundenheit und Freiheit.

Weder Sally noch ich hatten jemals Sex auf dem Küchenboden und das ist okay. Denn wir beide sind nicht cool und das ist ebenfalls okay. Aber die Sehnsucht nach dieser Coolness bleibt, höchstwahrscheinlich ein ganzes Leben.


Beitragsbild: © by Jakob Owens on Unsplash

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