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Werdet endlich erwachsen!

Laura Goudkamp
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Wer sind wir und was sollen wir tun? Meredith Haaf, Jahrgang 1983, denkt in ihrem neuen Buch «Heult doch» über ihre eigene Generation nach. Statt erwachsen zu werden, kämpft die „Generation Mitte Zwanzig“ mit ihren Luxusproblemen. Tanja Semet sprach für mucs mit der Autorin über Kritikfähigkeit, Existenzangst, Geld und Politik.

mucs: Früher gab es die Hippies, die Punker, die Raver. In deinem neuen Buch
geht es um die Generation, die jetzt Mitte Zwanzig ist. Was hatten die?

Meredith Haaf: In dieser Generation ist das anders, weil es keine dominante Subkultur wie die Popper oder die Punker gibt. Es gibt kein Schlagwort unter dem man uns zusammenfassen könnte, deswegen versuche ich in dem Buch auch gar nicht ein Label zu finden. Ich beobachte nur Tendenzen, die diese Generation verbinden. Es ist zum Beispiel auffällig, dass wir so konfliktscheu und ängstlich sind. Wir sind in einer Zeit groß geworden, wo es sehr schwer war, optimistisch zu sein, weil die Zukunftsaussichten nicht besonders vielversprechend sind, im Gegenteil. Gleichzeitig hat man uns beigebracht immer pragmatisch zu sein. Da bleibt kein Platz für große Ideen, stattdessen haben die Leute riesige Angst unterzugehen. Solche gemeinsamen Tendenzen sind für mich viel interessanter als die Subkultur.

Du schreibst in deinem Buch zum Beispiel darüber, dass wir zwar viel kommunizieren, dabei aber fast keine relevanten Inhalte transportieren. Ist das Buch als Kritik gemeint?
Ja, definitiv. Das Buch ist hauptsächlich als Kritik und gar nicht als Ratgeber gedacht. Es stehen nicht viele konstruktive
Tipps drin. Ich bin der Meinung, dass Kritik in meiner Generation unterbewertet ist, deswegen wollte ich Kritik üben und es dann jedem Einzelnen überlassen, was er daraus für eine Konsequenz zieht. Aus der Kritik an meiner Generation nehme ich mich aber selbst nicht aus.

Du bist also offensichtlich in der Lage Kritik zu üben – viele andere aber nicht,
wie du in deinem Buch schreibst

Das ist eine der Erfahrungen, die ich gemacht habe. Es ist nicht so, dass die Leute zu blöd dazu wären, ich glaube eher, dass Kritik nur nicht wertgeschätzt wird. Es gibt Studien, die zeigen, dass unsere Generation ein großes Problem mit Opposition hat, den Sinn von Opposition gar nicht begreift. Positives und konstruktives Denken ist so dominant, dass dadurch die kritischen Fähigkeiten verloren gehen. Ein Beispiel ist für mich der „Like“-Button auf Facebook. Das „Liken“ hat sich als Praxis verselbstständigt – man macht es nicht mehr nur auf Facebook, man findet das Symbol „Daumen hoch“ in allen möglichen gesellschaftlichen Kontexten: Im Fußballstadion, in der Werbung, in Berlin gibt es sogar Leute, die den „Like-Daumen“ an Kneipen sprühen, die sie gut finden. Es ist eine Gut-finden-Kultur, eine Konsumkultur, und der setzt meine Generation nichts entgegen.

Du hast gesagt, deine Generation hat vor allem Angst. Warum und wovor?
Da ist zum einen diese lange akademische Phase bis man mit der Uni fertig ist, dann gibt es nur befristete Arbeitsplätze – wenn überhaupt – und es ist gar keine Frage, dass man dann noch ein unbezahltes Praktikum macht. Die Wirtschaftsordnung sieht momentan so aus, dass Berufseinsteiger durch befristete Verträge und schlechte Bezahlung sehr lang aus ihr heraus gehalten werden. Die Leute machen sichaus Angst davor andauernd klein, auch professionell. Außerdem gibt es diese viel beschworene Angst vor dem Abstieg. Die Gesellschaft scheint einfach zu eng für die Jüngeren zu sein.

Welche Rolle spielt das Geld?
Das ist ganz paradox, weil diese Generation in so wahnsinnigem Wohlstand aufgewachsen ist und gleichzeitig sehr lang von ihren Eltern finanziell abhängig ist. Dadurch entsteht ein ganz verqueres Verhältnis zu Geld. Einerseits brauchen wir viel
Geld, weil die meisten den hohen Lebensstandard halten wollen, den sie von ihren Eltern kennen. Andererseits werden die meisten permanent unterbezahlt. Viele sind mit Dreißig zum ersten Mal in der Lage, ihre eigenen Lebenshaltungskosten zu decken. Dadurch entsteht eine große Verunsicherung. Auch die Bereitschaft unbezahlt zu arbeiten, zeigt einen komplett mangelnden Bezug zu Geld. Es wäre in Ordnung, wenn alle gern umsonst arbeiten würden, aber in unserem System ist das leider totale Selbstverarsche.

Vielleicht sind wir ja zu zufrieden?
Nein, ich habe das Gefühl, dass wir gar nicht so zufrieden sind, aber die Leute wissen nicht, wie man Kritik übt, oder wozu. In den 90ern waren Fragen von Wirtschaft, Karriere und Lifestyle viel präsenter, da hatte kaum jemand das Gefühl, dass Politik etwas Wichtiges ist. Und heute fehlt die Hoffnung etwas zu verändern, der Gestaltungswille fehlt. Politik wirkt wie eine Unterhaltungssparte im Fernsehen oder eben eine Karriereoption.

Wenn wir den Gestaltungswillen nicht haben, machen wir alles kaputt, was bis jetzt erreicht wurde …
Ja, das ist zu befürchten. Viele befürworten zwar das System Demokratie, aber andererseits nehmen sie nicht daran teil. Die AG Hochschulforschung befragt alle zwei Jahre Studenten in Deutschland zu ihrer politische Einstellung. Seit den 90er Jahren ist der Anteil derer, die so ein apathisches Verhältnis zur Demokratie haben, ständig gestiegen. Man nennt sie „labile Demokraten“ ohne Bezug zur Gesellschaft oder zum politischen System. Und das bei den Leuten, die durch ihre Bildung und ihren sozialen Status irgendwann Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen sollen! Das ist meiner Meinung nach ein Riesenproblem. Wenn die Leute in einem Politikseminar nicht mehr bereit sind über Politik zu diskutieren oder sich in BWL-Seminaren keiner mehr für die Menschen interessiert, wenn ganz sachlich darüber diskutiert wird, ob Kinderarbeit ein notwendiges Übel ist – dann ist irgendwas wirklich verloren gegangen.

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Foto: Tanja Kernweiss

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