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Olympia, Leistungssport und Loslassen: Wir treffen Fabian Hambüchen im Eurosport-Studio

Anne Lenz

Als Fabian Hambüchen mich begrüßt, sitze ich gerade vor dem Catering-Zelt des Eurosport-Sendezentrums in Unterföhring und trinke einen schwarzen Kaffee. Ich bin eingeladen worden, die Übertragung der Olympischen Spiele zu begleiten und darf mir das Studio heute von innen ansehen. Fabian Hambüchen ist mein Tourguide.

Der ehemalige Kunstturner kann sich mit einigen Erfolgen brüsten: Als Goldmedaillengewinner bei Olympia ist er die optimale Wahl, um seinen Sport im Fernsehen zu kommentieren. Bevor er heute Abend gemeinsam mit Gerhard Leinauer „Big in Japan – Die Olympia Show” moderiert, gibt er mir einen Einblick hinter die Kulissen.

Edelmetall und Erinnerungen

Doch zu allererst erzählt er mir von seiner Einladung zum Weißwurstfrühstück bei Familie Dauser an diesem Morgen. Die Silbermedaille, die sich Lukas Dauser am Barren erkämpft hat, liegt ganz bescheiden zwischen Brezen und Bier auf dem Frühstückstisch. Dausers Erfolg ist auch für Hambüchen sehr bewegend: Bereits in der Kommentator*innenkabine hat der Eurosport-Experte seinen Emotionen freien Lauf gelassen. In diesen Momenten – und vor allem beim Verfolgen seiner eigenen Paradedisziplin am Reck – kommt bei Hambüchen Olympia-Wehmut auf. Beim Kommentieren des Reck-Finales juckt es dem Turner in den Fingern, selbst wieder Hand anzulegen. Die Erinnerung an die jahrelangen Entbehrungen, harte Arbeit und Disziplin beschwichtigen diese Gedanken jedoch gleich wieder.

Balance im Sport

Es gibt einige Aspekte, die Athlet*innen das Leben schwer machen. Die richtige Ernährung beispielsweise stellt immer eine Herausforderung dar. Hambüchen ärgert sich rückblickend über seine damaligen Methoden, wo er doch heute weiß, wie man auf gesunde Art und Weise seine Speicher füllt. Satt werden, sein Gewicht halten und mithilfe der Ernährung zur Regeneration beitragen – genau dieses Wissen fehlte ihm zu seiner aktiven Zeit.

Laut Hambüchen gibt es nicht nur beim Thema Ernährung, sondern auch in sportwissenschaftlicher und psychologischer Hinsicht Verbesserungsbedarf im deutschen Sportsystem.

„Als Top-Athlet*in benötigt man auch die Top-Leute an seiner Seite.”

Fabian Hambüchen zur Betreuung der Sportler*innen

Hambüchen profitierte in dieser Hinsicht von seinen Studien in Sportmanagement und -kommunikation und Sportwissenschaften. Der zusätzliche Austausch mit seinen Kommiliton*innen ermöglichte ihm, viele Regenerationsprozesse besser zu verstehen und anzuwenden.

Nicht nur die Theorie neben der Turnmatte sei ausschlaggebend, vor allem die psychologische Betreuung kann über vieles entscheiden. Hambüchen hebt hervor, dass der mentale Druck, den man als Sportler*in auf sich selbst ausübt, immens sei. Die Eigenschaften, die ihm während seiner Karriere am meisten geholfen haben, seien vor allem Durchhaltevermögen und der Fokus auf die eigene Leistung.

Lukas Dausers Vorbereitung auf die Olympischen Spiele war geprägt von Rückschlägen in Form von Verletzungen und Misserfolgen. Der Glaube an sich selbst, das richtige Umfeld und die entsprechenden Trainingsmethoden führten ihn letztendlich aufs Podium. Fabian Hambüchen erzählt mir von einem Gespräch der beiden kurz nach Dausers Wettkampf – von seiner Barrenübung soll der Turner kaum etwas wahrgenommen haben, lediglich den Weg zur Übung und die Landung hat er in Erinnerung behalten. Einerseits ist das positiv zu bewerten: Ein gewisser Flow, die vollkommen automatisierte Abfolge von Bewegungen, trägt einen beträchtlichen Teil zum letztendlichen Erfolg bei. Bedauerlich ist jedoch, dass der tatsächliche Moment, diese einmalige Situation, nicht genossen werden kann.

Über Leistungsdruck und Loslassen können

Während des Wettkampfs ist es wichtig, alle Gedanken auszuschließen. Die absolute Konzentration auf sich selbst und das eigene Können sind die einzigen Aspekte, die man im Wettkampf noch beeinflussen kann. Äußere Faktoren, wie beispielsweise die subjektive Wahrnehmung der Kampfrichter*innen, sind zwar entscheidend für das Endergebnis, allerdings nichts, was die Athlet*innen aktiv ändern können.

Fabian Hambüchen über den Fokus im Wettkampf

Der ehemalige Zehnkämpfer Rico Freimuth, derzeit auch im Einsatz als Experte bei Eurosport, hat sich während unseres Interviews zu uns gesellt und die letzten Minuten unseres Gesprächs mitverfolgt. Er selbst kennt den mentalen Druck nur zu gut. Hat man seine aktive Laufbahn aber erst beendet, vermisse man selbst diesen Bestandteil des Leistungssports.

„Sportler*innen sind Perfektionist*innen. Man ist sich ja bewusst, was man leisten kann und möchte das Bestmögliche erreichen.”

Rico Freimuth über Leistungsdruck und die Erwartungen der Sportler*innen an sich selbst
Interview im Talentroom

Seit dem Kindesalter schon trainiert Hambüchen gemeinsam mit seinem Vater und zeigt früh sein Talent. Letztendlich gewinnt er bei der Teilnahme an insgesamt vier Olympischen Spielen einen kompletten Medaillensatz. Heute schätze er, dass er bereits so früh in den Trainingsbetrieb eingestiegen sei.

Bewegungen, die vor allem zu Beginn der Karriere und im Amateurbereich falsch erlernt werden, sind schwer wieder zu korrigieren. Gerade bei Turner*innen ist es wichtig, dass diese Abläufe automatisiert werden. Obwohl Hambüchen jungen Athlet*innen ihren Trainingsaufwand nicht abspricht, kritisiert er den oft sehr frühen Einstieg in die Wettkämpfe der Erwachsenen. Er selbst hätte schon bei Olympia 2000 in Sydney im Team turnen können, allerdings lag er damals noch unter der Altersgrenze von 16, die er vier Jahre später in Athen erreichte. Turniere wie das Olympische Festival der Europäischen Jugend, speziell für die jüngeren Altersgruppen ausgerichtet, seien eine bessere Möglichkeit, sich als Sportler*in zu etablieren. Es bleibe später noch genug Zeit, sich gegen die Erwachsenen zu beweisen.

Ein Leben lang Leistungssport – und jetzt?

Auf die Frage, welche Herausforderungen einen im Leben nach dem Leistungssport noch erwarten, antwortet mir Fabian Hambüchen, dass es vielen schwer fällt, überhaupt wieder Ziele zu haben. Sein ganzes Leben dem Sport zu widmen lässt nicht viel Freiraum für andere Interessen. Nicht wenige Athlet*innen fallen nach dem Ende der Karriere in ein Loch.

Anders Fabian Hambüchen: Die Beschäftigung als Experte bei Eurosport entfacht eine neue Leidenschaft bei dem Turner. Während der Spiele sitzt er in den Kommentator*innenkabinen, um das Wettkampfgeschehen zu begleiten und berichtet abends gemeinsam mit Gerhard Leinauer über den vergangenen Tag.

Ich durfte selbst auch kurz im Studio und in der Kommentator*innenbox Platz nehmen und den Bildschirm zur Analyse einzelner Situationen bedienen. Mit Fabians Anleitung und ein bisschen Vorwissen war die ganze Prozedur doch recht unkompliziert und verdeutlichte mir, warum ihn die Arbeit im Studio so begeistert.

Ob als Experte im Turnen oder als Show-Moderator, Fabian Hambüchen fühlt sich bei Eurosport richtig wohl. Und mit Paris 2024 stehen bereits in drei Jahren wieder Sommerspiele an. Noch steht offen, ob er danach weiterhin im Fernsehen zu sehen sein wird. Er zieht auch in Erwägung als Trainer oder im Management aktiv zu werden. Derzeit bestehe aber noch kein Druck, sich für einen Weg zu entscheiden.

Diese entspannte Haltung musste er nach seinem Karriereende jedoch erst einmal lernen. Vor allem im ersten Lockdown hat sich der Turner mit sich selbst und seinen Wertvorstellungen befasst. Das letzte Buch, das er gelesen hat, ist „Das Café am Rande der Welt”, in dem ähnliche Fragen besprochen werden. Rico Freimuth empfiehlt auch „Factfulness”, das sich mit den positiven, aber oft unbekannten, Tatsachen des Lebens befasst. Die beiden Sportler betonen immer wieder, wie wichtig es sei, jeglichen negativen Gedanken keinen Raum zu geben. Diese Eigenschaft haben sie auch nach ihrer aktiven Zeit nicht mehr abgelegt.

Wir sagen: alles Gute für die Zukunft und danke für die Zeit und Mühen!

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