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Wie realistisch ist Münchens Klimaneutralität bis 2035?

Caroline Priwitzer

Klimaneutralität, das klingt toll. Alle Städte wollen das, ja ganz Deutschland will das, je früher desto besser. München kündigt seine Klimaneutralität bis zum Jahr 2035 hin an, auch im Stadtentwicklungsplan ist davon die Rede. Doch wie rechnet man das eigentlich aus, die Sache mit der Klimaneutralität? Hannes Harter hat das, zumindest auf den Wohngebäudesektor bezogen, in seiner Doktorarbeit gemacht. Am Lehrstuhl für Energieeffizientes und nachhaltiges Planen und Bauen an der TU München hat er sich unter anderem die Frage gestellt: „Was würde denn passieren, wenn wir alle Wohngebäude der Stadt München bis zum Jahr 2035 auf den gesetzlichen Mindeststandard sanieren und wie weit sind wir dann noch von unserem Klimaziel entfernt?“

Problematisch findet Harter vor allem, dass einem mit der Verkündung eines klimaneutralen Münchens ein gutes Gefühl suggeriert wird, obwohl das vielleicht gar nicht in dem angegebenem Zeitrahmen zu schaffen ist. „Es wird mit Parolen um sich geworfen, viele Städte rufen Klimaneutralität aus. Meiner Meinung nach gibt es aber gar keine Methoden oder Modelle, um das tatsächlich für kommunale Gebäudebestände zu berechnen oder zu greifen.“ Diese Forschungslücke hat allerdings Harter für seine Dissertation genutzt.

Klimaneutralität trotz Gebäudeemissionen

Weltweit fallen ca. 40 Prozent der Gesamtemissionen auf den Gebäudesektor an. 43 Prozent davon wiederum machen in Deutschland Wohngebäude aus. Diesen Sektor hat Harter in seiner Arbeit genauer unter die Lupe genommen.

Gebäudeemissionen, das sind zum einen Betriebsemissionen, also Heizen und sonstiger Energiebedarf wie beispielsweisleise Trinkwarmwasserbereitung. Zum anderen, so Harter, „passiert energetisch auch noch ganz viel davor und danach.“ Die Entstehungs-, Instandhaltungs- und Rückbauprozesse sind logischerweise auch mit Energiebedarf verbunden – und dadurch entstehen wiederum Emissionen, erklärt er weiter.

Der digitale Zwilling

Grundlage für Harters Berechnungen war der digitale Zwilling von München. Der digitale Zwilling, das ist ein mit spezifischen Informationen angereichertes Stadtmodell mit dem man jegliche Art von Berechnungen und Analysen durchführen kann. Man bräuchte allerdings ein viel detaillierteres Modell, um noch genauere Aussagen treffen zu können, so Harter. „Das Coole an dem Modell ist aber, dass es eben ein offener Standard ist, der frei benutzt werden kann und der flächendeckend in Deutschland vorliegt. Außerdem kann man diesen digitalen Zwilling immer weiter mit Informationen anreichern. So wird dieser immer mächtiger.“

Klimaneutralität, was ist das überhaupt?

Doch zunächst stellt sich die Frage, wie ist man denn überhaupt klimaneutral? „Und eigentlich müssten wir ja klimapositiv sein, um das auszugleichen was wir schon alles an Emissionen ausgestoßen haben“, erwidert Harter lächelnd. „Tatsächlich gibt es keine einheitliche Definition für Klimaneutralität. Es gibt unterschiedliche Institutionen, die das unterschiedlich definieren”, erklärt er weiter. „Neutralität bedeutet allerdings für mich, dass keine weiteren Emissionen in die Umwelt abgegeben werden und wenn doch, dass wir diese auch kompensieren.“

Sanieren, Sanieren, Sanieren

Und um die Betriebsemissionen zu reduzieren, muss man vor allem erneuerbare Energien einsetzen und Dämmen. Viele der Gebäude sind allerdings sehr alt und die erste Wärmeschutzverordnung trat in Deutschland erst 1977 in Kraft. Alle Gebäude, die davor gebaut wurden, hatten deshalb gar keine Bauregularien in Bezug auf den Energiebedarf.

Harter hat für seine Arbeit eine Methode entwickelt, wie man großflächig den Status quo des Energiebedarfs und die damit verbundenen Emissionen berechnen kann und im nächsten Schritt Entwicklungsszenarien diagnostiziert. Diese Methode hat er dann auf das ganze Münchner Stadtgebiet angewandt.

Weil das Thema aber eben so komplex ist, dass man darüber dissertieren kann, die Ergebnisse nur in Kürze: Um das 2035 Ziel im Gebäudesektor zu erreichen, bräuchte München jährlich eine Sanierungsquote von 6,7 Prozent. In Zahlen wären das 7687 Gebäude, die in München pro Jahr saniert werden müssten. Deutschlandweit liegen wir allerdings gerade lediglich bei einer Quote von ca. einem Prozent. Das ist allerdings sehr kritisch zu sehen, weil sich diese Quote nur schwer erhöhen lässt. Denn Kapazitäten für Sanierungsprozesse, wie Materialien und Handwerker*innen sind begrenzt. Außerdem sind die daraus resultierende Verkehrslast und etwaige Verzögerungen durch Genehmigungsverfahren im Baurecht miteinzubeziehen. Ein weiteres Problem ist, dass der Staat sein geldliches Förderprogramm immens erhöhen müsste, da sich die Sanierungen für die Eigentümer*innen nicht finanziell rechnen würden, da die Emissionen zwar reduziert, aber zunehmend höher besteuert werden.

Und auch nach den Sanierungen (die selbst wiederum zu Emissionen führen) hat man trotzdem noch Betriebsemissionen, die es zu kompensieren gilt. In der Theorie könnte man das aber trotzdem schaffen, so Harter. In einer groben Abschätzung habe er überschlagen, dass man zur Kompensation aller Emissionen aus dem betrachteten Sanierungsszenario einen etwa 732 Quadratkilometer großen Bannwald bräuchte, der 50 Jahre zur Verfügung steht. Ihm ist auch bewusst, dass Klimaneutralität ein größeres Thema ist, als nur der Gebäudesektor und dass seine Zahlen ungefähre Voraussagen sind. „Aber die Tendenz, die sich aus meinen Werten aufzeigen lässt, ist trotzdem relativ klar.“ Und die sieht eben leider nicht so rosig aus.

Trotzdem machbar!

Zuversichtlich bleibt er aber trotzdem: „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir das schaffen. Aber es ist eine viel größere Herausforderung, als wir angenommen haben.“ Das solle aber nicht heißen, dass es nicht machbar sei. „Wenn man sich solche Ziele setzt, spielt man die Thematik herunter, sondern unterschätzt die Herausforderung der Klimaneutralität. Mit den technischen Mitteln, die wir als hochentwickeltes Land haben, finden wir aber Wege, dass wir das tatsächlich auch schaffen.“

Harter jedenfalls hat bereits mit der Landeshauptstadt München zusammen an dem Projekt “Grüne Stadt der Zukunft” gearbeitet, um diese Thematiken in Planungsprozesse zu implementieren. Und haben es damit sogar unter die Top Drei des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2021 geschafft. Harter hat auch sonst schon einige Male über seine Ergebnisse vor der Stadt München referiert und ist gespannt “was sie draus machen, wie das weiter kommuniziert wird und wie das vielleicht auch im Stadtrat bearbeitet wird.”


Beitragsbild: Jan Antonin Kolar via Unsplash

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