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Zum Geburtstag viele „subjektive Erinnerungen“: Die Kunsthalle Lothringer13 wird 40

Die Kunsthalle Lothringer13 feierte letztes Jahr ihr 40-jähriges Bestehen. Das Industriegebäude ist seit 1980 Ausstellungsraum, Treffpunkt und Arbeitsatelier für die Kunstszene in München. Für manche war sie zeitweise sogar ein Wohnsitz. Bei einer digitalen Führung im Rahmen der Jubiläumsausstellung „over13 – reflections on an artspace“ stoßen wir auf eine bewegte und facettenreiche Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden.

Los ging es eigentlich mit der Einsicht, man würde in München allmählich den Anschluss an die internationale Kunstszene verlieren. Inmitten großer Museen und einer alteingesessenen Galerieszene klaffte damals eine große Lücke für die kontemporären und vielleicht auch etwas wilderen Strömungen der Kunstwelt. Das war 1979, als nicht zuletzt die CSU im Stadtrat darauf drängte, die heimische Kunstszene aktiv zu stärken und einen Nährboden dafür zu bereiten. In der Wochenzeitung ZEIT war München zuvor als „Schlusslicht“ der Kunststandorte betitelt worden. Das wollte man nicht auf sich sitzen lassen. Eine neue städtische Kunsthalle sollte also her, gefördert und initiiert vom Kulturreferat. Gefunden wurde eine stillgelegte Fabrikhalle in der Lothringerstraße 13 im damaligen Studenten- und Arbeiterviertel Haidhausen.

So erzählen es Karianne Fogelberg und Sarah Dorkenwald vom Kollektiv UnDesignUnit, als ich sie zur Online-Führung “treffe”. Gemeinsam wollen wir – verbunden durch unsere Smartphones – einen Blick auf ihr „Archiv der subjektiven Erinnerungen“ werfen. (Geht momentan natürlich nicht anders wegen Corona.) Die Installation ist Teil der Jubiläumsausstellung „over13 – reflections on an artspace“. Zusammen mit ihrer Partnerin Tanja Seiner haben sie eine Materialsammlung aus vier Jahrzehnten Ortsgeschichte zusammengetragen. Der erwähnte Stadtratsbeschluss aus dem Jahr 1979 ist etwa als Leihgabe im Original zu sehen.

Stadtratbeschluss von 1979 – Originaldokument – Foto vom "Archiv der subjektiven Erinnerungen" von UnDesignUnit im Rahmen der Ausstellung "over13 – reflections on an art space"
Stadtratsbeschluss aus dem Jahr 1979 – Foto: ©Constanza Meléndez

Neben Flyern, Katalogen, Dokumenten und Fotos ist vor allem eine Reihe von mündlichen Erzählungen das Kernstück dieser subjektiven Spurensuche. Dazu haben sie Interviews geführt mit prominenten Wegbegleiter*innen, wie etwa dem damaligen Abteilungsleiter für bildende Kunst im Kulturreferat, Dr. Michael Meuer (verantwortlich 1980-2002), dem Künstler Wolfgang Flatz, der langjährige Kuratorin Uli Aigner und Bernd Bayerl, dem Mitbetreiber der benachbarten Kultkneipe Café Größenwahn. Hörbar sind auf diesen narrativen Tondokumenten nun konsequenterweise nur die Zeitzeugen. 

(Einen Teil dieser Wortbeiträge haben wir unten im Beitrag eingebunden. Alle Beiträge gibt es auch hier zum Nachhören.)

Der nächste, Bitte…

„Das war ein richtiges Feuerwerk, das hier in den ersten Jahren abgebrannt wurde“, erzählt Fogelberg. Knapp 50 Ausstellungen gab es etwa im ersten Jahr. Man musste sich damals im Prinzip nur im zuständigen Kulturreferat einigermaßen überzeugend anmelden und bekam die Ausstellungsfläche zugewiesen, wenn noch etwas frei war. Das sorgte für Fluktuation und Wirbel. Ein Freifahrtschein, der radikalere und spannendere Postionen ermöglichte – verglichen mit den konservativeren großen Häusern mit ihren großen Etats.

Da war etwa die Ausstellung in einem komplett dunklen Raum, die man nur mit zusätzlich verbundenen Augen betreten durfte. Gezeigt wurden damals unter anderem Werke von blinden Künstler*innen. „Da gab es eine hundert Meter lange Schlange“, erinnert sich etwa Barbesitzer Bernd Bayerl im Gespräch mit den Archiv-Macherinnen. Für solche avantgardistische, emanzipatorische oder experimentelle Ansätze war damals Platz.

Bezüge zur Subkultur

Offen und fließend blieben auch die Bezüge zur Subkultur. In den 1980er Jahren etwa ging das nebenan beheimatete Kultlokal Café Größenwahn eine quasi-symbiotische Beziehung mit der Lothringer13 ein. Eingerichtet und designt wurde „Deutschlands erste New Wave Kneipe“ (noch bevor das heute berühmte SO36 in Berlin aufgemacht hat) vom Künstler Wolfgang Faltz. Wer es als Künstler*in nicht bis in die Hausnummer 13 geschafft hat, der hing manchmal trostweise zumindest in der Nummer 11 an der Wand, erinnert sich dieser etwas süffisant im Gespräch mit den Archivar*innen.

Foto: © Constanza Meléndez

Er selbst hat zeitweise gegenüber der Kneipe in der Ladengalerie der Kunsthalle gelebt und gehört heute zu den bekanntesten Protagonist*innen aus dieser frühen Zeit. Hat hier zum Beispiel einen Friseurladen, ein Fitnessstudio und ein Tattoostudio installiert, als das allesamt ästhetisch noch als minderwertig und proletarisch konnotiert war. Später in den 00er Jahren feierte Anna McCarthy dann die legendären (und vielleicht etwas halblegalen) „under13“ Parties im kleinen, schwitzigen Keller des Gebäudes. „Mach uns eine Party und wir geben dir für den Rest des Monats ein Arbeitsatelier“, lautete hier die Devise.

Foto vom "Archiv der subjektiven Erinnerungen" von UnDesignUnit im Rahmen der Ausstellung "over13 – reflections on an art space"
Foto: © Constanza Meléndez

Von der Fluktuation zur Kuration

Grundlegend änderte sich das Konzept dann zur Jahrtausendwende. Im Kulturreferat wollte man sich aus der detaillierten Programmgestaltung zurückzuziehen und stattdessen dauerhafte Kurator*innen einsetzen. Mehr Branding und Profilierung sollte dadurch möglich werden. Figuren wie Courtney Smith – durch Ausstellungen in ihrem eigenen Wohnzimmer damals schon eine kleine Sensation in München – und Uli Aigner prägten den Ort dann über mehrere Jahre hinweg mit einer eigenen Handschrift. Von ihnen wurden manche Wände wortwörtlich eingerissen. Smith holte viele internationale Künstler*innen in die über 700 Quadratmeter großen Ausstellungsräume, machte auch Design, Architektur und gesellschaftliche Transformation zum Thema. Aigner tat sich weiter vor allem als erfolgreiche Förderin junger Künstler*innen hervor.

Die feierten hier oft ihre ersten großen Einzelausstellungen, erhielten dabei größtmöglichen Freiraum in der Raumgestaltung. Zuletzt war Jörg Koopmann fünf Jahre Leiter, bevor nun ab 2020 Lisa Britzger und Luzi Gross übernahmen und unter anderem eben diese Jubiläumsausstellung konzipierten.

Foto: ©Constanza Meléndez

Aussicht auf Wiedereröffnung der Ausstellung

Ende der Führung. Das Projekt war eigentlich als wachsende Installation gedacht, erzählen Fogelberg und Dorkenwald nach unserem digitalen Rundgang weiter, während parallel die auf Tischplatten ausgestellten Artefakte von einer Fotografin abfotografiert werden. 

Im „Empfangsbüro“ nebenan in der Halle sollten Besucher*innen sowie Zeitzeug*innen immer freitags von ihnen persönlich begrüßt werden. Hier hätten sie dann weitere Erinnerungsstücke entgegen genommen, zufällige Begegnungen und Gespräche mit den Besucher*innen gesucht. Das war in den ersten Wochen auch noch möglich, zum November aber musste die Halle wie alle anderen Museen und Ausstellungshäuser auch schließen. „Jetzt würden wir es vielleicht ganz anders konzipieren“, resümiert Sarah Dorkenwald. Denn die ursprüngliche Idee zum Projekt wurde schon vor Corona entwickelt. Wegen der ausbleibenden Interaktion ist es nun natürlich doppelt schade, dass die gesamte Ausstellung schließen musste. Gezeigt wurden dort auch – das sollte man unbedingt erwähnen – viele weitere Beiträge von renommierten und dem Ort verbundenen Künstler*innen wie etwa Gabi Blum und Anna Haifisch

Zwei Hoffnungsschimmer gibt es aber: zum einen wurde die Ausstellung nun vorerst bis zum 11. April 2021 verlängert. Eine kleine Chance auf Wiederöffnung besteht also noch. Zum anderen läuft die Suche nach Memorabilien nun eben online und über Mundpropaganda weiter. Sollten die Fördermittel dafür bereit gestellt werden, könnte das Archiv in der Lothringer dann auf Dauer gestellt werden. Und zumindest einen Vorteil hat die notgedrungene „Home Exhibition“ momentan: Man kann die vielen interessanten Oral-History-Beiträge der Zeitzeug*innen nun in aller Ruhe daheim nachhören.


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Interview mit Künstler Wolfgang Flatz

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Interview mit Uli Aigner (Kuratorin 2006-2010)

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Interview mit Bernd Bayerl (Mitbetreiber des Café Größenwahn)

Fotos: © Archiv der subjektiven Erinnerungen in der Ausstellung „over 13 – reflections on an art space“ in der Lothringer 13 Halle, München,Foto: Constanza Meléndez

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