Aktuell, aus dem Magazin, Stadt, Wohnen trotz München
Zweckentfremdung: 700 Wohnungen wurden dieses Jahr schon “gerettet”
- Lebascha – ein Naturkost-Fossil in Haidhausen - 18. Juni 2020
- Ein Hoch auf die Schnapsidee - 5. August 2019
- Probier’s mal mit Gemütlichkeit bei den Slow Down Walks! - 22. Februar 2019
Laut Statistiken des Amts für Wohnung und Migration hat sich die Zahl der akut Wohnungslosen in München seit 2008 verdreifacht. Rund 9.000 Personen sind derzeit wohnungslos, 17.000 warten auf eine Sozialwohnung. Wohnraum ist bekanntlich knapp, jeder Quadratmeter folglich Gold wert. Um jeden einzelnen vermietbaren Meter kämpfen die Stadt München und das Sozialreferat mit Hilfe der Kampagne „Zweckentfremdung ist kein Kavaliersdelikt“. Plakate in der Stadt zeigten im Zuge dessen Wohnungsgrundrisse, auf denen steht „hier könnten Sie einziehen“ oder „derzeit leider zweckentfremdet“.
“Derzeit leider zweckentfremdet”
„Zweckentfremdung liegt vor, wenn eine Privatwohnung länger als acht Wochen im Jahr vermietet wird“, erklärt mir Pressesprecherin Edith Petry vom Sozialreferat. Wohnraum müsse immer für seine eigentliche Bestimmung genutzt werden. Wenn Wohnraum länger als drei Monate leer steht oder mehr als 50 Prozent der Wohnfläche zum Beispiel als Büro genutzt werden, liegt ebenso Zweckentfremdung vor. Die Aufmerksamkeit auf das Thema zu richten sei wichtig, findet Petry:
„Gerade in unserer Stadt, die von Wohnungsnot geplagt ist. Und da gehen wir massiv gegen vor, wenn man systematisch Zweckentfremdung betreibt. Klar gibt es immer Leute, die das als Einschränkung ihrer Privatsphäre sehen. Aber Leute, die sich korrekt verhalten, die normal Leben – das hat nichts mit verpetzen zu tun, oder jemanden zu denunzieren. Man setzt sich als Mitmensch dafür ein, dass andere sich, genau wie man selbst, an bestimmte Regeln halten.“
Indizien, Ermittlungen und Verdachtsfälle – so werden die Wohnungen “gerettet”
Im Mittelpunkt der Kampagne steht nämlich ein Meldeportal des Sozialreferats. Jeder, der seinen Nachbarn im Verdacht hat, regelmäßig illegal seine Wohnung zu vermieten – sei es aus gewerblichen Gründen oder als eine Ferienwohnung – kann dies mit einem kurzen Mausklick der Stadt verraten. Durch Eingabe der genauen Adresse, der Art der wahrgenommenen Verwendung des (angeblich) zweckentfremdeten Wohnraums, sowie der genauen Beobachtungen, wissen die Sonderermittler direkt, wo und wen sie inspizieren müssen. Auch kann gleich eingeben werden, wann das Außendienst-Team das Beobachtete am besten nachvollziehen kann. Ob anonym oder mit Kontaktdaten für Rückfragen – um eine Anschwärz-Plattform handle sich das Ganze nicht, denn die verdächtigten Wohnungen würden nicht öffentlich präsentiert.
Ein Ermittlerteam geht schließlich den Hinweisen Sherlock Holmes-artig auf die Spur und prüft, ob überhaupt Zweckentfremdung vorliegt. Ohne Beweise, kein rechtliches Vorgehen gegen den Angeklagten. Im Anschluss folge also ein „Verwaltungsrechtliches Handeln“, bei dem zuerst der Vermieter zu Wort komme. Dann werden die verdächtigen Wohnungen von einem Sonderermittlerteam aufgesucht. In den meisten Fällen, sei den Leuten gar nicht bewusst, dass Zweckentfremdung vorliege und kooperieren sofort. „Auch den Touristen soll ja keine Angst eingejagt werden, die wissen das ja nicht. Die können dann auch natürlich nichts dafür“, versichert Frau Petry. Andere öffnen gar nicht erst die Tür oder wehren sich. „Das sind dann die dringenden Verdachtsfälle“, sagt sie weiterhin.
Elke Englisch ist Teil des Sonderermittlungsteams vom Amt für Wohnen und Migration der Abteilung Wohnraumerhalt. Sie berichtet, wie die Personen an den Türen auf das Team reagieren: „Selten erfreut. Es kommt aber immer darauf an, um wen es geht. […] Die Eigentümer sind oft nicht erfreut, die fühlen sich oft eingeschränkt in ihrem Eigentumsrecht. Da trifft man alle Charaktere“. Manchmal sei es auch schon zu Gewalt gekommen, vor allem verbaler Art. „Es ist aber nicht unsere Aufgabe den Konflikt zu lösen. In solchen Fällen rufen wir dann die Polizei“, erklärt Elke Englisch. Hier können Buß- oder gar Zwangsgelder folgen in der Höhe bis zu 500.000 Euro. Das komme jedoch immer auf die Größe der Ordnungswidrigkeit und die Kooperationsfreudigkeit an. „Der letzte Schritt ist die Zwangshaft, dann wird derjenige seiner Freiheit beraubt und eine Woche eingesperrt. Das passiert aber nur in wirklich ganz wenigen Prozent der Fälle so“, erklärt Edith Petry. Bei den meisten Fällen bleibe es bei einer Verwarnung.
Wohnungsvermittlungsplattformen als großes Problem
Ein großes Problem stellen außerdem Wohnungsvermittlungsplattformen wie AirBnB dar. Hier gebe es oft Anhaltspunkte für illegale Zweckentfremdung, jedoch keine schriftlichen Beweise. Adresse und Anbieter seien oft nicht eindeutig gekennzeichnet, der Anzahl an Bewertungen könne man jedoch entnehmen, dass die Wohnungen öfter als erlaubt vermietet werden.
„Wir haben im März 2018 bei AirBnB einen Fall gehabt, bei dem insgesamt 161.000 Angebotstage gelistet waren, von denen dann rund 94.000 gebucht worden sind. Also wenn man das dann auf den Tagesdurchschnitt runter rechnet, dann wissen wir, dass es um ein Angebot von rund 5.200 Unterkünften allein in München geht, wovon täglich 3000 gebucht werden.“ (Edith Petry)
Greifbare und belastbare Indizien seien das jedoch nicht. Aus datenschutzrechtlichen Gründen wolle AirBnB jedoch keine Daten zur Verfügung stellen, erläutert Petry weiter. Nach Setzung einer vierwöchigen Frist und einer Drohung von 300.000 Euro Zwangsgeld, habe AirBnB einer Kooperation eingewilligt – jedoch nur „aus einer rechtskräftigen Entscheidung, sprich einer gerichtlichen, was dann wieder Zeit kostet“, ahnt die Pressesprecherin.
Allein in diesem Jahr schon wurden knapp 700 Wohnungen vor Zweckentfremdung „gerettet“. Von 2013 bis 2017 waren es insgesamt 1100 Wohnungen, die nun wieder legal genutzt werden können. Vor allem in den Stadtteilen Haidhausen, Bogenhausen und um den Hauptbahnhof herum sei gegen Zweckentfremdung ermittelt worden. Wohnungen, die dauerhaft über Portale wie AirBnB vermietet werden, fehlen dem Immobilienmarkt.
Ob es sich nun um eine „Verpetzer-Kampagne“ handelt, oder um „geretteten“ Wohnraum kann jeder für sich selbst entscheiden – Fakt ist, dass Wohnraum dringend benötigt wird. Dass Menschen akut wohnungslos sind, darf nicht sein. Elke Englisch fasst zusammen:
„Es geht einfach darum, dass in dieser Stadt Mieten und Wohnraummangel ein großes Thema sind. Es ist wichtig, dass die städtischen Rechte genutzt werden und der Wohnraum wieder normalisiert wird. Schutz des Bestandes ist wichtig. Wenn der weniger wird, dann nutzen uns die ganzen Neubauten nur halb so viel.“
Unser aktuelles Magazin „Wohnen trotz München“ kannst du hier bestellen.
Beitragsbild: ©Elias Keilhauer via Unsplash