Kultur, Nach(t)kritik

Von autistischen Kühen und einem Turnbeutel

Markus Michalek

Hegemann1

Ein denkwürdiger Abend im Münchner Literaturhaus, wo die Nominierten für den diesjährigen Leipziger Buchpreis lasen – mit dabei: Helene Hegemann.

Fünf Autoren/Innen und zwei Moderatoren, die stellenweise hilflos wirken, stellenweise einen Slapstickgag nach dem Anderen in bester Loriot-Manier servieren (dies mag der besonderen Tatsache geschuldet sein, dass der Abend gleichzeitig fürs Radio mit aufgezeichnet wurde) und ein Publikum, das bekommt, was es verdient, denn die wirklich große Literatur passiert erst am Ende.

Anne Weber mit ihrem unterhaltsamen, leicht lesbaren, aber dennoch tiefgründigen Roman Luft und Liebe. Eine Autorin, die ihre Bücher auf Deutsch und Französisch schreibt – Sprachdistanz sei wichtig, gibt sie im Moderatorengespräch an. „Jedem kann man Derartiges nicht erzählen“, so einer der besten Sätze aus ihrer vorgetragenen Buchpassage, einer Liebesgeschichte voller Dopplungen, die sicherlich ihre Leser(innen) finden dürfte. Bereits hier zeichnet sich ab, was den Abend dominieren wird. Unsägliche Diskussionen um die ewig alte Frage nach der Biographie. Haben Sie das alles erlebt, Frau Weber, oder haben sie sich das ausgedacht? Als wäre das die einzig wirklich wichtige Frage – des Pudels Kern …

Lutz Seiler, ein Autor der einen Erzählband vorlegt, Die Zeitwaage. Dass er von der Lyrik kommt, spürt man sofort an seinen rhythmusdiktierten Sätzen. Es gibt nichts auszusetzen und spiegelt das Spezielle des Leipziger Buchpreises wider: Auch Erzählbände können hier gewinnen – anders als in Frankfurt. Lutz Seiler jedenfalls weiß das Publikum zu unterhalten. Der Moderator schenkt ihm später einen Turnbeutel, an Anne Weber geht eine Tafel Schokolade, an Georg Klein später Lakritz. Mit den Fragen nach der Biografie geht er locker um, er gibt Anekdoten aus der Schulzeit zum Besten und die Zeitwaage, eines der unverzichtbaren Werkzeuge für Uhrmacher, wirft für einen kurzen Moment Magie in den Saal – ein Literat zeigt was mit Worten möglich ist.

Jan Faktor, Autor mit Prager Wurzeln, ist der Nächste an diesem Abend, der die Messlatte für Literatur ein Stückchen weiter anhebt. Sein Auszug aus dem Roman mit dem irrwitzigen Titel Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder Im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag führt das Publikum zurück in die Zeit des Prager Frühlings. Harte, schnelle Betrachtungen und politische Diskurse bis hin zum Maoismus finden in diesem Saal allerdings nur wenig Anklang – überall überforderte Gesichter. Jan Faktor ist zugleich aber auch der erste Autor, der sich gegen die unsägliche, den ganzen Abend über mit der Brechstange geführte Biografiedebatte wehrt. Die Diskussion würde zu kompliziert werden, die Auffassung des Moderators hinsichtlich des Prager Frühlings wäre viel zu niedlich – mit derartigen Antworten weicht er aus, zeigt deutlich, dass es ihm nicht der Sinn danach steht, sich in dieser Kategorie festnageln zu lassen. Ein Autor, der die Ästhetik des Hässlichen befürwortet und als Einziger noch aus einem ungedruckten Buch liest – ganz altmodisch vom DIN A4-Blatt, selbst wenn es sich dabei um eine Druckfahne handeln dürfte.

Helene Hegemann, auf die alle zu warten scheinen, für viele offenbar der Anreiz, überhaupt zu kommen. Das mittlerweile 18-jährige Mädchen, dass die Republik in Freund und Feind gespalten hat, wie ihr vom Moderatoren konstatiert wird, gibt erwartungsgemäß markige Antworten: „Ich lade keine Filme oder Musik illegal aus dem Netz herunter“, sagt sie. Das klingt fast höhnisch, bedenkt man ihre seltsame literarische Arbeitsweise, zu der sie sich auch trotz wiederholter Nachfragen nicht klar äußern kann oder will. „Wenn man strafmündig ist, ist das auch nicht so wahnsinnig großartig“, sagt sie. Sie wolle jedenfalls keine autistische Kuh sein, die belanglos über ihr Angeborenes und Selbsterlebtes schreibt, bricht es schließlich aus ihr heraus. Die barbarische Pressemaschinerie dankt ihr für solche Äußerungen, ihre immer noch elliptische Sprechweise und eine atemberaubende Lesegeschwindigkeit jedenfalls machen Mitschreiben schwer.

Knapp drei Minuten dauert ihr Vortrag aus Axolotl Roadkill, ein einziger, unakzentuierter Brei aus Wörtern (Gewalt, Kotze, Familie, das kam so in etwa vor), aus dem freilich einige herausragen. „Grobporig“, flüstert ein Sitznachbar, das sei übrigens auch aus Strobo. Das Publikum jedenfalls, das zu einem großen Teil aus Frauen zwischen 40 und 50 besteht, dankt ihr diesen Auftritt mit Applaus und verlässt danach schnell den Saal. Den Tick, sich ständig die Haare aus dem Gesicht zu streichen, hat sie mittlerweile gut unter Kontrolle. Wohl auch eine Auswirkung der Pressemaschinerie. Doch deren Opfer zu sein, dieses Image versucht sich wacker weiter zu halten.

Georg Klein, der letzte und vermutlich routinierteste Autor, nimmt ein derartig unerzogenes Publikum jedenfalls gelassen. Ein Träger des Bachmannpreises lässt sich schließlich nicht von einem Buchhype und daraus resultierenden Menschverhalten wie durch Axolotl Roadkill ausgelöst, aus der Fassung bringen. Schmunzelnd, mit Genuss verliest er aus seinem Roman unserer Kindheit die vermutlich beste Literatur-Passage an diesem Abend: Ein Stück Zeitgeschichte, das bis in den Zweiten Weltkrieg zurückführt und durch seine dämonische Eindringlichkeit für Ruhe und definitiv konzentrierte Gesichter im Publikum sorgt. Dass es wie zuvor bei Hegemann brutal zugeht, Blut fließt, auch Sex eine gewisse Rolle spielt, das hat hier einen anderen Stellenwert. Die über 30 Jahre Unterschied zwischen diesen beiden Autoren machen sich vor allem in der Qualität ihrer Texte bemerkbar. Ein begnadeter Entertainer ist er im Übrigen auch, der Herr Klein. Dass Witze Knallfroschprosa seien, gibt er in seinem Abschlussgespräch zum Besten und ebenso freimütig: Mein Werk ist ein Autobiografisches – ein glückliches Moderatorengesicht die Folge.

Ein denkwürdiger Abend im Literaturhaus München und fünf Autoren, die für einen Preis antreten. Dass es die Jury definitiv nicht leicht haben wird, ist klar. Ob es aber wie bei den vergleichsweise olympischen Spielen nach genauen und nachvollziehbaren Kriterien wie Zeit und Zeitmessung gehen sollte, bleibt offen. Wer wissen will, ob sein persönlicher Tip richtig liegt: am 18. März 2010 dürfte gegen 16 Uhr der oder die Preisträgerin bekannt gegeben werden. Von uns schon mal einen herzlichen Glückwunsch, verdient hätten ihn alle fünf.

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