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4 in muc – Chapter II
- we are the angry mob - 26. Oktober 2010
- Gewitter in der Seifenblase - 10. Oktober 2010
- Buchmessen-Alternativ-Programm: Singender Wortakrobat. - 8. Oktober 2010
Vorbemerkung: Vom Rollfeld in die Flughafenhalle hat es erstaunlicherweise ganze drei Monate gedauert. Vielleicht ist Mucl einem Loophole zum Opfer gefallen. Wie auch immer: Ab heute geht es weiter mit Mucl & Co – dem einzigen Fortsetzungsroman, in dem Du vielleicht einmal auftauchen wirst.
Die Gepäckausgabe ging reibungsloser über die Bühne als erwartet. Mucls Stirn glänzte trotzdem voller Angstschweiß. Denn der lange, graue Flur neigte sich dem Ende zu und Max hatte ihn vor den Schrecken gewarnt, die ihn nun erwarten sollten: der Nacktscanner! Ein großer, metallener Schrank, in den die Passagiere sowohl vor dem Abflug als auch nach der Landung eintreten sollten, um penibelst auf eventuell geschluckte Drogenware gecheckt zu werden – laut Max. Die Röntgenstrahlen haben dabei schon unzähligen Männern Verhütung für die Ewigkeit beschert – laut Max. Manche Flughafenmitarbeiter schossen auch Fotos und twitterten diese anschließend mit dem Hashtag #lowrider – laut Max.
Mucls Schritt blieb in der Luft hängen, seine lederne Reisetasche zog stärker an seiner Schulter, sein Mund trocknete innerhalb von Sekunden vollständig aus. Er hatte das Gefühl, einen riesigen Schluck Sand seine Kehle hinunter zu würgen. Verdorrte, schamvolle Gedanken machten sich in seinem Kopf breit. Nur noch dieser halbe Meter und dann musste es da sein, das Gerät, das Dr. Frankenstein stolz gemacht hätte.
In diesem Moment wünscht sich Mucl nichts sehnlicher, als in den letzten paar Monaten öfter um den vereisten See zu Hause gelaufen zu sein. Stattdessen saß er lediglich am Ufer, ließ die Beine träge vom Steg baumeln, stützte die Ellenbogen auf dem morschen Holz auf und blinzelte entspannt gen Horizont. Hier und da stieß eine Fontäne heißen Dampfes in die Lüfte, nur, um dann im Höhepunkt ihres Seins in tausend kleine Kristalle zu zerbersten. Der Nebel legte sich auf seine Wangen, und benetzte sie zart mit seiner flüssigen Wärme. Er konnte das vertraute Gefühl förmlich spüren, das Gewässer riechen, die Vögel schreien hören, die Tropfen auf seiner Haut fühlen … sehr genau fühlen, sogar. Nein, seine Wangen waren definitiv feucht - das bildete er sich nicht nur ein. Stattdessen stand plötzlich ein runder, bärtiger Wachmann vor ihm und forderte ihn auf, ihm zu folgen, “Routine-Kontrolle”.
“Routine ist gefährlich, da sie dazu führt, die Gefahr zu unterschätzen”, dachte sich Mucl, beschloss jedoch, dieses Zitat jetzt lieber nicht laut auszusprechen. Am Ende wäre er noch ein Terrorverdächtiger. Ein Terrorverdächtiger im Nacktscanner. Nein, danke, eine Peinlichkeit pro Tag sollte genügen. Als er endlich um die Ecke bog traf ihn sogleich ein dumpfer Schlag und setzte ihn außer Gefecht. Mucl sackte auf den klinisch reinen Boden der Passenger-Hall zusammen. “Welcome to Munich!” war das letzte, was seine erstaunten Augen wahrnahmen.
Tausend gefühlte Ewigkeiten später kam Mucl wieder zu sich und blinzelte angestrengt in neun Gesichter, die über ihm schwebten und ihn neugierig beobachteten. Sie hatten riesige Glotzaugen und winzig kleine Münder, ihre Konturen waren seltsam verzerrt. Er kniff die Augen zu und versuchte angestrengt, den Formen Namen zu geben. Doch aus neun Schädeln wurden sechs und aus sechs plötzlich nur noch drei. Drei, die er nur allzu gut kannte und liebte: Max, Bavi und Gustl! Ãœberglücklich sprang Mucl auf und fiel seinen besten Freunden in dieser einst so vertrauten Stadt um den Hals. Die vier standen da, umarmten sich und sprudelten alle auf einmal los: “Wasmachstduaufdemboden? Wiewarderflug? Warumseidihrhieramflughafen? Wowsiehstdugutaus! Naduersthörmal! Ichhabdichsovermisst! Endlichbistduwiederda! Hastdauachhunger?”
Nach einigen Minuten kamen sie wieder zu sich und strahlten sich mit einem Lächeln, das selbst der Grinsekatze Konkurrenz gemacht hatte, einfach nur an. Sie genossen den Augenblick des Wiedersehens bis Max sagte: “Dann mal auf! Wir haben viel vor! Ich sag nur: Culture Clubbing am Donnerstag, damit Du Deine Heimat erst gar nicht vermisst.” “Aber davor gehen wir shoppen. Hier is schließlich der Buy-or-Cry-Sale angesagt. Da MÃœSSEN wir einfach hin!” Mucl blickte zu Gustl, der nur lächelte und ihm einen typisch-Bavi-Blick zuwarf. Ja, typisch. Typisch zu Hause, dachte sich Mucl glücklich.
Nächste Woche geht es weiter.
Foto: Linus Kühne