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„Ängste haben immer einen Sinn“: Mentale Gesundheit in Zeiten von Corona

Anne Lenz

Einsamkeit, Depression und Gewalt sind in Zeiten der Pandemie keine Seltenheit. Die Isolation stellt für Viele eine große Belastung dar und gerade das Gefühl der Hilflosigkeit lässt einen in diesem Zustand verweilen.

Verschiedene Organisationen und Hilfstelefone bieten Anlaufstellen, um diesem Tief zu entkommen. Aber auch der persönliche Umgang mit psychisch erkrankten Menschen und der Schritt, sich Hilfe zu holen, stellen eine große Herausforderung dar. Kleine Tipps und Tricks können helfen, diese Aufgaben zu bewältigen und den Pandemie-Alltag zu meistern.

Bianca Beiderbeck, Psychologische Psychotherapeutin und Leiterin der Psychotherapeutischen und Psychosozialen Beratung (PTB) des Studentenwerks München, erlebt die psychischen Auswirkungen der Pandemie hautnah. Wir haben bei ihr nachgefragt.

MUCBOOK: Nehmen Sie in Ihrem Beruf Unterschiede zwischen der aktuellen Situation und vor-pandemischen Zeiten wahr?

Beiderbeck: Der Vergleich der aktuellen Situation zur Zeit vor der Pandemie ist aufgrund struktureller Veränderungen nur schwer herzustellen. Auffällig ist jedoch, dass die Beratungszahlen im Sommer 2021 weniger stark zurückgingen als in früheren vorlesungsfreien Zeiten üblich. Dies lag daran, dass wir nun pandemiebedingt telefonische und als neuen Service auch virtuelle Beratungsgespräche angeboten haben. Mit Beginn des Wintersemesters 2021/22 stiegen die Zahlen in allen Beratungsfeldern an.

Zur Psychotherapeutischen und Psychosozialen Beratung (PTB) des Studentenwerks München kommen Studierende nach wie vor wegen der verschiedensten psychischen Herausforderungen. Doch natürlich spielte auch die Pandemie häufig eine Rolle. Die Themen änderten sich dabei entsprechend der pandemischen Situation, also ob gerade ein Lockdown verhängt wurde oder ob es Lockerungen gab.

Zum Teil verschärften sich zudem bereits bestehende psychische Schwierigkeiten, da mit der Corona-Pandemie zum einen noch eine weitere Herausforderung zu bewältigen ist, und zum anderen gewohnte Bewältigungsstrategien, beispielsweise bestimmte Hobbys oder Sozialkontakte, zumindest zeitweise nicht mehr in gewohnter Form angewendet werden konnten. 

Inwieweit empfinden Sie selbst die Lage als psychische Belastung?

Anders als bei den meisten Themen, mit denen die Berater*innen konfrontiert sind, betrifft die Pandemie die Berater*innen selbst unmittelbar. Auch sie sehen sich in unterschiedlichem Umfang mit Themen wie der Angst vor Ansteckung, der hohen Anforderung an die Organisation des Familienalltags, Motivationstiefs, dem Verzicht auf soziale Kontakte, finanziellen Sorgen, etc. konfrontiert. Dies stellt einen hohen Anspruch an die Emotionsregulation im Beratungskontext dar, denn persönliche Themen dürfen nicht unreflektiert mit denen der Ratsuchenden vermischt werden.

Bianca Beiderbeck; Foto © Silvie Tillard

Zudem hat sich die Organisation der Arbeitsabläufe insgesamt erhöht – zusätzliche und neue Beratungsformate wie die virtuelle Beratung, Arbeiten aus dem Homeoffice, hohe Hygienestandards oder krankheitsbedingte Ausfälle bedeuten für alle Kollegen*innen Mehrarbeit. 

Gibt es „Selbsthilfe“-Tipps, die unsere Leser*innen anwenden können, sollten Sie unter den Kontaktbeschränkungen, der Isolation / Einsamkeit / Depression während der Pandemie leiden? Helfen beispielsweise Routinen oder bestimmte Rituale, um aus einem Tief herauszukommen und seine mentale Gesundheit zu stärken?

Die Ratschläge bezüglich Corona klingen im Prinzip recht einfach, fallen aber doch manchmal schwer in der Umsetzung. Phänomenen wie Antriebslosigkeit, Freudlosigkeit und Einsamkeit kann man durchaus entgegen wirken. Besonders wichtig ist dabei die Etablierung einer Tagesstruktur. Es kann helfen, sich schriftlich einen genauen Plan zu machen und darin beispielsweise Vorlesungszeiten, Freizeitaktivitäten, Lernphasen, Mahlzeiten usw. festzuhalten.

Dabei ist es entscheidend, nicht nur Pflichten aneinander zu reihen, sondern auch angenehme Aktivitäten zu planen – das Pflegen von Hobbys, (virtuelle) Treffen mit Freund*innen und der Familie, Körperübungen, Zeit an der frischen Luft, Körperpflege…

Der Umgang mit der Angst: wie bewältigt man Existenzängste, Angst vor einer Infektion, Angst vor der Zukunft, vor der Einsamkeit, vor der eigenen Psyche?

Ängste entstehen immer dann, wenn man ein Ereignis oder eine Situation als gefährlich einstuft und der Eindruck entsteht, dass man nicht über die notwendige Unterstützung oder die erforderlichen Kompetenzen verfügt, um die Situation bewältigen zu können. Oftmals schafft es deshalb bereits Entlastung, wenn man sich bewusst macht, welche Ressourcen man besitzt, um mit potenziellen Bedrohungen umzugehen.

Eine weitere Strategie könnte sein, dass man etwas, das man als gefährlich einstuft, genau zu Ende denkt. Oft stellt man dabei fest, dass selbst der schlimmst mögliche Ausgang etwas ist, mit dem man – zumindest vorübergehend – leben kann.

Wichtig ist , dass man sich für die eigenen Ängste nicht verurteilt.

Bianca Beiderbeck, Psychologische Psychotherapeutin und Leiterin der Psychotherapeutischen und Psychosozialen Beratung (PTB) des Studentenwerks München

Bei den meisten Menschen meldet sich nämlich neben der ängstlichen Seite noch eine weitere, die sie dafür kritisiert, dass man überhaupt Angst hat, anstatt mutig und gelassen zu bleiben. Dazu besteht aber kein Anlass, vielmehr wäre ein gewisses Selbstmitgefühl angezeigt. Schließlich ist es während einer globalen Pandemie absolut angemessen, Angst zu empfinden. Diese Angst sollte nicht geleugnet oder bekämpft werden, man muss sie vielmehr aushalten – auch wenn das nicht immer leicht fällt.

Unsplash © yasmina

Außerdem sollte man sich bewusst machen, dass Ängste immer einen Sinn haben: Mit ihrer Hilfe versucht unsere Psyche, auf ein vorhandenes Bedürfnis aufmerksam zu machen. Es lohnt sich also herauszufinden, welches Bedürfnis dies sein könnte und wie es sich befriedigen ließe.

Manchmal ist dieses innere Alarmsystem allerdings etwas zu empfindlich geworden. In solchen Fällen mag die Angst bei ihrem ersten Auftreten Sinn gemacht haben, schlägt aber im Vergleich mit den meisten Menschen zu oft oder zu intensiv Alarm. Das kann zum Beispiel im Rahmen von Angststörungen der Fall sein oder bei Depressionen. Sollte sich dies herausstellen, kann man im Rahmen einer Psychotherapie individuelle Strategien zum Umgang mit diesen Ängsten erarbeiten. 

Wann sollte man Hilfe holen?

Eine über mehrere Wochen anhaltende Antriebslosigkeit oder ein anhaltender Einbruch der Motivation, Interessenverlust, sozialer Rückzug, die Häufung von Konflikten, Konzentrationsschwierigkeiten oder körperliche Symptome sollte man in jedem Fall zum Anlass nehmen, die aktuelle Lebenssituation kritisch auf schwierige Themen hin zu überprüfen. Bei solchen Zweifeln oder einer gefühlten Ausweglosigkeit sollte man in jedem Fall Vertrauenspersonen zu Rate zu ziehen. Die haben einen Blickwinkel von außen und können dadurch eventuell weiterhelfen.

An die Psychotherapeutische und Psychosoziale Beratung können sich grundsätzlich alle Studierenden wenden, die über ihre Probleme mit erfahrenen Psychologen*innen sprechen möchten.

Es gibt nichts, was „nicht dramatisch genug“ wäre.

Bianca Beiderbeck, Psychologische Psychotherapeutin und Leiterin der Psychotherapeutischen und Psychosozialen Beratung (PTB) des Studentenwerks München

Die PTB versteht sich als Anlaufstelle für alle, die das Gefühl haben, dass es gerade „nicht rund läuft“ und dass sie an der Situation etwas ändern möchten. Dabei spielt es keine Rolle, wie hoch der Leidensdruck ist und es gibt auch nichts, was „nicht dramatisch genug“ wäre. Gerade letzterer Gedanke hält viele ab, zu einem frühen Zeitpunkt Hilfe in Anspruch zu nehmen – was sehr schade ist, weil gerade da eine Hilfe häufig noch relativ schnell möglich ist.

Wie kann man selbst Unterstützung leisten?

Oft hindern Berührungsängste oder Befürchtungen, etwas Falsches zu sagen, uns daran, sich ehrlich nach dem Befinden unseres Gegenübers zu erkundigen. Ich denke aber, eine aufrichtige Anteilnahme ist wichtiger, als in solch einem Moment die perfekten Worte zu finden.

Ein ehrliches „Ich habe den Eindruck, dass es Dir nicht gut geht. Ich bin da, wenn Du Unterstützung dabei brauchst, um Dir Hilfe zu suchen“, ist aus meiner Sicht immer hilfreich.

Vielen Dank für das Gespräch, Bianca Beiderbeck!


Hier kannst du dir in Zeiten von Corona telefonisch Hilfe holen!


Beitragsbild: Unsplash © anniespratt

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