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Alles Latte in Brooklyn: Kaffeeklatsch mit dem Barista meines Vertrauens
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Wenn man in New York einmal kurz dem Trubel entkommen will, sollte man am besten alle paar Blocks ein gutes Café kennen, in das man flüchten kann. Und das ist gar nicht schwierig, denn von den hippen, kleinen gibt es gefühlt genauso viele wie Yellow Cabs. Ihre schwarzen Klapptafeln säumen die Gehwege wie die Müllsäcke den Straßenrand. Mit Kreide und kleinen Malereien preisen sie ihre Besonderheiten an: Kaffee in allen Variationen, Farben und Aromen. In dieser Welt, in der man scheinbar bereits eine Barista-Ausbildung braucht, nur um die Karte zu verstehen, ist das Café-Lokal schon lange mehr als nur ein Nutzen zum Zweck. Es ist ein Gesamtkonzept, ein Erlebnis. Ich habe mir meinen Barista des Vertrauens geschnappt und mir die Welt der Brooklyn-Kaffeeszene erklären lassen.
Zufluchtsort und Ausweich-Wohnzimmer
Während die Starbucks-Filialen mittlerweile mit Pappbecher und Vorbestellungs-App auf schnellen Umschlag setzen, zählt in den 3rd-Wave-Cafés wieder das Zusammenkommen, der Genuss und die Qualität. Und obwohl es so viele davon gibt, hat doch jeder irgendwo sein Stamm-Café, das als Zufluchtsort und Ausweich-Wohnzimmer dient, wenn das Loft ohne Klimaanlage nicht mehr auszuhalten ist, oder die Mitbewohner spontan eine Party schmeißen. Mein Café des Herzens heißt Café Beit und ich komme regelmäßig auf einen Flat White oder Cold Brew, zum arbeiten, lesen oder quatschen vorbei. Ich kenne die Besitzer und die anderen Stammgäste und es fühlt sich schon lange nicht mehr wie ein öffentlicher Raum für mich an. Das Café Beit an der Bedford Avenue in Williamsburg ist auf den ersten Blick nichts überaus Besonderes, hat mich aber vor über einem Jahr beim ersten Besuch verzaubert. Vielleicht, weil in dem Laden eine ganze Menge Leidenschaft steckt, wie ich im Gespräch mit Patrick, einem der drei jungen Besitzer, herausfand.
Als erstes lernte ich, dass man einen Unterschied zwischen der New Yorker- und der Brooklyn-Kaffeekultur machen muss. Auf der Hauptinsel der Stadt ist es nämlich per Gesetz verboten, Kaffee zu rösten, weshalb es dort lediglich die Vertreiber, sprich die Cafés gibt. In Brooklyn aber sprießen mehr und mehr Cafés aus dem Betonboden, die auch selbst rösten oder die Ware zumindest aus der direkten Nachbarschaft beziehen. Für die 3rd-Wave-Kaffeegeneration ist die Rösterei wieder in den Fokus gerückt und vielleicht der wichtigste Aspekt in Sachen Qualität.
“Alles, was das Café am Ende tut, ist die gute Arbeit der Rösterei weiterzuführen, den Standard zu halten und das Produkt auf eine bestimmte Art und Weise zu präsentieren. Mehr und mehr Cafés rösten heute selbst, weil sie die volle Kontrolle über ihr Produkt wollen. Wenn man eben ein Kaffee-Nerd ist, muss man schon beim Rösten seine Finger im Spiel haben”, so Patrick.
Im Café Beit habt ihr Spectrum Kaffee aus einer kleinen Rösterei hier in Brooklyn, richtig?
“Ja genau, die Spectrum Coffee Roasters sind der Wahnsinn. Die Rösterei führen zwei Typen, mit denen ich früher mal in einem Café in Tribeca gearbeitet habe. Einer der beiden ist schon sein ganzes Leben im Kaffee-Geschäft, sein Vater führte ein kleines Café in Ridgewood, New Jersey und sein Kumpel hat dort als Barista angefangen. Sie machen seit Millionen Jahren Kaffee und sind seit Millionen Jahren Freunde, wenn ich das mal so übertreiben darf. Das Rösten lernten sie vom ersten Barista-Weltmeister aus Norwegen, sie haben also die bestmögliche Ausbildung was das betrifft. Und sind coole Jungs.”
Mit zu stark gerösteten und überzuckerten Kaffees beendeten Starbucks und Co. die Vorgänger-Generation, die ziemlich genau mit dem letzten Jahrtausend von der Dritten Kaffeewelle abgelöst wurde. Seitdem konzentrieren sich die kleinen Cafés auf Medium-Light-Röstungen, um Kaffee zu brauen, der keinen Schnickschnack drumherum benötigt. Weniger ist mehr: Trend ist es, den Kaffee ohne Milch, Zucker oder sonstiges zu perfektionieren. Mit guten Bohnen, der richtigen Röstung, und je nach Art und Weise der Zubereitung können Barista den Geschmack des Kaffees alleine variieren und ihre eigene Note finden, anstatt immer noch mehr zusätzliche Geschmacksverstärker, Sirup oder Arten von Milch und Sahne zu verwenden.
“Du kannst einen Schluck Kaffee nehmen und sofort erkennen, dass er nach Grapefruit, Reese’s Peanutbuttercups, oder was auch immer schmeckt. Man bekommt diese speziellen Geschmacksprofile einfach nur aus den Bohnen und heißem Wasser, das auf die richtige Art und Weise zubereitet wurde. Manche Cafés glauben immer noch, sie müssen super kreativ sein und ihre eigenen Kreationen erfinden. Ich kenne viele dieser Läden, die zum Beispiel ihren eigenen Lavendelsirup herstellen, oder so etwas in der Art, um Lavendel-Latte anbieten zu können. So kleine Dinge sind zwar ganz nett, aber wenn die Basis, der Kaffee nicht gut ist… wozu das Ganze?”
Herrscht in dieser Szene großer Konkurrenzkampf und ständiger Druck, sich etwas Neues einfallen zu lassen?
“Ja, leider. Generell herrscht in der Kaffeeszene in New York viel größeres Konkurrenzdenken als an anderen Orten, die ich besucht habe. Das ist dieser “New York State of Mind”, jeder will der Beste auf seinem Gebiet sein, anstatt sich der großen Gemeinschaft an Leuten zu erfreuen, die dieselbe Leidenschaft teilt.”
Wie geht ihr im Café Beit damit um?
“Wir konzentrieren uns zur Zeit wirklich auf den Standard-Kaffee, der aber eben qualitativ erste Sahne sein soll. Wir haben keine verrückten Latte-Kreationen, stattdessen machen wir aber zum Beispiel unsere eigene Mandel- und Kokosmilch, wofür viele andere nicht die Zeit aufbringen wollen. Es ist nicht super rentabel und viel Aufwand, aber am Ende des Tages steigert sowas die Qualität des Kaffees um vieles mehr als irgendwelche ausgefallenen Geschmacksvarianten.”
“Wir machen einfache Dinge, aber die machen wir gut.”
“Das Café Beit ist im Prinzip nichts anderes als unser Zuhause. Wir verbringen so viel Zeit hier, essen und trinken natürlich selbst den ganzen Tag über unsere Waren. Ich glaube, deshalb haben wir das Café zu diesem Ort gemacht, in dem wir selbst wohnen und leben wollen, anstatt nur darauf zu achten, was uns am meisten Profit einbringt. Wir haben aufgehört zu überlegen, wie wir schick und hip und cool sein können, haben uns stattdessen auf das Minimum reduziert.”
Du sagst, das Café ist auch für euch euer Zuhause. Was magst du denn persönlich am Café Beit am liebsten?
“Ich liebe den Hinterhof, in dem wir gerade sitzen. Am allermeisten liebe ich diesen Japanischen Ahorn. Wie die Sonne ihn Nachmittags beleuchtet und all die verschiedenen Farbvariationen, die er hervorbringt. Es ist einfach ein schöner Baum. Ich hatte genau so einen auch im Garten meiner Eltern, vielleicht mag ich ihn deshalb so gerne. Außerdem haben wir eine ganz tolle Gruppe an Stammgästen, die fast jeden Tag im Café arbeiten. Dabei muss man bedenken, dass wir die Leute in ihren schlechtesten Momenten zu Gesicht bekommen. Wenn sie hier herkommen um zu arbeiten, weil sie dringend Koffein brauchen, wenn sie am Tiefpunkt ihres Tages sind. Dass unsere Stammgäste trotzdem immer eine gute Gesellschaft sind, weiß ich sehr zu schätzen und das hätte ich mir um ehrlich zu sein auch nicht so ausgemalt. So haben wir alle einen Arbeitsplatz, an dem man nicht ständig von genervten Leuten umgeben ist.” (lacht)
Das fiel mir hier auch schnell auf. Die Leute verbringen Stunden bei nur einer Tasse Kaffee und arbeiten, dazwischen ergeben sich spannende Gespräche, die über den üblichen Smalltalk hinausgehen.
“Ja, das ist toll. Ich glaube das liegt an dieser Gegend. Sie ist gefüllt mit Künstlern und mittlerweile fast nur noch die Sorte, die ganz gut davon leben kann, die nicht mehr um ihre Existenz kämpfen muss. Es ist total spannend mitzubekommen, was sie so machen und wie ihre Arbeit vorangeht. Die Leute hier sind auch sehr offen bezüglich den Dingen, die sie uns so erzählen, während sie auf ihren Mocha warten. Manchmal bekommt das fast therapeutische Ausmaße und ich muss ihnen plötzlich ernste, tief gehende Ratschläge liefern, dabei wollte ich doch eigentlich nur wissen, wie ihr Tag so war. Vielleicht sind Barista die neuen Friseure.” (lacht)
Was wünschst du dir als Barista vom weiteren Verlauf des Kaffee-Trends?
“Ich hoffe, dass die steigende Qualität dazu führt, dass Leute öfter einmal was Neues probieren. Wenn man sich bei uns einen Filterkaffee bestellt, würde ich mir wünschen, dass die Leute ihn erst einmal probieren, bevor sie Zucker und Milch rein schütten. Er hat eine natürliche Süße, die manche vielleicht gar nicht kennen, ihnen womöglich aber schon reichen würde. Die Leute kommen meistens rein und bestellen ihren Latte, weil sie das immer so machen. Aber warum versuchen nicht mehr von ihnen öfter mal was Neues? Wir können auch bei der Wahl helfen, je nachdem wonach sie suchen: Wollen sie etwas Beruhigendes, etwas mit langer Wirkungsdauer oder einen Energieschub, wir können für alles Optionen bringen. Das versuche ich ihnen immer zu vermitteln. Außer den Cold-Brew-Leuten, die lasse ich in Ruhe. Die wollen einfach nur einen Energieschub mit möglichst langer Dauer, dabei geht es rein um den Nutzen und das ist auch okay. Aber bei allen anderen würde mich interessieren, weshalb sie bestellen, was sie bestellen.”
Ist das nicht vielleicht eine Frage der Gewohnheit? Kaffee trinken ist doch wie rauchen, da wechselt man auch nicht gerne die Marke.
“Das stimmt, aber weil sich mein Leben um Kaffee dreht langweilt mich das. Ich wünschte, die Leute hätten grundsätzlich eine größere Sichtweite auf Kaffee. Ich habe auch schon Gewohnheiten von Kunden verändert, nachdem sie sich auf ein paar Tips eingelassen haben.
Trinke von mir aus an sechs Tagen der Woche denselben Kaffee und am siebten Tag versuchst du einen anderen, du weißt nie was passiert. Vielleicht verändert er dein Leben. Sollte das so sein, hast du zwar ein sehr trauriges Leben, aber zumindest eine gute Tasse Kaffee dazu.”
Fotos: © M. Cooper