Kultur, Leben

Angefixt und entzogen

Markus Michalek

Schreiben verursacht Schmerzen. Schreiben ist Exzess. Der Münchner Web-Poet Kapinski wird an dieser Stelle jede Woche über die Schmerzen, den Exzess, das Glück schreiben. Schreiben in München. Eintrag Nr.2.

… denn, ich will alles und ich will es jetzt. Was ich nicht haben kann, nehme ich mir, sagte Colette.

Jeder besitzt Idole. Manche lassen einen nie wieder los, andere verlieren über die Jahre an Glanz. Aber jedes Wort willst du, und wenn du sie alle hast, willst du mehr. Ist dein Idol noch am Leben, besteht eine reelle Chance, dass dein Drang erfüllt wird. Die Lust am Lesen will gestillt werden, ein quengelndes Kind an der Mutterbrust, an jedem Nippel eines.

Angefixt:

Jörg Fauser – der Dichter, Schriftsteller und Journalist. An den Universitäten sträflich vernachlässigt, vielen ist er kein Begriff. Keiner, der einem Kanon angehört. Warum eigentlich? Denn, von Journalisten als Gott verehrt, von (nicht allen) Autoren ebenso, wäre es längst an der Zeit, sein Werk in die Hand zu nehmen. Wer es einmal getan hat, legt es so schnell nicht wieder weg. Müsste nun jeder Journalist ein Schriftsteller werden? Müsste jeder Schriftsteller zum Journalisten avancieren?

Nein. Kleider machen Leute, Bücher machen Autoren und Artikel Journalisten, Frauen manchen Männer, manchmal auch andersherum. Aber nicht jedem steht der Armanianzug so gut wie Charles Schumann. Und Fauser, der Trunkenbold, der sich nicht zu schade war, sein Leben für das Schreiben zu geben? Der zeigt vom Anfang seines Schaffens an nur eines: Es ist lernbar. Ab der ersten Klasse übrigens – fleißige Kinder kritzeln schon früher. Auch literarisch ist Kritzeln lernbar, ebenso wie journalistisch. Schreibschulen sind das eine, Talent das andere, Disziplin ein weiteres. Nur, eines kann keine einzige Schreibschule ersetzen: Lesen – und durch Lesen lernen.

Lernen, wie man schreibt, worüber und weshalb. Denn, „… wenn das Leben, sofern es würdig ist, zum Schreiben führt und das Schreiben, sofern es wahrhaftig ist, zum Leben“ (Fauser, 1979, aus: der Strand der Städte), dann erst erhalten Worte, aneinandergereiht erst ihre wirkliche Bedeutung. Ich bin immer wieder entsetzt, wie viele Autoren man trifft, die unverblümt zugeben, sie würden nur wenig lesen. Oder schlimmer noch, sie lesen wie die Irren und schaffen es nicht, sich von Ihren Vorbildern zu lösen. Den eigenen Weg wählen, auch wenn das schmerzhaft wird – der Moment, der Spreu vom Weizen trennt. Wir brauchen keine 345 Thomas Bernhards, auch keine weiblichen und schon gar nicht 899 mal Judith Herrmann, auch nicht in männlicher Form.

Entzogen:

Hemingway. Man liest ihn mit sechzehn. Genau das richtige Alter, um die Weichen für ein Leben zu stellen. Autor und Journalist, wenn auch das eine bei weitem nicht so gut wie das andere. Man liest ihn mit Mitte Zwanzig und weiß, warum man ihn mit sechzehn gut fand.  Nur, dass sich mit dem fortschreitenden Alter Langeweile einstellt, dass seine Sprache ihre Magie verloren hat. Am Horizont verschwindet einer, den man lange geliebt hat. Dem man geglaubt hat. Nur manchmal, da tauchen diese Worte wieder auf. Für einen Moment, weil es dem Autor gelingt, einen weiteren Satz zu schreiben. Fiesta, das ist das einzige Buch, das ich von Hemingway auch älter geworden noch lesen kann.

Die Folgen:

Manche, die schreiben, bleiben ein Leben lang daran hängen. Andere hören irgendwann auf, aus welchen Gründen auch immer. Der Entzug ist immer schmerzvoll, immer grausam. Ein Abschied, von dem ich nicht weiß, ob es je ein Wiedersehen geben kann. Auf Lesungen ist dieses Phänomen gut zu beobachten. Denn manche gehen, verlassen einen Saal, sie kehren nie wieder. Es ist dann vielleicht besser so.

Nachtrag:

Bezeichnend und fast schon der Humor des Zufalls; mit Jörg Fauser hat mich 2007 ein Journalist angefixt. Einer, der auch einen guten Schriftsteller abgegeben hätte. Ich danke ihm, ich danke Jörg Fauser. Ich schäme mich nicht, zuzugeben, dass ich blind war, 27 Jahre lang, für dieses Schreiben, dieses Denken, dieses Leben.

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