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Die Zeit wird knapp: Schafft München die Energiewende?

Die Energiewende ist eine Mammutaufgabe. Damit sie gelingt müssen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft mit vereinten Kräften an einem Strang ziehen – auch in München. Zeit zum Handeln bleibt kaum noch, denn die Verbrennung fossiler Energieträger ist eine der Hauptursachen der von Menschen gemachten Klimakrise. Deren Folgen werden immer deutlicher sicht- und für Menschen, Tiere und Pflanzen spürbar: Ihnen machen in zunehmendem Maße Hitzewellen, Überschwemmungen, Stürme und Waldbrände zu schaffen. Energieexperte und Politologe Alexander Hauk berichtet auf MUCBOOK über den aktuellen Stand der Energiewende, notwendige Schritte, faire Kostenverteilung und Verantwortung in einem Gastbeitrag.

In diesem Jahr wollen die Stadtwerke München (SWM) rund 6,3 Millionen Kilowattstunden Ökostrom produzieren – das entspricht laut SWM rund 90 Prozent des Münchner Verbrauchs. Ab 2025 sollen dann so viel Ökostrom in SWM-eigenen Anlagen produziert werden, wie in ganz München verbraucht wird – vor allem durch Photovoltaikanlagen. Der Bedarf an Fernwärme in der bayerischen Landeshauptstadt soll bis spätestens 2040 CO2-neutral gedeckt werden. Hier setzen die SWM überwiegend auf Tiefengeothermie.

Bundesweit hat der Krieg in der Ukraine die Diskussion um die Energiewende neu angefacht. Selbst wenn Deutschland fossile Energie statt aus Russland aus anderen Ländern importiert, werden damit keine Probleme gelöst. Genauso wäre es nicht zu verantworten, den Betrieb der letzten Kernkraftwerke zu verlängern. Angesichts drohender Gas- und Kohleengpässe plant die Bundesregierung jetzt, Strom schon ab 2035 zu 100 Prozent regenerativ zu erzeugen. Deutlich schneller als bisher geplant. Allerdings: Mit den bisherigen Energiewende-Maßnahmen verfehlt Deutschland seine Klimaziele.

Wenige Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine erschien ein neuer Bericht des UN-Klimarats IPCC, der unmissverständlich klarmacht: Die Erde steht kurz davor, in ein unkontrollierbares Klimachaos zu kippen, wenn nicht sehr schnell gegengesteuert wird. UN-Generalsekretär António Guterres wählte deutliche Worte: „Die Weigerung zu entschlossenem Handeln ist kriminell.“

Viele begehren auf angesichts der Untätigkeit von Entscheider*innen – Foto von einem Demoaufruf; © Alexander Hauk

Die Klimakrise ist keine plötzlich auftretende Katastrophe. Seit Jahrzehnten warnen Wissenschaftler vor den Folgen. So berichtet zum Beispiel die Tagesschau in der Sendung vom 17. März 1995 über den wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung, der eindringlich vor einer Klimakatastrophe warnt. Damals hieß es, dass die Kohlendioxid-Emission jährlich um ein Prozent verringert werden müsse, sonst wäre ein Gegensteuern in rund 25 Jahren nicht mehr möglich.

Der entscheidende Zeitpunkt ist nun gekommen und das bisherige Fazit fällt bescheiden aus. Obwohl längst bekannt ist, dass die Verbrennung von fossilen Energieträgern eine der Hauptursachen der Klimakrise ist, wurden weiterhin Kohlekraftwerke gebaut, Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren massiv subventioniert und der Ausbau von erneuerbaren Energien erschwert.

Zeit zum Handeln bleibt nun kaum noch, denn die kritische Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius wird bereits 2030 erreicht – zehn Jahre früher noch als 2018 prognostiziert. 2019 war die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre höher als zu jedem anderen Zeitpunkt seit mindestens zwei Millionen Jahren. Die gute Nachricht: Laut einer aktuellen Studie könnten Wind- und Solarkraft den weltweit jährlichen Energiebedarf um ein Vielfaches decken. Ein Beispiel: Um die ganze Welt mit Sonnenenergie beliefern zu können, bräuchte es rund 450.000 Quadratkilometer Landfläche für Solaranlagen – das sind gerade einmal 0,3 Prozent der gesamten globalen Landmasse.

Sagenhafte Profite mit Atomenergie

Wenn das so ist, warum wurde dann nicht schon viel früher und entschlossener mit der Energiewende begonnen? Für die Kurzversion der Antwort muss der Wahlkampf-Slogan des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton herhalten: „It’s the economy, stupid!“. Solang einige wenige Unternehmen und Menschen mit Atomenergie und Energie aus Kohle und Erdgas Milliarden verdienen, fällt den verantwortlichen Entscheidungsträgern aus der Wirtschaft ein Umdenken und zukunftsfähiges Handeln schwer. Das nun auch wieder über Atomenergie diskutiert wird, hat vor allem einen Grund: Sagenhafte Profite. Laut der Freien Universität Berlin machte jedes der bereits abgeschriebenen deutschen Atomkraftwerke in der Vergangenheit rund eine Million Euro Gewinn – pro Tag.

Dabei ist die Idee, den Klimawandel mit Atomkraft zu bekämpfen, falsch und irreführend. Das ergibt keinen Sinn, vor allem mit Blick auf Umweltschutzgründe, denn Atomenergie ist hochgefährlich und zudem völlig unwirtschaftlich. Die Ergebnisse einer Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung zeigen deutlich, dass es sich unter keinen Umständen lohnt, in Atomenergie zu investieren, weder in neue Atomkraftwerke noch in die Verlängerung der Laufzeiten bestehender.

Zwei Generationen haben von der vermeintlich günstigeren und sichereren Stromversorgung durch Atomkraft profitiert, mindestens 40.000 Generationen müssen nun aber mit dem hochgiftigen Atommüll leben – und finanziell für die sachgerechte Lagerung aufkommen. Allein die Zwischenlagerung geht mit unabsehbaren Umweltrisiken einher. Und für die Endlagerung des hochgefährlichen und hochgiftigen Atommülls gibt es nach wie vor keine dauerhafte Lösung. Es ist auch keine Lösung den Atommüll ins Meer zu verklappen, wie es in der Vergangenheit in Europa praktiziert wurde. Hinzu kommt, dass der Uranerzabbau CO2-intensiv ist und ganze Landstriche unbewohnbar macht.

Wasserstromerzeugung im Walchenseekraftwerk – © Alexander Hauk

Es gibt keine vernünftige Alternative: Wir müssen weg von fossilen, gefährlichen und giftigen Energieträgern hin zu regenerativen Energien. Also weg von Erdöl, Erdgas und Atomenergie hin zu Bioenergie, Geothermie, Wasserkraft, Sonnenenergie und Windenergie. Der Umstieg auf erneuerbare Energien muss schnellstmöglich umgesetzt werden – in der Industrie, im Verkehrsbereich, im Gebäudesektor und in der Landwirtschaft. Die Technologie dafür ist längst vorhanden. Konkret bedeutet das: Der Ausbau von erneuerbaren Energien, Stromleitungen und Energiespeichern sowie dezentralen Lösungen muss forciert werden.

Großer Nachholbedarf besteht im Ausbau von Anlagen und der für den Betrieb notwendigen Infrastruktur. In Sachen Energiespeicher und Stromnetze könnte Deutschland längst viel weiter sein. Der Netzausbau ist das Rückgrat der Energiewende. Zwar wird immer mehr Ökostrom produziert, trotzdem kommt er nicht in die Steckdose, weil die deutschen Netze oft überlastet sind. Der Grund: Der Großteil des Windstroms wird zwar in Norddeutschland erzeugt, die Energie wird aber in den großen Wirtschaftszentren im Süden und Westen der Republik benötigt. Deshalb sind neue Stromtrassen notwendig, die Windenergie aus dem Norden Deutschlands in den Süden bringen.

Die Klimakrise verhandelt nicht

Welche Folgen zögerliches Handeln und unterlassener Klimaschutz hat, das mussten 2021 die Menschen in den Hochwassergebieten Deutschlands hautnah erfahren. Wenn wir die Energiewende schnellstmöglich umsetzen und damit die Emission von Treibhausgasen stoppen wollen, geht es nicht um Klimaschutz – es geht um Menschenschutz. Noch aber liegt Deutschland bei der Braunkohleförderung auf dem ersten Platz und fördert insgesamt mehr als Russland und die USA zusammen. Deutschland hat eine Vorbildfunktion, weil es seit Beginn der industriellen Revolution mit zu den größten Verursachern von CO2 zählt, übrigens noch vor China.

Grüne Energie mit Windkraft – © Alexander Hauk

Viele Menschen und Orte sind sich der Verantwortung bewusst: So hat zum Beispiel die Gemeinde Wildpoldsried vor Jahrzehnten selbst die Initiative ergriffen und den Grundstein für eine klimaneutrale Energieversorgung gelegt. Übers ganze Jahr betrachtet wird in dem Allgäuer Ort acht Mal so viel Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt, wie die Einwohner, das Gewerbe und die Kommune verbrauchen.

Immer mehr Städte in Deutschland führen eine Solarpflicht für Neubauten ein und diskutieren über eine Erweiterung auf Bestandsgebäuden. 2.400 Hektar an Landflächen wären zum Beispiel in Berlin für die Installation von Solaranlagen geeignet, wie der Berliner Senat errechnet hat. Berlin könnte mindestens ein Viertel seiner Strom- und Wärmeversorgung mit Solarenergie abdecken. Klar ist: Die Solaranlagen für die Energiewende müssen irgendwo stehen. Eine Lösung können mit Solaranlagen überdachte Autobahnen sein. Für München, das im Zentrum eines Autobahnnetzes liegt, bietet sich noch viel Ausbaupotential.

Ökostromanbieter mit grüner Energie – was wir tun können

Hinzu kommen Wasser- und Windkraft. Bei der Windenergie muss sich das Ausbautempo in den kommenden Jahren mindestens verdoppeln, um die Ziele der Energiewende zu erreichen. Erforderlich ist ein Abbau bürokratischer Hemmnisse: Strenge Abstandsregeln wie bisher in Bayern führen dazu, dass kaum neue Windräder gebaut werden können. Im Norden München drehen sich in Freimann und Fröttmaning immerhin zwei Windräder, die für sauberen Ökostrom sorgen. Es hat sich gezeigt, dass die Akzeptanz für Windräder vor Ort steigt, wenn Anwohner in deren Ausbau investieren können und an den Gewinnen beteiligt werden.

© Alexander Hauk

Jeder Einzelne ist gefordert und kann zu einer schnellen Energiewende beitragen, etwa durch den Wechsel zu einem Ökostrom-Anbieter. Sinnvoll sind auch Energiesparlampen und Bewegungsmelder. Geräte die nicht mehr genutzt werden, etwa Fernseher, sollten ganz ausgeschaltet und nicht im Standby-Betrieb belassen werden. Eine weitere Einsparmöglichkeit im Haushalt, ist es clever zu waschen, das heißt ohne Vorwäsche und höchstens auf 60 Grad Celsius. Wer statt mit dem Auto, mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Rad zur Arbeit fährt, kann ebenfalls Energie und CO2 sparen.

Mehr Strom als benötigt

Das deutsche Energienetz ist sehr versorgungssicher. Das Märchen vom bevorstehenden Blackout durch die Energiewende darf getrost als Panikmache von professionellen Interessenvertretern eingeordnet werden. Deutschland zählt zu den größten Stromexporteuren und hat in den vergangen Jahren den Spitzenplatz eingenommen. Nach Angaben des Umweltbundesamtes hielten sich Erzeugung und Verbrauch in Deutschland bis zum Jahr 2003 in etwa die Waage. Seitdem werde mehr Strom produziert als verbraucht. Das ändert sich gerade. Der Grund: Mit dem Umstieg auf Wind- und Sonnenstrom schwindet die von Wetterbedingungen unabhängige sichere Leistung im Stromsystem. Trotzdem besteht kein Grund zur Sorge. Ein Strommangel ist nach aktuellem Stand nicht zu erwarten. Aber: Deutschland wird in Zukunft stärker als bisher auf Stromimporte angewiesen sein, um in Extremsituationen die Stromversorgung aufrecht halten zu können.

Eine Herausforderung sind noch Energiespeicher: Batteriespeicher wie der von WEMAG in Schwerin tragen zur Flexibilisierung des Stromnetzes bei. Sie sind dezentral einsetzbar und können in Zeiten mit viel Wind oder Sonne Strom aufnehmen, den sie in Zeiten von Flaute und bedecktem Himmel in das Netz einspeisen. Batteriespeicher helfen Netzbetreibern das Stromnetz sicherer zu machen und die Netzfrequenz stabil zu halten. Aufbau, Zusammensetzung und Leistung bei Batterien werden sich in den kommenden Jahren weiterentwickeln.

Stauseen und Power-to-Gas-Anlagen können Batterien ergänzen. Ebenso Biogasanlagen. Bei den meisten wird das entstandene Gas in einem Bioheizkraftwerk zur Storm- und Wärmeerzeugung genutzt. Andere Biogasanlagen betreiben das gewonnene Gas zu Biomethan auf und speisen es ins Erdgasnetz ein. Biogasanlagen können die schwankende Stromproduktion aus Wind- und Solarenergie ausgleichen.

Eine faire Verteilung der Kosten ist nötig

Energiewende bedeutet nicht gleich Verzicht. Stichwort Mobilität: Beim Flugverkehr kann eine Lösung synthetisch hergestellter Kraftstoff aus Solarenergie und Luft sein. Technisch ist das bereits heute möglich, allerdings sind die produzierten Mengen noch viel zu klein. Klar ist: Dem ÖPNV und Elektroautos gehört die Zukunft. In den vergangenen Jahren haben die SWM und die Münchner Verkehrsgesellschaft 550 Ökostrom-Ladesäulen mit 1.100 Ladepunkten für E-Fahrzeuge errichtet und in Betrieb genommen.

Wir werden sehen, dass Autos mit Verbrennungsmotoren in den kommenden Jahren immer mehr zu Ladenhütern mutieren werden. In Norwegen sind bereits heute gebrauchte Autos mit Verbrennungsmotor nur mehr schwer verkäuflich. Für weltweites Aufsehen sorgte das von dem Münchner Unternehmen Sono Motors entwickelte Elektroauto Sion. Es ist das erste seriengefertigte Elektroauto, dessen Batterie sich auch durch die Sonne aufladen lässt. 248 Solarzellen wurden dafür in die gesamte Fahrzeugkarosserie eingearbeitet.

Fazit

In Sachen Energiewende steht München vergleichsweise gut da. Zum Ende des Jahrzehnts will Deutschland zwei Drittel seines Stroms aus erneuerbaren Quellen beziehen. Der entscheidende Hebel ist, der Ersatz von Kohle und Gas durch Wind-, Solar- und Wasserenergie. Alles muss viel schneller gehen als bisher geplant. Die Energiewende ist ein Jobmotor und schafft auch in klassischen Branchen viele neue Arbeitsplätze: Produktion, Installation und Betrieb von erneuerbaren-Energien-Anlagen bringen Menschen in Lohn und Brot. Jede in erneuerbaren Energien investierte Million schafft dreimal mehr Jobs, als wenn diese in fossile Brennstoffe gesteckt werden. Die Energiewende schützt nicht nur das Klima, sondern stärkt auch den Wirtschaftsstandort Deutschland. Unternehmen, die klimafreundliche Technologien und Services anbieten, werden zu den Gewinnern gehören. Worauf noch warten?


Über den Autor:

Der Diplom-Politologe Alexander Hauk arbeitet international als Pressesprecher und Berater. Zu den bisherigen Arbeit- und Auftraggebern des gelernten Journalisten zählen mehrere Unternehmen aus der Energiebranche. Während seiner beruflichen Tätigkeit hat er zwar schon einige Kohlekraftwerke und Atomkraftwerke besichtigt, aber die Möglichkeit auf ein Windrad zu steigen, hatte er erstmals 2021. Gerne erinnert er sich an ein Gespräch mit dem Physik-Nobelpreisträger Robert B. Laughlin, Autor des Buches „Der letzte macht das Licht aus – Die Zukunft der Energie“ zur Energiewende.


Beitragsbild: Red Zeppelin via Unsplash

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