Aktuell, Kultur, Nach(t)kritik, Stadt

Ein neuer Knotenpunkt des Nachtlebens: Die Fachstelle Moderation der Nacht (MoNa)

Florian Kappelsberger

Es ist offiziell: Seit dem 1. Juni hat die Stadt München einen offiziellen Beauftragten für das Nachtleben. Das Modell ist bekannt, Vorbilder sind etwa der night czar in London, der nachtburgemeester in Amsterdam oder der conseil de la nuit in Paris. Nur heißt dieses Amt hier in München nicht ‘Nachtbürgermeister’, sondern Fachstelle Moderation der Nacht (MoNa). Diese soll als Schnittstelle zwischen Feiernden, Anwohnern und Bar- und Clubbetreiber*innen funktionieren, um für ein friedliches Nachtleben zu sorgen und mögliche Konflikte zu lösen.

Und davon gibt es im Moment genug: geschlossene Clubs, strenge Alkoholverbote, Krawall und Flaschenwürfe gegen Polizist*innen im Englischen Garten. Was plant die neue Fachstelle angesichts dieser Probleme? Wir haben darüber mit deren frisch ernanntem Leiter Kay Mayer und seiner Vorgesetzten Eva Jüsten gesprochen, die das Büro für Bürgerliches Engagement und Konfliktmanagement des Münchner Sozialreferats führt, an dem die neue Fachstelle angesiedelt ist.

MUCBOOK: Herr Mayer, warum darf man Sie nicht Nachtbürgermeister nennen?

Kay Mayer: (lacht) Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist die Betitelung der Fachstelle MoNa einfach umfassender und auch treffender, weil sie ein bisschen mehr abdeckt als das, was man sich vielleicht unter Nachtbürgermeister vorstellt. Wenn man Nachtbürgermeister oder Nachtbeauftragter hört, finden schnell ganz unterschiedliche Interpretationen statt: Hast du irgendwelche exekutiven Befugnisse? Ist das ein politisches Amt? Da merkt man schon, das alles ist es ja nicht. Also ist es ganz wichtig, dass man über den Namen einen gewissen Gegenpol dazu bietet.

Was ist die Mission dieser neuen Fachstelle?

KM: Es geht darum, zentraler Ansprechpartner für verschiedenste Instanzen zu sein, die sich im Kontext des nächtlichen Feierns bewegen und damit zu tun haben. Mein erster Step ist also, wirklich in eine breite Vernetzung zu gehen und verschiedenste Institutionen der Nachtkultur, die ich schon aus meiner vorherigen Berufserfahrung kenne oder jetzt kennenlerne, zu kontaktieren und zu sehen: Was sind denn deine Eindrücke vom nächtlichen Feiern, sei es mit oder ohne Corona? Was sind die größeren Themen, mit denen man sich beschäftigen sollte? Die Fachstelle soll außerdem eine Lobby und ein repräsentatives Amt für die ganze Thematik des nächtlichen Feierns in der Stadt sein.

Was ein bisschen greifbarer als Ziel ansteht: Wir werden einen großen Runden Tisch um die Themen des nächtlichen Feierns in München aufbauen, wo sich regelmäßig beteiligte Institutionen zusammenfinden, um sich auszutauschen und zu konkreten Thematiken zu arbeiten. Wir haben auch für dieses Jahr noch vor, eine Modellregion mit verschiedensten Projekten, Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung zu starten. Wir arbeiten gerade noch daran, wo sich das konkret abspielen wird, da sind solche Plätze wie Glockenbachviertel oder Müllerstraße in der Überlegung. Dort kann man dann mal anfangen, auch neue Sachen auszuprobieren und zu gucken: Was kann man denn so machen?

Es gab ähnliche Konzepte ja schon vorher, zum Beispiel beim Projekt AKIM (Allparteiliches Konfliktmanagement in München) im Sozialreferat. Was ist neu?

Eva Jüsten: Letztlich ist das ganze Thema aus AKIM heraus entstanden. Wir haben festgestellt, dass man viele Konflikte gut mit dieser Moderation vor Ort hinbekommt, aber dass es zum übergreifenden Thema des nächtliches Feierns noch zu wenig gibt – das ist bei AKIM ja nur ein Thema von vielen. Wir haben dann eine Strategiegruppe dazu aufgesetzt, und ein Ergebnis von diesem ganzen Tun über eineinhalb Jahre war: Es bräuchte jemanden, der eine Bündelungsfunktion einnehmen kann und sich wirklich um die Themen kümmert, um sie auch anzutreiben. Und das ist jetzt letztlich diese Stelle.

Sie haben mehr als sechs Jahre lang die Streetwork-Einrichtung ConAction geleitet. Welche Rolle spielt das darin, wie Sie an diese neue Stelle herangehen?

KM: Erstmal ist es wichtig, aus großem Respekt und Achtung vor beiden Arbeitsfeldern, die beiden Sachen wirklich klar voneinander zu trennen. Die eine ist eine sozialarbeiterische Profession, die sehr wichtig ist und eine große Rolle im sozialpädagogischen Umfeld spielt, die klient*innenorientiert ist. Das hier ist eine andere Stelle, die mit sozialer Arbeit nicht wirklich etwas zu tun hat, sondern sich unter Anderem auf den sozialplanerischen, strukturellen und repräsentativen Ebenen abspielt.

Inwiefern hat mich das geprägt? Erstmal für mich ganz persönlich: Ich war als Streetworker über 180 Mal auf der Partymeile unterwegs, ich bin nicht nur irgendwie vor den schönen Clubs rumgehangen, sondern habe die kotzenden Leute “von der Straße gekratzt” und mit den Türstehern und Clubbetreibern gesprochen. Ich habe also sehr viele Facetten gesehen und wirklich gemerkt: Okay, ich habe Bock auf dieses Thema, ich habe einen Bezug zu dieser ganzen urbanen Feierkultur, ich habe auch eine Passion und eine Leidenschaft dafür.

Die andere Sache ist, auch zu sehen: Wow, was bildet sich denn alles an gesellschaftlichen Themen im Nachtleben ab? Was passiert dort, was auch tagsüber eine Rolle spielt? Sicherheit, Diversität, Diskriminierung, Barrierefreiheit – alles Themen, die sich auch im Nachtleben abspielen und ein guter Spiegel sind, um dort ranzukommen und zu gucken: Okay, wie kann ich damit arbeiten? Und auch pragmatisch zu erkennen, was für eine wichtige Funktion vom Nachtleben übernommen wird. Das merken wir jetzt zur Corona-Zeit: der soziale Austausch, der Kontrast zum durchgetakteten Arbeitsleben, eben diese ganze Freiheit der sozialen Interaktion und so weiter. Das wurde und wird oft total unterschätzt, aber daran sieht man auch: Da steckt ganz viel Potenzial drin, mit dem man unheimlich gut arbeiten und auch viel bewegen kann.

Ich werde auch weiterhin draußen unterwegs sein, in einem ganz anderen Auftrag. Ich kann nicht sagen: Ich bin hier die Fachstelle Moderation der Nacht und mach das vom Büro aus. Ich muss mitbekommen, was da los ist. Das war auch wirklich ein Punkt, der mir sehr gefallen hat an dieser Aufgabe, weil ich das sehr gerne mache: lebensweltorientiert direkt an den Leuten dran zu sein.

Das Münchner Nachtleben macht im Moment vor allem Schlagzeilen, weil es immer wieder zu Konflikten mit Anwohnern oder der Polizei kommt – vor Kurzem beispielsweise im Englischen Garten oder in der Türkenstraße. Wo sehen Sie da Ursachen, aber vor allem auch Lösungsansätze?

KM: Aus Achtung vor der Komplexität und auch aus unserer Definition der Stelle heraus ist das keine Situation, wo ich jetzt ums Eck kommen möchte mit: Ich weiß genau, was zu tun ist, und dann wird alles besser. Das ist nichts, was einfach so vom Himmel fällt und dann so auf einmal wieder gelöst werden kann, das möchte ich mir auch nicht anmaßen.

Ich glaube, insgesamt wird der Fokus oft auf das Defizitäre gerichtet, was nicht funktioniert oder was alles schief läuft. Das wird manchmal ein bisschen falsch kontextualisiert, wenn man sich anschaut, wie lange wir jetzt schon diese Verschlossenheit haben, diese Pandemie mit den vielen massiven Freiheitseinschränkungen. Wir hatten letztes Jahr natürlich auch ein paar Situationen, und die gibt es auch jetzt wieder, aber insgesamt ist das von der Gesamtbeurteilung – ohne die einzelnen Geschichten bagatellisieren zu wollen – echt gut gegangen.

Ich glaube, man muss dann den guten Mittelweg finden: das Ganze erklärbar machen, ohne es zu entschuldigen. Es wäre es schon mal schlicht und ergreifend gut, sich nochmal ein bisschen tiefer und auch weniger plakativ mit der Situation der Leute zu beschäftigen, die dort unterwegs sind. Da mag ich solche Schlagwörter wie ‘die Jugend’ oder ‘die Feiernden’ gar nicht – das macht die Vielfalt der Stadt aus, dass das auch immer ganz unterschiedliche Gruppen sind. Man muss sich wirklich darauf einzulassen und schauen: Was ist da jetzt ganz normale Feierei, die jetzt wieder funktioniert und vielleicht aus dem Ruder läuft? Was ist wirklich noch vielleicht der letzte Kick oben mit drauf, weil es jetzt zur Corona-Zeit einfach so viel aufgestaute Energie und eine große Lust darauf gibt, sozial zu interagieren, zu tanzen, zu trinken, diese Leichtigkeit wieder zu haben? Und dann kann man sich ganz pragmatisch ranzumachen: Okay, was hab ich für Möglichkeiten?

Und ich glaube, es wurde eben leider präventiv verfehlt oder zu wenig daran gearbeitet, diese richtige Art und Weise der Kommunikation zu finden. Ich habe in den letzten eineinhalb bis zwei Jahren recht wenig zielgerichtete und auch lebensweltorientierte Kommunikation gehört. Es war immer sowas wie: Mei, andere haben es noch schwerer, es ist doch alles nicht so tragisch, guckt euch die alten Leute an, und so weiter und so fort. Und da geht es aus der Feierndenperspektive gar nicht darum, dass das sofort wieder möglich gemacht wird, aber ich möchte gern verstanden werden. Ich möchte gerne sehen: Okay, das wird anerkannt als eine Problematik, wo man wirkliche Einschnitte hat.

Ich glaube, das ist einfach zu kurz gekommen. Jetzt hat man dann immer die nächste Stufe mit gewissen fortgeschrittenen Verhaltensmustern – Trotz oder Resignation. Da muss man, denke ich, wirklich sehr regional oder auf das Setting bezogen gucken, wie man an die Leute rankommt, um in irgendeiner Art und Weise wieder Konsens zu finden: Wie kann man das besser strukturieren, damit wirklich niemand irgendwie groß zu Schaden kommt? Was mir da immer wichtig ist: Dieses Bild des rücksichtslosen Radau-Feierers passt wirklich in den allerwenigsten Fällen. Da gehen keine Leute auf die Straße und sagen: Ich feier auf Teufel komm raus und dazu gehört, dass ich irgendwelche Autos demoliere. Das ist G20 in Hamburg, aber das ist nicht der Normalfall in der Münchner Feierszene.

Es wird wichtig sein, die verschiedensten Player zumindest mal anzuhören, um dann zu schauen: Wie kriege ich da wirklich eine gute Vernetzung und ein gutes Miteinander hin? Das klingt jetzt wahrscheinlich für Leute, die betroffen sind, arg abstrakt. Aber ich möchte mich da jetzt wie gesagt nicht hinstellen und sagen: Ich hab das und das und das vor, und dann wird alles besser. Das wäre dem Thema gegenüber nicht angemessen.

EJ: Aus AKIM-Sicht noch ergänzend: Wir sind mit unseren Honorarkräften an verschiedenen Plätzen vor Ort, zum Beispiel auch am Wedekindplatz und am Gärtnerplatz. An diesen beiden Plätzen gibt es ja gerade Alkoholverbote, die jetzt etwas gelockert wurden. Das führt dazu, dass diese Plätze jetzt deutlich ruhiger sind, aber dafür werden andere Plätze gesucht, wo es kein Alkoholverbot gibt. Wie sehen aktuell, dass es sich verlagert: Türkenstraße, Akademieplatz, Ludwigsstraße, Geschwister-Scholl-Platz – auf einmal sind das Hotspots. Dabei gibt es natürlich große Unterschiede: Die Türkenstraße ist sehr belastet, weil da ein paar hundert Leute auf sehr kleiner Fläche sind. Der Geschwister-Scholl-Platz ist deutlich besser verträglich, weil er viel weitläufiger ist und keine Menschen unmittelbar daran wohnen. Das ist auch ein Thema, das in dieser Strategie wieder vorkommen muss: Welche Plätze vertragen was? Welche Plätze könnte man attraktiver machen, sodass Leute dorthin gehen und dann bei anderen Plätzen vielleicht weniger sind?

In der Türkenstraße kam es Anfang des Monats zu einem Polizeieinsatz, nachdem sich rund 500 Feiernde am Georg-Elser-Platz angesammelt hatten.

In den letzten Wochen ist es immer wieder zu Konflikten zwischen Feiernden und Polizisten gekommen. Ist auch die Polizei ein Akteur, mit dem sich die Fachstelle austauschen wird?

KM: Ganz klar, die Polizei ist ein wichtiger Player im Kontext des nächtlichen Feierns. Das ist einfach eine Perspektive, die gehört und mit einbezogen werden muss – genau wie zum Beispiel die Einrichtung Conaction, die mit ihren Streetworker*innen auf der Partymeile unterwegs ist. Es ist immer ein Zusammenspiel von verschiedenen Playern: Genau wie es absurd ist zu denken, ich löse diese ganzen Probleme rein durch Repression und Verbote, wäre es auch absurd zu denken, ich kriege eine Ordnung im öffentlichen Raum komplett ohne die Polizei hin.

EJ: Das ist auch etwas, wo AKIM schon reichlich Erfahrung hat und in den Einzelfällen viel mehr involviert sein wird. Es gibt seit Jahren sehr gute und oft auch zügige Abstimmungen mit der Polizei. Und wenn wir das Gefühl haben, da ist mal ein Thema grundsätzlicher Art, das man mehr aufnehmen sollte, wie das Zusammenspiel zwischen Jugend und Polizei, dann haben wir unsere Arbeitsebene, wo wir diese Themen vertraulich und transparent besprechen können.

Es gibt immer wieder Forderungen und Vorschläge für Veränderungen im Münchner Nachtleben – etwa Alternativen für Feiernde in der Coronakrise oder städtische Konsumräume. Sind das auch Ideen, mit denen Sie in dieses Amt starten?

KM: Wenn man mich ernst nehmen und auch weiter gerne und kooperativ mit mir arbeiten soll, kann ich in dieser neuen Position nicht sofort mit solchen großen Forderungen um die Ecke kommen – das wäre strategisch ziemlich unklug. Diese Thematiken habe ich alle am Start, auch durch meine Erfahrung als Streetworker: Drogenkonsumräume, Notschlafplätze für junge Menschen, alternative und niedrigschwellige Feiermöglichkeiten, Feiern unter 18, Diskriminierung an der Club-Tür oder auf der Straße. Aber aus meiner Sicht macht es viel mehr Türen zu in der konstruktiven Bearbeitung dieser Themen, wenn ich jetzt in diese Stelle komme und sage: Das und das und das muss so sein.

Ich werde mir auch hier die verschiedenen Perspektiven dazu einholen. Das klingt vielleicht nach Politiker-Talk, aber am Schluss muss es tatsächlich ein Konsens lösen. Ich kann solche großen Geschichten nicht alleine und direktiv machen, sondern ich brauche Leute dazu, die miteinander auf einer Ebene sind, um dann zusammen Lösungen zu erarbeiten. Da muss man sich auch mal reiben oder Sachen durchsetzen, man muss sich auch mal wehren gegen manche direktiven, repressiven Geschichten. Aber das kann ich jetzt so aus der Hüfte in dieser ersten Zeit nicht machen, ich würde mich da selbst nicht ernst nehmen.

EJ: Es sind einfach viele Beteiligte, die darüber am Ende entscheiden – diese Stelle hat ja für viele Themen überhaupt keine Entscheidungsbefugnis. Es kann am Ende ein anderes Referat sein, das entscheidet, oder es kann der Stadtrat sein, wenn es eine grundlegende Entscheidung ist. Aber man kann Themen setzen und darüber sprechen, wichtige Vorarbeit leisten und damit nach vorne gehen.


Fotos: © Florian Kappelsberger, Lucas Thannhäuser

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons