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Aware oder ausbaufähig? – Wie sicher ist das Münchner Nachtleben?

Anne Lenz

Belästigungen und sexuelle Übergriffe gehören für viele Frauen im Nachtleben zum traurigen Alltag. Was muss besser werden? Wie denken und handeln Münchner Clubs? Wir haben recherchiert und nachgefragt.

Trigger Warnung: Der folgende Text handelt vom Umgang mit Diskriminierung und (sexualisierter) Gewalt. 

Wenn ich mit meinen Freund*innen Abends weggehe, habe ich immer ein Pfefferspray dabei. Wir sind immer mindestens zu zweit oder telefonieren miteinander, sollten wir doch alleine nach Hause gehen. Außerdem schicke ich immer jemandem meinen Standort und gebe Bescheid, wenn ich zuhause bin. Leider sind diese Vorsichtsmaßnahmen für mich und meine Freund*innen zur Normalität geworden. So weiß immer jemand wo ich bin und im Extremfall kann ich mich zumindest mit dem Pfefferspray wehren, aber Belästigung fängt auch schon verbal an.

Ich bin keine Ausnahme, so wie mir geht es vielen anderen Frauen: EU-Umfragen zufolge hat eine von drei Frauen seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren, jede zweite Frau war mit einer oder mehreren Formen sexueller Belästigung konfrontiert. In Deutschland gaben bei einer weiteren Studie 43% der befragten Frauen an, schon einmal sexuell belästigt oder bedrängt worden zu sein – und 12% der befragten Männer. Wir haben uns gefragt, wie sicher das Münchner Nachtleben ist und wie von Seiten der Clubbetreiber*innen mit diesem Thema umgegangen wird.

Wie gehen Münchner Clubbetreiber*innen mit Belästigung um?

Einige Münchner Bars und Clubs gehen vorbildlich voran und haben sowohl Verhaltensregeln für ihre Gäste als auch für ihr Personal. Roman Lehmann, Prokurist beim Pacha am Maximiliansplatz, erzählt uns, dass es Aushänge für die Clubbesucher*innen gibt und jeder Mitarbeiter sich nach verbindlichen Grundsätzen richten muss. Dazu zählt entschlossenes Vorgehen gegen „Diskriminierung, Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, respektloses oder übergriffiges Verhalten“. Außerdem gibt es Anweisungen zum Umgang mit Gefahrensituationen:

„Zum Schutz unserer Gäste vor K.O.-Tropfen bitten wir dich, folgendes zu berücksichtigen. Weise deine Gäste darauf hin, ihre Gläser nicht unbeaufsichtigt stehen zu lassen und achte insbesondere auf Personen, die sich verdächtig verhalten oder sich an fremden Gläsern zu schaffen machen. Solltest du das Gefühl haben, dass eine Person hilflos ist (z.B. scheinbar betrunkene Frau wird von Mann nach draußen getragen, etc.) hole unmittelbar das Sicherheitspersonal dazu. Lieber einmal zu viel kontrolliert als einmal zu wenig!“

Im Blitz gibt es ebenfalls eine detaillierte Policy dazu, dass Diskriminierung jeder Art nicht geduldet wird und wo sich betroffene Personen Hilfe suchen können. Beim Personal zu fragen, ob Luisa da ist, gilt als internationales Hilfesignal. Dann weiß das Personal Bescheid, dass eine Gefahrensituation vorliegt und kann dementsprechend reagieren. Im Blitz kann man nach „Claudia“ fragen und so Unterstützung vom Awareness-Team erhalten. Außerdem bietet das Blitz einen ruhigen und sicheren Rückzugsraum an. Leo Küchler, der im Blitz als Awarenessbeauftragter arbeitet, erzählt uns, dass alle zwei Monate ein Awareness-/Ethikrat, bestehend aus Teammitgliedern aller Bereiche, sowie wechselnden Stammgästen tagt. Dort werden dann Anliegen und Vorfälle besprochen und gegebenenfalls bestehende Abläufe und Strukturen angepasst.

Das Bahnwärter Thiel informiert ihre Gäste direkt beim Einlass darüber, an wen sie sich im Ernstfall wenden können. Die Awareness-Beauftragten seien an einer Weste zu erkennen. Zusätzlich dazu gibt es Awareness-Plakate an verschiedenen Orten im Clubbereich und auf dem Atelierpark. Außerdem werden regelmäßige Awareness-Schulungen mit den Mitarbeitenden durchgeführt. Die wichtigen Schlagwörter dabei seien Konsens, Definitionsmacht und Parteilichkeit, so Johanna Popp.

Awareness-Schulungen können helfen

Solche Schulungen bietet das Team vom Frauennotruf München an. Mirjam Spies, Diplom-Sozialpädagogin, Gestalttherapeutin, Traumafachberaterin und WenDo-Trainerin, ist Teil des Frauennotruf Teams und berichtet, dass immer wieder Frauen* die Beratungsstelle aufsuchen, die sexualisierte Übergriffe und Gewalt während oder nach dem Weggehen erlebten – auch in Verbindung mit k.o.-Tropfen. Leider werden viele verbale und non-verbale Belästigungen oft nicht zur Anzeige gebracht, weshalb die Dunkelziffer recht hoch sein müsse. Spies berichtet, dass sie kein Mädchen und keine Frau kenne, die noch nie in ihrem Leben belästigt wurde. Es gebe bestimmte Orte, da gehöre Anmache und sexuelle Belästigung mehr oder weniger zum Programm.

Kim Ranalter ist Teil des WUT Kollektivs und betont, dass es auf den Tanzflächen (vor allem kommerzieller Clubs und Events) immer noch gängig ist, dass man von hinten angetanzt, bedrängt oder begrabscht wird. Laut Ranalter passieren teilweise richtige Stalking- und Verfolgungsszenerien, bei denen ablehnende, verneinende Reaktionen der Betroffenen ignoriert werden und der Person gefolgt wird, wenn sie versucht auszuweichen oder sich zurückzuziehen.

„Es liegt viel an der Weggeh-Kultur an sich und den Bildern und Erwartungen, die zum Teil damit verbunden sind“, sagt Mirjam Spies dazu. Allerdings gebe es laut ihr auch viele Clubs und Veranstalter*innen, die sich Gedanken machen und versuchen über Schulungen und Konzepte Belästigung entgegenzuwirken. Es muss klar sein, dass eine Haltung der Null-Toleranz gegenüber sexualisierter Gewalt und anderen Diskriminierungsarten von allen vertreten wird – alle ziehen an einem Strang. Diese Null-Toleranz gilt für Besucher*innen wie auch Mitarbeitende.

„Es ist wichtig dass allen klar ist, dass die belästigte Person definiert, dass ihre Grenze verletzt wurde und dies nicht in Frage gestellt wird. Wir brauchen hier nicht anzufangen zu diskutieren.“

Mirjam Spies, Diplom-Sozialpädagogin, Gestalttherapeutin, Traumafachberaterin und WenDo-Trainerin
Mirjam Spies, Diplom-Sozialpädagogin, Gestalttherapeutin, Traumafachberaterin und WenDo-Trainerin

Ihr Wunsch ist es, dass eine Kultur und Atmosphäre geschaffen wird, in dem eine betroffene Person aussprechen kann, was ihr passiert ist und dann entsprechende Hilfe bekommt. Hilfe in der Form, die sie sich wünscht. Da die Situation leider oft nicht zulässt, dass die Hilfe suchende Person das offen ansprechen kann, gibt es bestimmte Handzeichen und Signale wie „Ist Luisa hier?“. Dafür müssen natürlich alle Mitarbeitenden dementsprechend geschult werden. Die Clubs, die die Schulungen buchen, nehmen die Konzepte sehr bereitwillig an. Allerdings kommen diese ja auch von selbst auf das Team vom Frauennotruf zu. Für Clubs, die noch nicht so sensibilisiert sind, brauche es laut Mirjam Spies gesetzliche Vorschriften.

Noch bevor es zu spät ist: Prävention

Ein letzter Punkt, der ihr auch sehr am Herzen liegt, ist dass die Täter*innen im Blick behalten werden Konsequenzen erfahren, andernfalls würden sie sich weiterhin übergriffig verhalten. Das WUT Kollektiv ist der Auffassung, dass es zudem nötig sei, dass übergriffige Personen nicht nur sanktioniert sondern auch aufgeklärt werden.

“Viele Menschen haben sich nicht mit internalisierten Sexismen und Rassismen auseinandergesetzt und benötigen dringend Werkzeuge, um ihre eigenen Denk- und Handlungsmuster zu dekonstruieren. Übergriffiges Verhalten verschwindet nur durch Bildung nachhaltig, nicht durch Ausschluss.”

Petra Weigart, WUT Kollektiv

Sofija Pavlenko engagiert sich bei catcallsofmunich und versucht gemeinsam mit dem Rest ihres Teams Aufklärung zu diesem Thema auf Instagram zu betreiben. Sie möchten Catcalling sichtbarer machen und ein Bewusstsein für die Grenze zwischen Kompliment und Belästigung schaffen.

Sofija Pavlenko, catcallsofmunich

Sie erklärt, dass man in solchen Situationen oft ein Gefühl von Ohnmacht spürt und erst später merkt, was man hätte tun können. Deswegen ist es sehr schwierig Betroffenen Tipps zu geben. Letztendlich ist es wichtig auf die Bedürfnisse der Opfer einzugehen und einen Rückzugsort anzubieten. Das Personal sollte zwischen den Parteien vermitteln den/die Täter*in dem Club verweisen und gegebenfalls die Polizei einschalten.

Wie kann man eine Cluberfahrung sicher und inklusiv gestalten?

Auch das Team vom WUT Kollektiv leistet Awareness-Arbeit auf Veranstaltungen. Auf Anfrage von Clubbetreiber*innen werden Konzepte und Schulungen ausgearbeitet, allerdings reiche es nicht ein kleines feministisches Kollektiv einzuladen, um diese Arbeit zu übernehmen. Um Nachtclubs zu einem safe space zu machen, brauche es Bewusstsein und Awareness-Leitfäden, die sich unter den Mitarbeitenden und Gästen etablieren müssen. Security Personal allein sei zu wenig.

Nadjia Mehraban vom WUT Kollektiv betont, dass Diversität von Innen gelebt werden muss, um eine Cluberfahrung für alle sicher zu machen:

„Es müssen mehr LGBTQIA+, BiPOC, Menschen mit Behinderung und Menschen aus anderen marginalisierten Gruppen auf allen Ebenen diese Räume selbst mitgestalten können. […] Eine kritische Masse aus marginalisierten Gruppen. Diese Menschen könnten dann etwas bewegen und ein inklusives Nachtleben für alle gestalten.“

Nadjia Mehraban, WUT Kollektiv

Anmerkung: Pimpernel und 089 Bar wollten sich nicht zu der Thematik äußern. Hemmungslos, Rote Sonne, P1, Filmcasino, Neuraum, Call Me Drella und Unter Deck haben nicht auf unsere Anfrage reagiert.


Beitragsbild: © zalfaimani

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