Kultur

Epithaph: Aufstieg und Fall der Münchner Indieclubs

Markus Michalek

cord

Did you see the stylish kids in the riot shovelled up like muck set the night on fire …“ ich wäre versucht, jetzt zu schreiben, das waren noch Zeiten. Dass das Atomic seine Zelte abbrechen wird und der Cord Club schließt, um unter neuer Fahne zu öffnen, sind nicht etwa skandalöse Ereignisse. Stattdessen handelt es sich um zwei perfekte Beispielfälle unserer Zeit. Nie waren wir näher am absoluten Individualismus als jetzt, nie aber war es auch schwerer, noch klare und ausdifferenzierte Bereichsgrenzen zu erkennen. Dass also ausgerechnet diese beiden traditionsreichen Münchner Clubs für Independentmusik ihr Programm umstellen, oder gleich die Haustür wechseln, dürfte also keinen überraschen. Schon gar nicht diejenigen, die in den letzten Monaten Ohren und Augen im Münchner Nachtleben offen gehalten haben. Richtig außerdem, dass Britpop und die kleine Schwester Independent längst im mittigsten Mainstream angekommen sind, wie Cordbetreiber A. Vulic auf Süddeutsche.de preisgibt, ist für jeden, der halbwegs klaren Verstandes durch die Welt geht, kaum eine Neuigkeit.

Was war das Entsetzen bei eingefleischten Indieanern groß, als die Jungs von Mando Diao oder the Killers das erste Mal auf Bayern 3 zu hören waren! Aber wie viele eingefleischte Indiefans, wenn sie nicht zufällig noch aus der ersten Stunde stammten, hatten sich mit den Anfängen beschäftigt? Mit Traditionslinien, die schwedische Bands wie Mando Diao, The Hives, selbst The Ark oder englische Rotzbuben wie the Libertines, verträumte Combos wie the Stone Roses oder Band-Fan-Kriege wie Oasis vs. Blur hervorgebracht hatten? Jeder Münchner Indiefan kannte natürlich ab spätestens 2005 über höchstens fünf Ecken den oberbayerischen Gitarristen von Franz Ferdinand, oder wenigstens die Schwester, den Cousin, die Katze oder den Nachbarshund.

Für zu viele heute Mitte bis Mitte/Ende zwanzigjährigen Indieanhänger bezeichnete Pulp allerdings nur wenige Jahre später eher schon den Name eines Alkopop, Oasis wurde bereits zum Synonym für Schlagermusik; zumindest wenn man den Gesprächen der Nacht Glauben schenken durfte, die der Autor dieses Epithaphs in den letzten drei, vier Jahren an den einschlägigen Orten führte.

Immer auf der Jagd nach Neuem, immer darauf bedacht, um jeden Preis musikalische, modische und vor allem in Hinsicht Coolness&Style die erste Elite zu sein, war es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis sich diese Konzepte totlaufen mussten, vielleicht gerade dann, wenn in der immer breiter werdenden Masse der Rückhalt zu den Anfängen fehlte; einmal die Enter-Taste drücken, generiert aus Prosa schließlich auch noch keine Lyrik.

Wie fing das an, was hat uns bloß so ruiniert, worin liegt das Indiesterben, wenn man es höchst pathetisch so nennen möchte, denn eigentlich begründet? Was machte aus unzufriedenen Revoluzzern und Rebellen salonfähige, zahnlose Tiger ohne jeglichen ernstzunehmenden Verweis auf die eingangs zitierten Riots? Einerseits fast müssig, diesen Fragen noch nachzugehen, andererseits aber … es gab diesen einen Moment, als unvermittelt und rapide zunehmend Hütchenträger in den Münchner Clubs gesichtet wurden. Es soll eine steile, vielleicht sogar perfide These gewagt werden: Der Aufstieg von Pete Doherty mit seinem Soloprojekt Babyshambles war der Fall von Britpop und Independent Musik. Eine These wohlgemerkt, keine Schuldzuweisung. “Schuld” haben wenn, nur die Medien, die die Verbindung von Crackjunkie und Supermodel bis zum letzten Quentchen Stoff ausgeschlachtet haben. “Schuld” haben wenn, nur wir, die wir unseren grenzenlosen Voyeurismus befriedigt sahen und dankbar für die mitinbegriffenen neuen Stylevorschläge waren. Auf dass damit aus Avantgarde und Nische schließlich Mainstream wird …

Das alles war nicht immer so gewesen – die Erinnerung sei erlaubt: hatte man Anfang der 2000er Jahre in der Hochphase der Münchner Indiejahre vor dem Tür des Atomic oft mehr Respekt als vor dem weltberühmten Tor des P1, lieferte das Cord nach seiner Eröffnung zusammen mit einer längst geschlossenen Locationkonzept namens Prager Frühling an einem mehr als traditionsreichen Ort eine willkommene Abwechslung, aber auch Entspannung, da die Türpolitik hier um einiges moderater gehandhabt wurde. Das Publikum dankte es: unvergessen die Abende der ersten Wochen, wenn der DJ gegen sechs Uhr morgens Time is running out aus den Boxen jagte, während auf der anderen Seite der Fenster am Stachus schon langsam der Tag begann – ein brauchbares Pedant zu einem gewissen Parkhausdeck in der Münchner Altstadt. Und für Atomic wie Cord wie Prager Frühling galt: unvergessen die Sit Downs zu gleichnamiger Indiehymne, wenn sich (fast) alle auf der Tanzfläche versammelten Boys&Girls niederließen und statt schlaksigem Ausdruckstanz in hippieske Wiegebewegungen wechselten, die Arme mal straight nach oben gereckt (das Bier in der einen, die Kippe in der anderen) oder weil eben alle irgendwie dem anderen die Schultern boten, wilde Knutschorgien losbrachen, ehe man sich längst wieder stehend-wankend zu den rauen Riffs von C`mon C`mon erneut vors Schienbein trat, und dabei mit einem Lächeln den Seitenscheitel zurückwarf.

Die Party-Generation der Jahrtausendwende, die der Independentmusik ihre Glanzzeit beschert hat, ist erwachsener geworden. Wir sind erwachsener geworden und wir meint nicht nur Gäste, sondern auch Clubbetreiber, Musiker, DJs und die Groupies letzterer. Manche haben Familie, andere stehen kurz davor, wieder andere sind fortgegangen, haben ihre Geschmack geändert und die alten Klamotten beim letzten Kleidermarkt verscherbelt. Neue Phänomene haben die Clubs erobert, wer heute noch Lederjacke, Hut und Chucks trägt, wird höchstens noch als Nostalgiker belächelt oder gemäß dem liberalen Motto unserer Zeit widerstandslos abgenickt; Tabubrüche oder Freiräume schaffen mittlerweile jedenfalls andere und davon gibt es in Mänchen zum Glück nicht gerade wenig.

Sicher, jeder Hipster, der nur ein klein wenig etwas auf sich hält, kann auch heute die Lebensgeschichte von Pete Doherty noch im Schlaf herunterbeten, das gehört schließlich zum guten Ton des perfekt ausdifferenzierten Programms dazu. Aber wie sieht es mit den Lyrics von Live foreverer aus? Statt sich zu fokussieren, zu spezialisieren, gilt heute vor allem eines: Schwimm in der breiten Masse, leg dich nicht mehr fest, breiter = besser. Weder mit deiner Musik, noch mit deinem Kleidungsstil, noch … (Ein Schelm, wer diesen Argumentationsstrang weiterdenken möchte, aber es soll natürlich auch niemand verboten werden!) Das ist alles nicht einmal wirklich mehr halb. Ganz so, als bestellte man einen Döner und antwortete auf die Frag “scharf?” mit “ein Bisschen” statt einem klaren “Ja” oder “Nein”. Insofern verdienen Entscheidungen wie das klare “Betreiber-Nein” zum überholten Konzept ebenso Respekt wie das Festhalten an Traditionslinien, an dieser Stelle ein freundlicher Winker in Richtung Lunastrom.

Bleibt nur die irrelevante Frage, ob es nicht vielleicht auch anders gegangen wäre: now tell me what can you want now you’ve got it all the whole scene is obscene time will strip it away und das ist gut so. Nichts ist so beständig wie die Veränderung und wie heißt es so schön? One door closes, another one opens. Bleibt neben guten Erinnerungen auch die Hoffnung, dass das Münchner Nachtleben um zwei neue Clubs oder wenigstens Konzepte bereichert wird, die sich dem Einheitsbrei ebenso verschließen, wie es auf den alten Fahnen ihrer ersten Fahrten geschrieben stand.

(Foto: Cord Club, Privat)

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