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Frischer Wind in Berlin: Die neuen Grünen-Abgeordneten Jamila Schäfer und Saskia Weishaupt

Florian Kappelsberger

Wir schreiben das Jahr 2021, kurz nach einer historischen Bundestagswahl: Ganz Bayern liegt fest in der Hand der CSU, die trotz massiver Verluste erneut stärkste Kraft geworden ist… Ganz Bayern? Nein! Denn im Münchner Süden ist es der jungen Grünen-Kandidatin Jamila Schäfer gelungen, ein umkämpftes Direktmandat zu erobern – ein absolutes Novum für ihre Partei, ein politisches Erdbeben in der Landeshauptstadt.

Auch darüber hinaus haben die Grünen in München stark zugelegt: Im Wahlkreis West/Mitte lag ihr Direktkandidat Dieter Janecek nur knapp hinter dem Titelverteidiger Stephan Pilsinger (CSU), in der gesamten Stadt landete die Partei mit 26,1% der Zweitstimmen auf Platz 1. Damit ziehen neben Jamila Schäfer über die Landesliste auch Saskia Weishaupt und Dieter Janecek in den Bundestag ein.

Wir haben deshalb mit den beiden Parlament-Neuzugängen Jamila Schäfer und Saskia Weishaupt gesprochen – über den spannenden Wahlkampf der vergangenen Wochen, die ersten Tage in Berlin und die Stimme der jungen Generation in der Politik!

Sowohl Schäfer als auch Weishaupt sind im Jahr 1993 geboren – eine in München, die andere in Hannover. Jamila Schäfer trat schon als Schülerin in die Grüne Jugend ein und stieg schnell in deren Reihen auf, zunächst als Sprecherin der GJ München, später als Bundessprecherin. Seit 2018 sitzt sie im Bundesvorstand der Grünen, wobei ihr Fokus auf den Themen wie EU-Politik, Migration und dem Kampf gegen Rechtsextremismus liegt. Saskia Weishaupt ihrerseits wurde als Studentin Mitglied der grünen Parteijugend, wo sie sich insbesondere in der Bildungsarbeit engagierte. Auch sie war zunächst Sprecherin der GJ München, seit 2018 ist sie Landessprecherin für ganz Bayern. Zur Bundestagwahl trat sie als Spitzenkandidatin der Grünen Jugend auf Platz 11 der Landesliste an.

Wahlkampf zwischen Bierpong und Social Media

Beide blicken auf einen spannenden Wahlkampf zurück. Wegen der Pandemie sei man gezwungen gewesen, kreativ zu werden und neue Formate zu finden, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, erklärt Schäfer. So konnten Fragen zum Programm beantwortet und teilweise auch Ängste genommen werden, die durch politische Gegner geschürt worden waren. “Das war schon eine coole Aufbruchsstimmung, die wir gemeinsam erzeugt haben”, freut sich die Siegerin von München-Süd – ob in der Fußgängerzone, in den sozialen Medien oder auf Kneipentour mit Cem Özdemir.

Auch Saskia Weishaupt ist stolz auf die innovativen und unkonventionellen Veranstaltungen der Grünen Jugend. Man habe vor allem versucht, die Kampagne ansprechend für junge Leute zu gestalten, etwa mit einem politischen Bierpong-Abend an den Pinakotheken. “Ehrlich gesagt haben diese Formate auch am meisten Spaß gemacht”, gibt sie lachend zu.

Ersti-Woche im Bundestag

Seitdem ist viel passiert: Die Grünen begannen noch am Wahlabend mit ersten internen Sitzungen, um sich für die anstehenden Sondierungen strategisch aufzustellen. Für die beiden Münchnerinnen, die quasi über Nacht zu MdB geworden waren, ging es direkt nach Berlin. “Das war tatsächlich noch sehr unwirklich”, so Saskia Weishaupt. Sie beschreibt die ersten Tage im Bundestag als Mischung aus Erstaunen, Vorfreude und einer gewissen Überwältigung angesichts der vielen neuen Eindrücke: Führungen durch die Gebäude, Kennenlernen innerhalb der Fraktion, unzählige auszufüllende Formulare, … “Eine Atmosphäre wie im ersten Semester”, meint auch Jamila Schäfer lachend.

Beide sehen in der vergangenen Bundestagswahl ein klares Zeichen für Wandel. Gerade die neue Generation hat sich in den letzten Jahren stark politisiert, viele junge Menschen engagieren sich in Parteien und Jugendorganisationen. Zugleich hätten sie erlebt, dass ihre Interessen bei dringlichen Themen wie der Klimapolitik oder den Corona-Auflagen oft wenig Gehör finden, meint Schäfer. Viele junge Wähler*innen hätten deshalb deutlich gegen ein “Weiter so” gestimmt und insbesondere die GroKo-Partner CDU/CSU und SPD abgestraft.

Ihre Fraktionskollegin Saskia Weishaupt betont auch die Rolle von zivilgesellschaftlichen Akteuren wie Fridays for Future und #LeaveNoOneBehind, die dazu beigetragen haben, Klimaschutz und Menschenrechte auf die Agenda zu setzen: “Das haben die Grünen in den letzten Jahren nicht alleine geschafft.” Dementsprechend hätten diese Gruppen nun auch hohe Erwartungen an eine neue Regierung, die von den Grünen mitgestaltet wird.

Grünes Licht für die Ampel?

Neben den Grünen hat aber auch die FDP bei Erstwähler*innen und Bürger*innen unter 30 Jahren besonders gut abgeschnitten. In den Augen von Saskia Weishaupt liegt das zum einen an deren innovativem Wahlkampf auf Instagram, TikTok und Twitch. Andererseits habe die FDP mit ihrer Kampagne auch einen Nerv getroffen: Viele junge Menschen wollen eine wirksame Klimapolitik, haben aber zugleich Angst vor tiefgreifenden Veränderungen. Genau diese Unsicherheiten habe die FDP adressiert – Klimaschutz und Innovation, aber ohne Verzicht auf das Auto oder den Bali-Urlaub.

Im Moment loten SPD, Grüne und FDP im Berlin gemeinsam eine Ampel-Koalition aus. Sowohl Weishaupt als auch Schäfer sehen inhaltliche Gräben zwischen Grünen und FDP, etwa in der Steuerpolitik. Zugleich gebe es aber auch Schnittmengen wie die Legalisierung von Cannabis und die Abschaffung des “Werbeverbots” für Abtreibungen. Nun gelte es, Kompromisse zu finden und gemeinsam einen Aufbruch zu gestalten, wie ihn sich viele Wähler*innen wünschen. “Das ist jetzt natürlich eine Chance für die Ampel”, meint Jamila Schäfer. Für sie ist aber auch klar: Die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels muss für die Grünen eine unverhandelbare Grundbedingung bleiben.

Klare Forderungen und Kompromisse

Beide Kandidatinnen sind mit einem klaren Profil angetreten: Saskia Weishaupt fordert die Abkehr von der Zweiklassenmedizin, die Abschaffung von §219a und einen bundesweiten Mietendeckel. Jamila Schäfer ihrerseits hat im Wahlkampf für ein verbindliches Lobbyregister und ein umfassendes Lieferkettengesetz gefochten. Wie geht es für sie damit im politischen Betrieb der Hauptstadt weiter?

Als Spitzenkandidatin der Grünen Jugend ist sich Weishaupt bewusst, dass sie mit einigen ihrer Positionen durchaus auf Widerstände stoßen wird – ob innerhalb der Mutterpartei oder in einer Koalition. “Natürlich wird es da immer Kompromisse geben”, räumt sie ein. Nichtsdestotrotz ginge es darum, verschiedene Vorschläge zusammenzubringen, um nach Jahren des gefühlten Stillstands wieder spürbare Veränderungen für die Menschen im Land zu bewirken.

Jamila Schäfer sieht in diesem kollektiven Projekt auch eine Möglichkeit, um die Glaubwürdigkeit der Demokratie unter Beweis zu stellen. “Wir sehen ja, dass die demokratische Handlungsfähigkeit immer mehr in Frage gestellt wird”, warnt die Studentin. Politikverdrossenheit und ein kollektives Ohnmachtsgefühl würden nur dazu beitragen, dass autoritäre Kräfte weiter Zulauf erhalten. Aus diesem Grund plant Schäfer auch, in ihrem Wahlkreis im Münchner Süden ein Abgeordnetenbüro zu eröffnen, um vor Ort Präsenz zu zeigen und die Verbindung zu den Bürger*innen aufrechtzuerhalten.

Nur indem man Werte wie Partizipation und Menschenrechte glaubhaft vertritt und vorlebt, so Schäfer, könne das Vertrauen in die Demokratie wieder gestärkt werden.


Titelbilder: © Elias Keilhauer

Originalgrafiken: Bayerisches Landesamt für Statistik / CC

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