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Gasteig zu vermieten: Wer betreibt Europas größte Zwischennutzung?

Der Gasteig in München gilt als Europas größtes Kulturzentrum. Bis zur teuren Renovierung schafft die Stadt dort Platz für eine Zwischennutzung – weil ein Großteil des regulären Gasteig-Betriebs bereits ausgelagert ist, die Sanierung aber erst mit Verzögerung ab 2024 starten kann. Doch die Vergabekriterien und das Mietmodell für die Zwischennutzung stehen auch in der Kritik.

Ein bis drei Hauptmieter*innen sollen es sein, die die leer gewordenen Räume und Säle des Gasteigs für gut ein Jahr bis Ende 2023 nutzen und untervermieten dürfen. Das sieht ein Konzept vor, das vorletzten Mittwoch im Stadtrat in nicht-öffentlicher Sitzung beschlossen wurde. Zuvor hatte das Referat für Arbeit und Wirtschaft einen Rahmenplan erarbeitet, wie man die Zwischennutzung aufziehen könnte.

Streitpunkt Kosten

Größter Streitpunkt: die Finanzierung. Keine Mietkosten für die Zwischennutzer*innen oder 7 Euro pro Quadratmeter? Das war die große Frage. Mit ihr wurde ein Stück weit auch darüber entschieden, wer und was vorübergehend Platz findet im Gasteig. Jetzt ist klar: Der oder die künftige Hauptmieter*in muss eine Miete von 7 Euro pro Quadratmeter bezahlen. Vorausgesetzt, er betreibt kulturelle Nutzungen vor Ort. Außerdem muss er die Nebenkosten – etwa für Strom, Wasser, Säuberung und die Bewachung des Gebäudes – tragen. Kosten, die sich nochmal auf zusätzliche 3,54 Euro pro Quadratmeter belaufen. Für Flächen, die später gewerblich genutzt werden (zum Beispiel als Gastronomie) ist zum anderen eine „Mindestmiete“ plus Umsatzpacht von 8% zu zahlen. Wie hoch diese Mindestmiete sein wird, wurde noch nicht festgelegt.

Kritik aus der Opposition

Nun wird gestritten, ob die geforderte Miete eine gute Sache – weil vergleichsweise günstig – oder vielmehr ein KO-Kriterium für unkommerzielle Projekte ist. Dabei sieht die Beschlussvorlage aus dem Stadtrat eigentlich vor, dass „ein deutlicher Anteil kostenloser oder kostengünstiger Angebote und Nutzungen“ Platz finden soll im Gasteig. Explizit erwähnt ist etwa die Freie Szene (also Kulturschaffende, die nicht in festen Anstellungsverhältnissen arbeiten) sowie die Schaffung von Proberäumen – die allgemein dringend benötigt werden in der Stadt.

Für nicht-etablierte Künstler*innen und Kulturschaffende wird der Raum uninteressant aufgrund der vorgelagerten Miete von 7 Euro plus Nebenkosten für den Hauptmieter, glaubt zum Beispiel Stadträtin Marie Burneleit von Die Partei. „Durch diese Vorlage im Stadtrat haben wir nicht sichergestellt, dass es hier eine niedrigschwellige Nutzung für Künstler*innen, Kulturschaffende und sonstige Gruppen gibt“, sagt sie. Sie hätte sich die kostenfreie Überlassung der Räumlichkeiten gewünscht – zumindest für Personen und Gruppen ohne ausreichende finanzielle Mittel.

Dabei hätte der komplette Erlass der Mietkosten für die Zwischennutzer*innen die Stadt „nur“ 1,5 Millionen Euro gekostet. Das geht aus der nicht-öffentlichen Beschlussvorlage hervor, die MUCBOOK vorliegt. Zur Einordnung: 3,5 Millionen nimmt die Stadt ohnehin mindestens in die Hand, um die Zwischennutzung über 14 Monate zu ermöglichen (etwa für die Kosten für die Betriebsmittel). Die Sanierung des Gasteigs an sich schlägt später gar mit stolzen 450 Millionen zu Buche.

Foyer Carl-Orff-Saal – Foto: © Ralph Buchner/Carola Amschler

Burneleits Sorge am verabschiedeten Betreiber-Modell ist weiter, dass der oder die Hauptmieter*in später überwiegend eine „eigene Bubble“ ins Haus holt – da er alleine über die Untervermietung entscheidet – und somit ein diverser Ansatz konterkariert wird. Ihr Bauchgefühl: „Irgendwann kennt man ja seine Pappenheimer. Das sind immer die ähnlichen Kreise“. Zum anderen sieht sie die Gefahr, dass die Haupt-Betreiber*innen die Räume zu teuer an Dritte weiter vermieten oder vermieten müssen. Zumindest erkennt sie im jetzt verabschiedeten Beschluss keinen wirksamen Mechanismus, um das nach der Übergabe an den*die Betreiber*in zu verhindern.

Ein Änderungsantrag von ihr sah vor, einen Teil der erwirtschafteten Gewinne (über die zu entrichtende Umsatzpacht aus gastronomischen Nutzungen etwa) in einen Fördertopf zu geben und mit diesem wiederum die Miete für weniger gut situierte Kreative zu finanzieren. „Es sind ja nicht alle Kunstschaffenden in funktionierenden Finanzierungsmodellen oder mit ausreichend Zuschüssen der Stadt oder des Staats versorgt“, sagt sie. Mit dem jetzigen Modell würden also nur die Leute ins Haus geholt, die ohnehin schon eine funktionierende Finanzierung haben. Was wiederum einem Experimentier- und Freiraumcharakter zuwider läuft.

Die Bewerbungsphase läuft…

Diesen Streitpunkten zum Trotz: Seit letzter Woche läuft jetzt die Ausschreibung und Interessierte können sich mit ihren Konzepten bewerben. Es ist wohl ein sehr kleiner Personenkreis, der ein Projekt in der Großenordnung und Komplexität stemmen kann. Ein solider Finanzplan sowie einschlägige Erfahrung sind gewünscht in der Ausschreibung.

Bis zum 27. Juli läuft die Bewerbungsphase. Dann wird eine Jury aus Kulturreferat, der Gasteig GmbH, dem Referat für Wirtschaft und Arbeit und dem Kompetenzteam Kultur und Kreativwirtschaft zusammen anhand eines Kriterienkatalogs über die Vergabe entscheiden. Folgende Faktoren sind entscheidend und dürften deshalb auch die Bewerbungskonzepte formen (einige Auszüge):

  • Keine Konkurrenz zum Gasteig HP8
  • Proben und Produktion werden bevorzugt vor kulturellen Veranstaltungen und kommerziellen Nutzungen und Veranstaltungen
  • Die Zwischennutzung soll maßgeblich und genreübergreifend Akteur*innen der Freien Szene berücksichtigen
  • Hoher Anteil an kostenlosen oder kostengünstigen Angeboten/Nutzungen und niederschwelligen Angeboten und Programmen
  • Nutzungen, Angebote und Programme werden genre- und spartenübergreifend beteiligt – inklusive Clubkultur, Skatern und Urban Gardening
  • Diversität, kulturelle Bildung und soziale Initiativen: Projekte und Partner*innen mit Fokus auf Inklusion und Soziales spielen eine gewichtige Rolle
  • Bildende Kunst: sofern möglich werden Bereiche und Flächen für temporäre Atelier- und Arbeitsflächen sowie Ausstellungs- und Präsentationsflächen für Bildende Künstler*innen berücksichtigt.

Wenn am 15. Oktober 2022 dann auch die Münchner Volkshochschule und die Hochschule für Musik und Theater mit ihren Büros final aus dem Gebäude ausziehen, kann die Nutzung offiziell starten und für gut ein Jahr in den Betrieb gehen. In fünf Sälen (inklusive Philharmonie und Carl-Orff-Saal), einigen Ladenflächen, Büro- und Unterrichtsräumen, Übungsräumen, den Foyers sowie Dach- und Außenanlagen. Die Außen- und Dachflächen werden eventuell schon ab 1. August bespielbar sein. Für die weitere Vergabe der einzelnen Räume und Säle ist dann der Hauptmieter verantwortlich.

Keine Konkurrenz zu HP8 und Isarphilharmonie

Naheliegenderweise soll die Zwischennutzung kein Konkurrenzangebot zum Gasteig HP8 und der Isarphilharmonie sein. Deshalb werden wohl keine klassischen Konzerte wie gehabt in der Übergangszeit dort stattfinden. Denkbar wären aber beispielsweise Parties oder Kongresse in der Philharmonie, meint Gasteig-Chef Max Wagner. „Das wäre kein Problem. Hier kann ruhig auch Techno sein“, sagt er auf Nachfrage. Er ist als Geschäftsführer der Gasteig München GmbH damit betraut, den Übergang zur Zwischennutzung zu managen, während sein eigenes Haus zwischenzeitlich selbst über die ganze Stadt verteilt ist. Inhaltlich war das Kulturreferat sowie das Referat für Arbeit und Wirtschaft verantwortlich für die Ausschreibung zur Zwischennutzung. Um die gebäudetechnischen Anlagen, den Gebäudeunterhalt und die Sicherheitszentrale wird sich aber die Gasteig München GmbH in dieser Zeit weiter kümmern. Auch weil eine schnelle Übergabe dieser komplexen Aufgaben im riesigen Areal wohl nicht möglich wäre.

Philharmonie von innen – Foto: © GMG / Matthias_Schoenhofer

Die Idee des Kulturreferats, einige Säle und Räume als Proberäume zu nutzen, hält Wagner für sinnvoll und praktikabel und verweist auf die Blackbox sowie die kleineren Säle im Gebäudekomplex. In der Übergangszeit soll der Gasteig abgesehen davon „möglichst so sein, wie er nie war“, sagt er. Der Zwischennutzung blickt er gespannt entgehen und erhofft sich auch Impulse auch für die Zeit danach, wenn der Gasteig mit seinem Betrieb nach der Sanierung wieder nach Haidhausen heimkehrt.

Letzte Mängel

Bis zur Zwischennutzung gibt es im Gebäude aber noch Mängel zu beseitigen, um die sich die Stadt gerade kümmert. Ein paar Dutzend asbestbefallene Brandschutzklappen müssen zum Beispiel ausgetauscht werden (zu Kosten im sechsstelligen Bereich). Ein Teil der Rohrsystems ist laut einem Gutachten außerdem von Legionellen befallen. In diesem Gebäudeteilen dürften zumindest keine gastronomischen Nutzungen aufschlagen. In der Ausschreibung heißt es außerdem sinngemäß, dass man aufgrund des Alters des Gebäudes etwaige Betriebsstörungen nicht ausschließen will. Bereits im Gebäude als Zwischenmieter ist das Impfzentrum. Und wird dort wohl noch etwas bleiben.

Der mittelgroße Wurf

Wie viel Kreativwirtschaft, wie viel Kommerz und wie viel sozio-kulturelle Nutzung erleben wir in Kürze am Gasteig? Eine erste Weiche wurde durch die Entscheidung für das Mietmodell im Stadtrat gefällt. Jetzt liegt es an den Bewerber*innen unter diesen Umständen tragfähige Visionen zu entwickeln und damit bei der Jury vorstellig zu werden.

Dass der Gasteig nicht über ein ganzes Jahr leer steht, bis die Sanierung Anfang 2024 mit Verzögerung startet, ist eine erfreuliche Sache – vor allem angesichts des Flächenmangels in der Stadt. Daher ist es ein Verdienst der Koalition, dass man diese Lücke erkannt und etwas dagegen unternommen hat. Ein mutiger und entschlossener Schritt für die Schaffung von kreativen Experimentier- und Freiräumen ist es indes nicht. Dazu wäre das Modell ohne Miete geeigneter gewesen. Auch wenn es etwas mehr gekostet hätte. Aber es hätte den Kostendruck für die Nutzer*innen aus der Sache genommen. Wie sich Wunsch („hoher Anteil von kostenlosen und kostengünstigen Nutzungen und Angeboten“) und Wirklichkeit nun vereinen lassen, muss sich zeigen. Die 150.000 Euro für die monatliche Miete der Philharmonie zum Beispiel dürften auch die Zwischennutzungsprofis nicht mal eben in der Portokasse haben.


Beitragsbild: © GMG/Johannes Seyerlein