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„Ich entdecke diesen depressiven Hedonismus auch in meinen Fotografien“ – Jonas Höschl über sein Buch „Fade Away Medley“

Irgendwo zwischen Party und Kater, zwischen Idylle und Brutalität, zwischen Hochmut und Verletzlichkeit liegt das Spielfeld von Jonas Höschls „Fade Away Medley“. „Wie Sofia Coppolas The Virgin Suicides, nur glücklicher und mit mehr Brezn und Bollerwagensuff“, nannte das die Musikjournalistin Miriam Davoudvandi treffend. Lob für den Bild- und Textband kam außerdem von Modeikone Wolfgang Joop persönlich. Grund genug also, mal einen genaueren Blick in des Werk des jungen Fotografen, Konzeptkünstlers und Wahlmünchners zu werfen. Ein Gespräch über den schwierigen Begriff Heimat, trübsinnigen Hedonismus und München.

Über „Fade Away Medley“ und was Mark Fisher damit zu tun hat – im Interview mit Jonas Höschl

Hi Jonas, dein Buch zeigt vornehmlich Fotoaufnahmen aus der oberfränkischen Provinz und postpubertäre Jugendkultur. Ergänzt werden diese durch Interviews mit Musiker*innen und Künstler*innen sowie Essays von Joshua Groß. Warum diese Kombination?

Das Fotobuch ist sehr autobiografisch und beleuchtet kritisch mein eigenes Aufwachsen. Das steht eigentlich im Widerspruch zu meiner restlichen künstlerischen Arbeit, in der ich mich meist versuche zurück zu nehmen und eher von einem medientheoretischen Interesse geleitet bin. Die Interviews mit einzelnen Protagonist*innen sind der Versuch doch mehr in die Breite zu gehen und verschiedene Einblicke in mehrere Facetten des Aufwachsens und des Aufbegehrens zu bekommen. Die begleitende Kurzgeschichte von Joshua Groß funktioniert hier quasi wie eine literarische Metaebene, in der verschiedene Motive meiner Fotografien aufgegriffen werden und einem Vibe der Bilderstrecke nachgespürt wird. Weiter folgt dann eine kunsttheoretische Einordnung der Kuratorin Juliane Bischoff.

Du konntest Wolfgang Joop für einen Kommentar auf dem Buchrücken gewinnen – er spricht von der Verletztheit und Arroganz sensibler Zeitgenossen, die er in den Texten und Fotos erkennt. Jetzt musst du uns natürlich verraten, wie es dazu kam?

Der Mythos muss natürlich etwas bestehen bleiben. Aber vielleicht so viel: Fade Away Medley hat vor Veröffentlichung schon als kleine Artist-Edition existiert. Davon gelangte ein Exemplar in seine Hände und daraufhin er hat mir einen sehr rührenden handschriftlichen Brief geschrieben. Als dann die tatsächliche Veröffentlichung geplant wurde, hat mein Verleger Sascha Ehlert nochmal nachgehakt, ob wir aus diesem als Quote für den Buchrücken zitieren dürfen – und Wolfgang Joop hat dankenswerterweise zugesagt.

Wenn über dein Buch gesprochen wird, fällt bisweilen ein Begriff, der vom britischen Kulturwissenschaftler und Essayisten Mark Fisher geprägt wurde: „depressiver Hedonismus“. Was verstehst du darunter? Wird dieser im Buch mit den Mitteln der Fotografie dargestellt?

Ich verstehe darunter eine toxische Wechselwirkung. Auf der einen Seite ein trügerisches neoliberales Versprechen, dass jede*r es schaffen kann, sofern er*sie sich nur genug anstrengt, immer weiter macht, noch disziplinierter ist. Auf der anderen Seite eine Flucht in Verschwendung, Konsum und Ablenkung. Ja, das spielt auch in meinem Fotobuch Fade Away Medley eine wichtige Rolle. Ich glaube, dass das was Mark Fisher mit depressiver Hedonie beschreibt, symptomatisch für unsere ganze Generation ist. Daher spielt das natürlich auch im Subtext der gegenwärtigen Popkultur immer wieder eine Rolle. Ich höre das zum Beispiel auch in der Musik von Haiyti oder lese davon in dem Buch Unsere anarchistischen Herzen von Lisa Krusche und ja, ich entdecke diesen depressiven Hedonismus auch immer wieder in meinen Fotografien.

Du bist Teil des Künstler*innenkollektivs „Tannhäuser Kreis“. Wie kam es dazu und was verbindet euch?

Der Kreis ist eine lose Vereinigung von circa 20 Künstler*innen aus ganz Deutschland, welche es sich zur Aufgabe gemacht haben unter dem Lemma Schuldiger Realismus rechte Strategien und Ästhetik offen zu legen. Zu Beginn sind wir ausschließlich auf Instagram in Erscheinung getreten. Seit 2022 fanden auch physische Ausstellungen statt, unter anderem in der Galerie Anton Janizewski (Berlin), dem Kunstraum Ortloff (Leipzig), dem Transit Filmfest (Regensburg) oder dem Mouches Volantes (Köln).

Du zeigst dich im Buch an einigen Stellen nackt. Ich habe mich gefragt: Warum und in welchem Zusammenhang steht das zum Rest der Aufnahmen?

Ich gehe in diesem Fotobuch sehr hart mit Niederbayern/Oberpfalz und dem dort vorherrschenden Katholizismus und Konservatismus ins Gericht. Diesen schonungslosen Blick wollte ich auch auf mich selbst richten. Und mich genauso angreifbar machen und verletzlich zeigen.

Aufwachsen in Franken und der schwierige Begriff „Heimat“

Du problematisierst, aber verwendest zugleich den Heimatbegriff. Warum ist es so schwierig damit?

Ich verwende den Begriff „Heimat“ nicht. Das Buch ist in einer Zeit entstanden in dem der Begriff eine gewissen Renaissance erfuhr. In der ein Heimatministerium gegründet wurde und in der vermeintliche linke Parteien groß „Heimat“ auf ihre Wahlplakate gedruckt haben, um diesen Begriff der rechten Deutungshoheit zu entreißen. Das hat aus heutiger Perspektive, wo sich die „NPD“ gerade in „Die Heimat“ umbenannt hat, offensichtlich nicht so gut funktioniert. Ich glaube der Begriff ist im Kontext der deutschen Geschichte verbrannt und nach wie vor zu sehr mit der Blut und Boden-Ideologie verwoben, als das man ihn davon befreien könnte. Wir sollten uns daher lieber an ganz neuen, inkludierenden Konzepten versuchen.

Hattest du als Kind und Heranwachsender ein Gefühl oder einen Begriff von Heimat?

Natürlich hatte ich davon eine Idee. Diese habe ich aber weniger an einem Ort, als an Menschen die mir sozial, politisch und künstlerisch Nahe sind fest gemacht. Und in der aktuell vorherrschenden Debatte ist der Begriff „Heimat“ ja vor allem ein politischer Kampfbegriff, der immer dann benutzt wird, wenn sich von etwas vermeintlich „fremden“ abgegrenzt werden soll. Das können wir aktuell ja wieder in Echtzeit bei den Wahlkampfreden von Hubert Aiwanger und Markus Söder beobachten.

Du bist in der Gegend um Regensburg aufgewachsen und hast in Nürnberg studiert. Was hat dich dann nach München gezogen?

Das ist in erster Linie meinem Studienweg geschuldet. Nachdem ich Fotografie bei Juergen Teller und Grafikdesign bei Friederike Girst und Holger Felten an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg studiert habe, bin ich als Meisterschüler von Olaf Nicolai an die Akademie der Bildenden Künste München gewechselt.

Wie unterscheiden sich Regensburg und eine Millionenstadt wie München für dich?

Mit Blick auf die Mietpreise, das politische Klima und die Größe an Subkultur unterscheiden sie sich eigentlich wenig bis gar nicht.

Über München…

Jetzt ein paar München-Fragen: Dein liebster Club/Bar hier?

Rennsalon

Welches Klischee stimmt wirklich?

Der Himmel ist weiß-blau.

Was hat dich überrascht hier?

Die Stadt ist tatsächlich schön.

Worüber fluchst du am häufigsten?

Über die Menschen, die diese Stadt bewohnen.

Spezi oder Helles?

Spezi

Geht immer…

Der Zug nach Italien.

Eine Person aus München, die du bewunderst?

Kurt Eisner

Zum künstlerischen Werdegang

Nochmal zu deinem Werdegang: Wann hast du eigentlich begonnen zu fotografieren?

Zur Fotografie kam ich durch mein Studium an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Dort habe ich 2015 in einer Grafikdesign-Klasse angefangen, mich schon bald aber vor allem in die Klasse für Fotografie aufgehalten. Da hat 2015/2016 eine sehr offene und dynamische Atmosphäre geherrscht, welche – denke ich – für alle befruchtend war.

Was ist dir besonders wichtig bei deinen Aufnahmen?

Wenn ich Musiker*innen fotografiere geht es mir meist darum, einen Moment zu erwischen der einen flüchtigen Blick auf die Persönlichkeit erahnen lässt. Das kann natürlich selten auf der Bühne passieren, sondern funktioniert am Besten im Backstage kurz vor oder kurz nach dem Auftritt.

Deine Fotos wirken oft sehr intim. Wie stellst du diese Nähe zu deinen Protagonist*innen her?

In Fade Away Medley sind ja tatsächlich auch viele Freund*innen abgebildet, denen ich und die mir vertrauen. Aber ich bemühe mich natürlich etwas ähnliches auch bei Auftragsarbeiten entstehen zu lassen. Ich persönlich habe mir angewöhnt mit sehr kleinen digitalen oder analogen Kameras zu fotografieren, dann wird man vom gegenüber nicht so ernst genommen und die Angst vor dem eigenen Abbild ist nicht so groß.

Gab und gibt es künstlerische Vorbilder für dich?

Keine Vorbilder im klassischen Sinn, aber ich war gerade für einen Vortrag zum FOTO WIEN Festival eingeladen und finde immer spannend, wenn es nicht bei der Fotografie und dem Bild aufhört, sondern multimedialer wird und das Medium selbst auch kritisch reflektiert. Dort habe ich z.B. eine tolle Solo Show von Huda Takriti in der Galerie CRONE gesehen. So kann eine fotografische Ausstellung heute formell und inhaltlich funktionieren.

Du schreibst und fotografierst auch für das junge Popkultur- und Musik-Magazin „Das Wetter“. Wie kam es dazu und in welchem Verhältnis steht die journalistische Arbeit zu deinen sonstigen Projekten?

Ich fotografiere viel für das Magazin, ja. Aber geschrieben habe ich bisher nur einmal Tour-Tagebuch, als ich Bilderbuch bei ihrer Amerika-Tour für eine Cover-Story begleitet habe und auch nur, weil der Chefredakteur Sascha Ehlert kurzfristig verhindert war und nicht mit nach Washington D.C. fliegen konnte. Sascha kenne ich seit 2020. Wir sind uns seit meinem ersten Fotojob für Das Wetter Magazin künstlerisch und freundschaftlich verbunden geblieben.

Und was ist für die Zukunft geplant bei dir?

Im Februar 2024 mache ich meinen zweiten Diplom-Abschluss an der Akademie der Bildenden Künste und bin hierfür gerade in der Recherche und mit verschiedenen Staatsarchiven in Kontakt. Die Arbeit wird man dann auf der Absolvent*innen-Ausstellung sehen können.

„Fade Away Medley“ ist im Das Wetter-Verlag erschienen. Hier kann es bestellt werden.

Beitragsbild: © Goldmann PR; Bilder im Artikel: © Marius Heller;

Das Interview wurde schriftlich geführt.

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