Kultur, Nach(t)kritik

Jugend ist keine Frage des Alters

Marco Eisenack

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15 Bands für 1800 Gäste auf drei Bühnen – eine reife Leistung für einen Jugendsender. Vielleicht manchmal ein bisschen zu reif. Zumindest, was den hohen Altersdurchschnitt der Besucher anging als on3 am Freitag zum großen Festival ins Funkhaus lud. Dafür waren die Bands umso frischer.

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So jung haben sich wohl viele Besucher lang nicht mehr gefühlt. So mancher Mittdreißiger, der sich am Samstag auf dem Weg zur on3-Party Gedanken über die zu erwartende Alterskohorte auf dem Festival eines Jugendsender machte, konnte sich entspannt seine Weißweinschorle holen. Es war ein Fest der feuilletonverschlingenden, spex-sozialisierten Highend-Feinschmecker. Das zeigte schon, dass der Wein sehr rasch ausverkauft war.

Dass sich junge Menschen an diesem Abend verloren gefühlt haben könnten, darf man jedoch nicht den Organisatoren ankreiden. Es lag eher an der Gnade der frühen Geburt. Denn wer schon länger auf unserem Planeten als Musikkenner unterwegs ist, weiß um den Wert der Bands, die Zündfunk und später die on3-Redakteure hier seit Jahren auf Festivals präsentieren. Nerds sichern sich die Tickets früh. 1800 Tickets im freien Verkauf für 15 Bands: Das macht im Durchschnitt 120 Zuschauer pro Band.

Wenn die verplanten von Facebook-Einladungen überfrachteten Junghörer, aus dem geschützten Raum des Internets auftauchen, um sich im realen Leben Tickets zu sichern, sind die Karten längst verschachert.

Dabei hätten noch weit mehr Menschen in die Studios gepasst. Erstaunlich leer wirkte es unter anderem bei Muso, einem erfreulichen Überraschungscoup der Festivalmacher.

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Muso – der Mann mit der Kamera am Kopf und den Beats im Blut.

Der Heidelberger Elektro-Spoken-Word-Künstler überzeugte mit engagierten Kollegen an Computern und Schlaggeräten, komplexen Klang-Arrangements, klugen Texten und authentischer Wut. (Diese rührte nicht nur von der ferngesteuerten Hightech-Kamera, die ihm gelegentlich gefährlich nah an die Schläfe fuhr.) Nicht nur wegen dem faszinierenden Spiel zwischen ferngesteuerter Kamera und Frontman ein Act, den zu wenige Besucher miterlebt haben.

Auch die wohl berühmteste Band des Abends erlebten nicht alle Gäste mit. Denn die ägyptische Erfolgsrocker Wust El-Balad bestreitete das Warm-Up – und das obwohl die Männer in Ägypten einen Kult-Status haben, der bei uns mit dem der Sportfreunde Stiller vergleichbar ist. Ãœbrigens eine der wenigen Bands, die nicht im Hip-Hop zuhause waren. Ansonsten stand der Abend mit Casper, Below, Muso und Ghostpoet unter der Flagge elektronische Beats und gesprochener Reime.

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Deeb – Äpypten-Polit-Rap fürs Partyvolk

Um den politischen Wandel in Ägypten zu unterstützen, hatte der Jugendsender des BR gleich drei arabische Acts nach München geholt. Interkultureller Austausch wie er Spaß – aber auch Sinn macht: so viele Interviews wie die ägyptischen Musiker in 24 Stunden in deutsche Mikrofone sprechen durften, hätten sie in Kairo nie geben können. Der zweite Ägypten-Act des Abends, der Rapper Deeb, fügte sich perfekt in den Hip-Hop-Schwerpunkt der Nacht. Deeb, Dauerdemonstrant vom Tahir-Platz, begeisterte im Studio 2 mit seinem politischen Reimen und zeigte erneut, dass sich Rap auf Arabisch noch besser anhört als auf Englisch. Neobyrd, ein weiterer Tahir-Platz-Act, durfte leider nicht ausreisen, da er von den Behörden nicht die nötigen Ausreisepapiere erhalten hatte.

Leichter hatte es da Moop Mama, die Münchner Bläser mit dem Crem-Fresh-Rapper.

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Moop Mama Рlaute Țne bis die Tropfen laufen.

Die Stimmung im Studio 2 war gut, aber nicht so sensationell wie die Bläser es gewöhnt sind. Viele Besucher, darunter sicher viele Muh-Leser, hatten vielleicht auch zu sehr das Gefühl einem von einem Major gecasteten La Brass Banda-Klon zu erleben. Dem ist natürlich nicht so. Im Gegenteil: Moop Mama entstammen dem Stall von Millaphon, dem bemerkenswertesten Label-Start-Up der Stadt. Was nicht nur daran liegt, dass Mehmet Scholl, Ex-Fußballer und Gelegenheits-DJ, einer der Gründer ist.

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Ebow – kein Bock auf Integration

Für viele der schönste Moment des Abends: Ebow. Auf mucbook.de wird sie gerne die Münchner M.I.A.-Ausgabe getauft. Dass man damit untertreibt, bekamen die Besucher in den Beinen zu spüren, als die türkischstämmige Kunststudentin das Studio mit ihrer kochendheißen okzident-orient-Suppe zum Überkochen brachte. Auch sportiv bewies Ebow mehr Kondition als die Londoner Tamilin.

Ausklingen lassen durfte den Abend die wunderschöne Dänin Oh Land. Nanna Øland Fabricius präsentierte sich den verliebten Blicken vieler Fans (darunter Casper: “Ich geh heute erst, wenn ich sie geküsst habe.”) in einem seltsamen, hautfarbenen Püschel-Fee-Kostüm mit Fühlern.

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Ihre Musik klang nicht wild, nicht laut und nicht sehr jung: aber dafür edel, weise und gut – eben ein schöner Abschluss für Gourmets.

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