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Meine Halte: Silberhornstraße – Der winzige Stachus in Giesing

Ein Gastbeitrag unseres Lesers Michael Nahr

Gestern besorgte ich mir bei dem einzigen weihnachtlichen Stand am Tegernseer Platz die empfohlene CD „Freezing in Giesing“, gemäß dem Auftrag „Support Your Local Underground“. Passenderweise fiel mir beim Schlendern wieder auf, wie unwirklich der Platz mit der U-Bahn-Station „Silberhornstraße“ eigentlich ist. Dabei war die Station für mich der Aufbruch in eine neue Welt. 

Schule in Giesings Höhen

Zu Beginn der Pubertät nach Harlaching gezogen, verbunden mit einer neuen Schule in Giesings Höhen. In der verordneten Selbstständigkeit musste ich aus dem gehüteten Elternhaus mit den legendären Straßenbahnlinien 15/25 in die Stadt und an der Silberhornstraße umsteigen. Auf dem Platz trafen sich alle Generationen und Einwohner des Viertels und suchten den Anschluss (verkehrlich und menschlich). Ich mittendrin in der Hektik, der sprachlichen Vielfalt und den grantelnden Grattlern.

Nach einer ersten Scheu entwickelte sich diese Station zu einem wichtigen Dreh- und Angelpunkt für mich, nicht nur wegen der verkehrlichen Möglichkeiten. Die Umgebung wurde bei Verspätung des MVV erkundet und das „Glasscherbenviertel“ entwickelte mit seinen kleinen Gassen und dem Leben auf der Straße seinen Charme für mich. Es gab Fahrrad-, Schallplattenläden und im kleinen Buchladen mit einer feinen Comic-Ecke konnte ich meine Tim und Struppi-Sammlung vervollständigen. Irgendwann kam die Romantik dazu, mit ersten längeren Umarmungen zum Abschied in die Winterferien, von den Räuschen ganz zu schweigen. Legendär ein Abend als Praktikant einer Baufirma mit Maurern und Zimmerern in der „Schwarzen Katz“.

Im Untergrund

Im Untergrund hat man immer gehofft, in den Wagen einzusteigen, wo der Schwarm saß. Später hat der Schwarm dann am Kiosk im Sperrengeschoß gewartet. Die Butterbreze, die ich beim neuen Betreiber in schwelgender Erinnerung erworben habe, hatte natürlich nicht die Qualität, aber die Atmosphäre passte.

Erstaunlich, ich habe die U-Bahn Station die letzten 25 Jahre nicht mehr genutzt, aber ich will sie nicht missen. Ärzte meines Vertrauens gruppieren sich um den Platz, ich trinke gerne ein Giesinger, freue mich mit den Löwen und wenn ich meine Eltern besuche, nehme ich gerne den Umweg und nerve meine Kinder mit Anekdoten. Die meinten trocken: “Da wissen wir ja, wo deine Vorliebe für die Farbe Orange herkommt”.

Winziger Stachus in Giesing

Die U-Bahnstation Silberhornstraße gewinnt Ihre Unverwechselbarkeit durch die vielen lebendigen Kontakte im kleinen Umfeld, ein winziger Stachus in Giesing. Touristen verirren sich nicht in diese Gegend, außer vielleicht Architekturstudenten, die Robert Vorhoelzers „Telapo“ bewundern.

Da schließt sich mein Kreis: Ich bin selber Architekt und erfreue mich immer wieder an diesem wohl durchdachten Ensemble – es ist übrigens mit das älteste Gebäude am Platz. Es fiel mir bereits bei meinem ersten Umstieg aus der Fünfzehner in die U8 auf und später im Studium hielt ich ein Referat über diese Post. Dazu gehörte, etwas vorgelagert, das „Cafe Tela“. Diese legendäre Wirtschaft hat das Miteinander vor Ort bis ca. 1968 geprägt. Diesen Verlust merkt man dem Platz an – wenn wieder ein Lokal einziehen könnte, wäre ich einer der ersten, der nach einem fröhlichen Abend, berauscht mit orangener Mütze, die U-Bahn Station „Silberhornstraße“ wieder nützen würde.       

1Comment
  • Anne
    Posted at 11:39h, 20 Dezember

    Spannend zu lesen, die Beobachtungen über eine längere Zeitspanne hinweg. Finde das Telapo recht unscheinbar (bin keine Architektin …) , wird aber durch den kurzen historischen Exkurs interessanter, wenn ich mal wieder vorbeikomme guck ich genauer hin!

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