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Meine Halte: St.-Martins-Platz – Giesinger Gemütlichkeit im Wandel der Zeit

Simon Hirler

Entspannt wie immer rattert meine Tram in mäßigem Tempo durch die Straßen. Raus aus der Innenstadt, über die Reichenbachbrücke, den Nockherberg hoch, nächster Halt: St.-Martins-Platz.

Rückzugsort Ostfriedhof

Immer, wenn ich hier aussteige, spüre ich auf Anhieb ein gewisses Maß an Gelassenheit. Die imposante Aussegnungshalle des Friedhofs fällt sofort ins Auge. Sie alleine strahlt schon eine gleichgültige Ruhe aus, die man in anderen Teilen Münchens oft vergeblich sucht. Gleiches gilt für die Friedhofsanlage selbst. Sämtlicher Lärm scheint an ihrer Mauer abzuprallen, stattdessen kann ich hier das Rauschen der Blätter und das Zwitschern der Vögel genießen. Oft schlendere ich ziellos durch die vielen kleinen Wege der Anlage, einfach um irgendwie „abzuschalten“. Zwischen den alten Bäumen und den teilweise wirklich eindrucksvoll gestalteten alten Gräbern gelingt mir das zum Glück fast immer.

Zwischen Gentrifizierung und „Urigkeit“

Für mich steht die Ruhe des Ostfriedhofs fast schon exemplarisch für die generelle Atmosphäre Giesings. Hier findet man noch die viel beschworene „Urigkeit“, mit der München so inflationär für sich wirbt. Das liegt nicht zuletzt an der Geschichte Giesings: Jahrhundertelang war es Arbeiterviertel und hier wohnten schon im Mittelalter Unmengen an Tagelöhnern und Handwerkern, die maßgeblich am Wachstum der Stadt und dem Bau ihrer Großprojekte beteiligt waren. Das Wohnrecht in der Stadt selbst erhielten sie aber nicht und besiedelten deswegen die Isarauen am Stadtrand. Im Zuge der Industrialisierung wuchs Giesing enorm, was immer noch im Stadtbild des Viertels erkennbar ist. Viele der kleinen Arbeiterhäuschen und Siedlungen sind erhalten geblieben und bilden zumindest ein kleines Gegengewicht gegen die umfassende Gentrifizierung der Stadt.

Als 2017 das denkmalgeschützte „Uhrmacherhäusl“ illegal abgerissen wurde, kam es zu mehreren Demos und Protesten der Giesinger*innen gegen Profitgier und Kapitalisierung. Bis heute wehren sich die Bewohner*innen oft erfolgreich gegen diese Entwicklungen und erhalten die gesellige, urige Atmosphäre ihres Viertels und ihre Lebensqualität.

Vielleicht hab ich mich auch deshalb als „Dorfkind“ so leicht eingelebt hier: diese gewisse Vorortstimmung finde ich einfach angenehm. Nicht so schick wie Bogenhausen, nicht so „hip“ wie Schwabing, aber trotzdem zentral genug, um mal schnell in die Innenstadt zu fahren und sich dort dem Treiben der Stadt hinzugeben. Dabei muss man eigentlich gar nicht raus aus Giesing, um mal etwas Action zu haben.

Die Attraktionen im Viertel

Da ist zum Beispiel die „TeLa“, die Tegernseer Landstraße, mit ihren vielen kleinen Cafés und „Boazn“ – den kleinen, teilweise etwas heruntergekommenen Bars und Kneipen. Dort kann man entspannt und fast schon in familiärer Stimmung den Abend verbringen, gerade wenn man auf den Massenbetrieb in der Innenstadt mal keine Lust hat. Trotzdem, sei es der Biergarten am Nockherberg, das ganze Areal um die Silberhornstraße oder die recht nahen Isarauen und das Sechzgerstadion: Langweilig wird mir hier eigentlich nie. Wie überall gibt es hier einfach viele Ecken, die sich zu entdecken lohnen – vorausgesetzt man findet sie. Besonders der Giesinger Grünspitz am Ende der TeLa ist für mich einfach der perfekte Spot für ein abendliches Bier und lange Gespräche geworden, auch wenn man ihn bei Weitem nicht mehr als Geheimtipp bezeichnen kann.

Auch die oft grölend durch die Straßen ziehenden 60er-Fans ertrage ich gern, einfach weil sie und der Traditionsverein dazugehören. Als ewige und stolze „Underdogs“ passen sie gut zum Viertel, das bis heute an seinem ursprünglichen Charakter und Charme festhält – und das finde ich einfach fantastisch.

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