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Mit Weitblick gegen den Klimawandel: Das Referat für Klima- und Umweltschutz

Florian Kappelsberger

Katastrophales Hochwasser in Deutschland, verheerende Waldbrände in Südeuropa und Algerien, verzweifelte Warnungen von den Wissenschaftler*innen des Weltklimarats: Nie schien die Bedrohung der globalen Klimakatastrophe unmittelbarer als jetzt. Alle sind gefragt, zu handeln – vom Einzelnen über Unternehmen und Kommunen bis hin zu Regierungen und internationalen Institutionen.

Die Stadt München, die bereits im Dezember 2019 den Klimanotstand ausgerufen hatte, hat deshalb zu Beginn diesen Jahres eine neue Stelle gegründet: das Referat für Klima- und Umweltschutz. Geführt wird es von Christine Kugler, die vorher unter anderem die Bäder der Münchner Stadtwerke leitete. Ziel des Referats ist es, Nachhaltigkeit und Naturschutz stärker in der Stadtpolitik zu verankern und eine stringente Strategie zu erarbeiten, damit München bis 2035 klimaneutral wird. MUCBOOK hat mit Christine Kugler über den schwierigen Start mitten in der Corona-Pandemie, das ambitionierte Klimapaket der Stadt und die langfristige Strategie des Referats gesprochen.

© The Point of View Photography

MUCBOOK: Das Referat für Klima- und Umweltschutz wurde im Januar 2021 gegründet. Wie hat sich der Aufbau der neuen Stelle in dieser Ausnahmesituation gestaltet?

Nach der Teilung des Referats für Gesundheit und Umwelt mussten wir eine neue Referatsleitung mit eigenem Stab schaffen, das war eine gewisse Aufbauarbeit in den ersten Monaten. Ganz zu Beginn waren wir nur zu zweit in der Leitung, sind aber von Anfang an mit vielen, vielen Themen konfrontiert gewesen – Klima- und Naturschutz, Biodiversität, Klimaanpassung, Ernährungswende und so weiter. Corona war dabei natürlich auch ein beherrschendes Thema: Dadurch, dass viele Mitarbeiter*innen im Homeoffice gearbeitet haben, habe ich die meisten eher über die Webex-Kachel kennengelernt als über den persönlichen Kontakt. Das macht schon etwas aus, es ist sozusagen eine zusätzliche Hürde dabei, das neue Referat von innen kennenzulernen und auszurichten.

Wie bindet das Referat auch zivilgesellschaftliche Akteur*innen in seine Arbeit ein?

Wir haben schon recht frühzeitig Kontakte geknüpft in die organisierte Zivilgesellschaft, die haben sich natürlich auch direkt bei uns gemeldet und wollten uns kennenlernen. Wir haben zum Beispiel eine sehr schöne und enge Zusammenarbeit im Rahmen des Wattbewerbs, an dem wir teilnehmen. Das ist im Grunde eine Art städtischer Wettbewerb, wer die höchsten Photovoltaik-Zubauraten hat in Watt je Einwohner, initiiert von Fossil Free Karlsruhe. Wir sind jetzt in enger Kooperation mit verschiedenen Akteuren aus dem Solarbereich, also mit den Fridays for Future, mit den Parents for Future, mit der Solarenergie-Dachgesellschaft und vielen mehr, und das läuft sehr erfreulich.

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Am 16. Juli hat die Stadt ihr Klimapaket vorgestellt, ein enorm ambitioniertes Investitionsprojekt, das verschiedenste Maßnahmen bündelt. Wie wurde es erarbeitet?

Das lief im Prinzip sehr kooperativ und auch tatsächlich sehr hands-on, ich war persönlich beteiligt, aber auch zahlreiche Mitarbeiter*innen aus meinem Stab und aus dem Referat. Es war schönes Teamwork, wir haben uns zum Teil auch die halben Nächte um die Ohren geschlagen, weil wir natürlich enormen Zeitdruck hatten. Die Idee hinter diesem Grundsatzbeschluss war ja, die strukturellen Voraussetzungen für den Klimaschutz zu schaffen. Aber die Grundidee beim ersten Schritt war: Die Kommunen sind eigentlich der zentrale Hebel für die Klimawende. In den Metropolen wird entschieden werden, ob wir es schaffen oder nicht. Gleichzeitig sind die Kommunen natürlich auch ausgesprochen vulnerabel – hochversiegelt, Hitzeinseln, alle diese Dinge. Und wir haben uns dann einfach überlegt: Wo liegen die kommunalen Handlungsspielräume?

Welchen Ansatz verfolgt das Klimapaket?

Wir sehen die Schlüsselstrategie für den Klimaschutz in einem integrierten Quartiersansatz: Darin können wir kommunale Wärmeplanung mit klimafreundlicher Mobilität, aber auch Klimaanpassung verbinden. Neben der energetischen Gebäudesanierung ist die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung ein wichtiges Thema – im Fernwärmenetz über Tiefengeothermie, im Gasnetz über den Einsatz erneuerbarer Energien wie der oberflächennahen Geothermie. Dann gibt es natürlich den großen Bereich Photovoltaik, wo wir durchaus hohe Ausbaupotenziale sehen: Ungefähr 25% des Strombedarfes könnte man rein theoretisch wohl über Photovoltaik decken. Auch die klimafreundliche Mobilität finde ich deshalb so spannend, weil man natürlich über die Frage: “Wie verteile ich vielleicht auch den Straßenraum neu?” möglicherweise auch wieder Räume und Optionen für grüne Infrastruktur und blaue Infrastruktur nach dem Schwammstadt-Prinzip schafft. Auf dieser räumlichen Ebene kann ich alle diese Infrastrukturfragen also richtig zusammendenken.

Das Quartier bietet glaube ich für die Klimaneutralität einen wirklich spannenden Ansatz. Man muss jetzt bewusst damit anfangen, zu lernen und dann zu skalieren: Bis 2035 müssen wir 400 Quartiere bearbeiten und rund 170.000 Gebäude anfassen, das ist schon eine gewaltige Herausforderung. Auch die Wirtschaft hat natürlich in den Produktionsprozessen, aber auch bei der Abwärme ein hohes Klimaschutzpotenzial, das man etwa über Beratung erschließen kann. Dabei wird die zirkuläre Kreislaufwirtschaft ein Thema sein. Dann gibt es noch den Bereich der Lebensstile, wo es natürlich um die Ernährungswende und um Fragen des persönlichen Konsums geht, also beispielsweise Teilen statt Besitzen, Sharing Economy und so weiter.

Uns war außerdem wichtig, dass man ein paar zentrale Instrumente wie einen Klimarat einführt, das ist auch eine wesentliche Forderung aus dem städtischen Klimanotstandsbeschluss vom Dezember 2019. Wir machen künftig eine Klimaprüfung aller klimarelevanten Beschlussvorlagen und wollen eine Klimafolgekostenberechnung bei Investitionen über 10 Millionen Euro einführen. Wir haben auch ein “Klimagesetz” verabschiedet, das erste “kommunale Klimagesetz” in Form einer Satzung. Dadurch haben wir eine sehr hohe Verbindlichkeit für den Klimaschutz und für Klimaanpassung.

Insgesamt denke ich, dass es nicht nur darum gehen wird, über einzelne klimapositive Projekte nachzudenken, sondern dass es im Grunde auch eine strukturelle Transformation braucht. Bei allem, was man tut, bei diesen zahllosen Beschlüssen und Entscheidungen, die in dieser Stadt tagtäglich gefällt werden, muss man sich eigentlich immer die Frage stellen: Was bedeutet es denn für den Klimaschutz? Was bedeutet es für den Bereich der Klimaanpassung? Diese hohe Sensibilität wollen wir mit diesen Instrumenten eben erreichen, um damit auch der Politik und dem Stadtrat entsprechende Entscheidungsgrundlagen liefern.

Nach dem verheerenden Hochwasser vor wenigen Wochen gibt es bundesweit Debatten über Katastrophenschutz. Wo steht München im Bezug auf potenzielle Bedrohungen, aber auch Vorsorgemöglichkeiten?

Das beschäftigt uns natürlich sehr stark. Wir sind innerhalb des Referats schon sehr aktiv beim Thema Stadtklima, und diese Aktivitäten werden wir auf jeden Fall mit in den Quartiersansatz ziehen. Wir werden uns auch verstärkt mit Starkregenvorsorge und Niederschlagsmanagement beschäftigen. Dabei ist das Schwammstadt-Prinzip wichtig: Wenn der Regen im Erdreich gebunden wird und nicht in die Kanalisation fließt, dann ist das einerseits für das Wassermanagement hilfreich, aber es ist natürlich auch gut für das Klima in der Stadt, weil diese Feuchte später wieder verdunstet und damit Kühle schafft. Das halte ich für ein ganz ganz zentrales Prinzip, Berlin ist da schon relativ weit.

München hat natürlich den glücklichen Vorteil, dass es auf einer Schotterebene sitzt, womit Regenwasser recht schnell im Untergrund versickert. Nichtsdestotrotz: Wir sehen, dass Starkregenereignisse immer mehr zunehmen und dass es kaum möglich ist, zu prognostizieren, wo sich dieser Regen dann tatsächlich abregnet. Auf so etwas wird man sich mutmaßlich mehr einstellen müssen. Auch der Weltklimarat prognostiziert, dass sowohl Dürre- als auch Starkregenereignisse weiter zunehmen werden. Der Klimawandel ist angekommen, da gibt es keine Illusionen mehr.

Im Moment wird hitzig über die Rolle von institutionellen Akteuren in der Klima- und Energiewende diskutiert – ausgehend von der Wahlkampfforderung der Grünen, ein Klimaschutzministerium mit Vetorecht zu schaffen. Wie blicken Sie auf diese Debatte?

Wir gehen ein bisschen einen anderen Weg, auch wenn die Richtung ähnlich ist: das Klima immer mitzudenken. Ich sehe die Rolle unseres Referats darin, dass wir Transparenz für die politisch legitimierten Entscheidungsträger im Stadtrat schaffen, zum Beispiel über die klimarelevanten Auswirkungen von Entscheidungen und Investitionen in allen Bereichen. Wir erarbeiten eine klare Strategie mit inhaltlichen Schwerpunkten, aber man muss tatsächlich auch ein hartes Monitoring dahinter legen: eine Treibhausgasbilanzierung, eine Zielerreichungskontrolle und so weiter. Das sind natürlich alles Dinge, wo wir jetzt gerade noch am Anfang stehen, aber das halte ich für ganz wichtig. Wir wollen eben eher weg von der einzelnen Photovoltaikanlage auf dem Dach hin zu einer ganzheitlichen, integrativ gedachten Strategie, die dann eben auch Erfolge misst.

Was unseren Klimarat angeht: Er hat finde ich durchaus schon viel weitreichendere Befugnisse als die derzeitige Energiekommission, weil er auch bei Grundsatzentscheidungen verpflichtend einzubinden ist. Aber mit einem Vetorecht zum Beispiel des Klimarats, der aus berufenen Mitgliedern besteht, hätte ich ein demokratietheoretisches Problem, weil wir ja demokratisch gewählte Vertreterinnen und Vertreter im Stadtrat haben. Der Klimarat kann sicherlich wichtige Einschätzungen und qualifizierte Stellungsnahmen abgeben, aber entscheiden muss in meinen Augen natürlich am Ende des Tages das demokratisch legitimierte Gremium.

Verglichen mit dem städtischen Mobilitätsreferat, das zeitgleich gegründet wurde, ist das Referat für Klima- und Umweltschutz bisher relativ wenig präsent in den Medien. Woran liegt das?

Es hing bei uns in den ersten Monaten schlicht daran, dass wir überhaupt keine Pressesprecherin hatten – wir waren also kommunikativ gar nicht vertreten. Deswegen waren wir am Anfang natürlich nicht besonders aktiv in der Pressearbeit: Wir haben im Grunde nur reagiert über die Sprecher*innen, die im damaligen Referat für Gesundheit und Umwelt waren, aber wir haben keine aktive Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Das kommt jetzt so langsam und wir werden präsenter. Mir war es auch ganz lieb, dass wir am Anfang ein bisschen unter dem Aufmerksamkeitsschirm geflogen sind, weil es uns wirklich die Möglichkeit gegeben hat, alles grundlegend zusammenzudenken.

Was plant das Referat für die nahe Zukunft?

In der zweiten Jahreshälfte wird es einen II. Grundsatzbeschluss mit den Ergebnissen aus dem Fachgutachten und inhaltlichen Schwerpunktsetzungen geben, um das Ganze nochmal fachlich zu unterfüttern und zu konkretisieren. Daran hängt auch die finanzielle Ausrichtung: Wie verwenden wir das Klimabudget? Daneben sind wir nach wir vor an vielerlei Stellen aktiv: Wir machen uns über die Ernährungswende Gedanken, beispielsweise mit der Einrichtung eines Ernährungshauses. Das ist ein ganz, ganz zentraler Punkt im Klimabereich, was die Emissionen angeht.

Wir sind gerade auch sehr aktiv in Sachen Naturschutz, Biodiversität und allen diesen Themen, es hängt ja auch alles miteinander zusammen. Davon abgesehen haben wir natürlich auch einen großen Bereich, der sich nur mit Umweltvollzug beschäftigt und tagtäglich darauf achtet, was in dieser Stadt mit Abfall, Altlasten, Emissions- und Lärmschutz und so weiter passiert. Das Themenspektrum ist also relativ breit. Uns wird auch die Frage beschäftigen, wie wir es tatsächlich schaffen, die Zivilgesellschaft gut einzubinden in diesen Prozess.

Die größten Fraktionen im Stadtrat blicken durchweg positiv auf die Arbeit des neuen Referats für Klima- und Umweltschutz – auch wenn sie dabei unterschiedliche Akzente setzen. Die SPD-Regierungsfraktion freut sich, dass viele ihrer Anträge durch das Referat aufgegriffen werden. Die Sozialdemokrat*innen fordern eine langfristige Strategie und betonen den sozialen Aspekt von Themen wie Wohnen, Mobilität und Ernährung: “Eine Stadt, in der die Armen die Zeche zahlen und die Reichen unökologisches Verhalten weiter erkaufen können, ist nicht unser München.” Gefordert werden Milliardeninvestitionen in nachhaltige Infrastruktur, mitgetragen von Bund und Freistaat.

Ihr grüner Koalitionspartner sieht es ähnlich, wie Fraktionsvorsitzender Dr. Florian Roth mitteilt: “Die Grünen – Rosa Liste freuen sich über den Schwung, der mit dem neuen Referat in die Klima- und Umweltschutzpolitik eingekehrt ist.” Die Fraktion lobt das Klimaschutzprogramm, das vom Referat vorgelegt wurde und unter anderem Baumpflanzungen im öffentlichen Raum sowie die Umstellung der Straßenbeleuchtung auf LED-Technik vorsieht. Die CSU-Opposition ihrerseits reklamiert die Schaffung eines Referats für Klima- und Umweltschutz als Initiative aus ihrem Wahlprogramm von 2020 und betont die Dringlichkeit seiner Aufgaben: “Die CSU setzt weiterhin auf gute Angebote und eine schnelle Umsetzung durch die Verwaltung.”


Titelbild: © jplenio / Pixabay

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