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Tempo 30: Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ fordert neues Tempolimit für München

Simon Hirler

Verkehrslärm, Umweltverschmutzung, mangelnde Sicherheit für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen: Der Münchner Autoverkehr führt bei vielen Menschen regelmäßig zu Frust und beeinträchtigt die urbane Lebensqualität für Nicht-Autofahrer*innen. Ein Tempolimit von 30 km/h in der Stadt könnte diese negativen Folgen deutlich verringern. Kürzlich hat die Fraktion Ökologisch-Demokratische Partei/München-Liste einen Antrag im Stadtrat gestellt, der sich für eine flächendeckende Anpassung der Tempolimits in der Stadt ausspricht.

Tempo 30 für mehr Sicherheit und Lebensqualität

Der Antrag fordert den Beitritt der Stadt München zu der Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“. Diese fordert mehr Entscheidungsfreiheit der Kommunen, wenn es um das Bestimmen von Geschwindigkeitsbegrenzungen innerorts geht. Konkret soll der Bund es den Kommunen ermöglichen, Tempo 30 „flexibel und ortsgebunden“ anzuordnen, wie es im Antrag heißt – dies würde auch Hauptverkehrsstraßen einschließen. Bisher haben die Kommunen keine rechtliche Verfügung, um ein Tempolimit von 30 km/h auch außerhalb von Gefahrenzonen, Wohngebieten oder sozialen Einrichtungen durchzusetzen.

Ein Schritt Richtung Verkehrswende?

Dabei wäre eine umfassendere Einführung dieses Tempolimits ein Schritt in Richtung Mobilitäts- und Verkehrswende: Das Umweltbundesamt hat sich bereits 2016 in einem Papier umfassend mit den Auswirkungen von Tempo 30 im Straßenverkehr auseinandergesetzt. Das Fazit sei eindeutig: Das Tempolimit führe insgesamt zu Verbesserungen „bei Verkehrssicherheit, Lärm- und Luftschadstoffminderung und bei den Aufenthaltsqualitäten“. Auch seien die oft vorgebrachten Negativfolgen von Tempo-30-Regelungen minimal: In den meisten Fällen würden sie nicht zu häufigeren Staus oder längeren Fahrtzeiten führen, auch die „Leistungsfähigkeit“ von Hauptverkehrsstraßen werde nicht nennenswert beeinflusst.

Bisher sind bereits 937 Städte, Gemeinden und Landkreise Teil des Vorhabens und engagieren sich für mehr kommunale Entscheidungsfreiheit bei der Anordnung von Tempolimits. Darunter sind auch Städte wie Nürnberg, Augsburg und Ingolstadt. Im Landkreis München sind Feldkirchen und Garching bereits Mitglieder der Initiative.

„Die Frage zwischen Überleben und Nicht-Überleben“

Gerade bei Verkehrsunfällen entscheide Tempo 30 oft über Leben und Tod, wie der Unfallforscher Dr. Wolfram Hell erklärt. Hell ist Präsident der Gesellschaft für Medizinische und Technische Traumabiomechanik e.V. und forscht im Zuge dessen zur Unfallprävention im Straßenverkehr: Wenn ein Fußgänger mit Tempo 50 angefahren wird, lägen dessen Überlebenschancen bei etwa 10%. Bei Tempo 30 wiederum überleben durchschnittlich 90% der Unfallopfer. „Die biomechanische Energie ist das Problem“, erklärt Hell und erläutert dies anhand eines Vergleichs: Ein Unfall zwischen einem Autofahrer und einem Passanten mit 50 km/h sei in etwa mit einem Sprung vom 10-Meter-Brett auf den Asphaltboden vergleichbar – und damit für den Fußgänger kaum überlebbar. „Tempo 30 ist bezüglich der traumabiomechanischen Energie ungefähr der Sprung vom 3-Meter-Brett.“ Trotz Verletzungen habe der Fußgänger hier eine realistische Chance den Unfall zu überleben. „Je geringer die Energie, desto geringer die Verletzung.“

Es gäbe verschiedene Mittel, um die Unfallstatistik positiv zu beeinflussen, beispielsweise die räumliche Trennung von Verkehrsteilnehmern durch separate Fuß- und Radwege. Auch an reinen Autostraßen, wie etwa am Mittleren Ring, seien Tempo-30-Regelungen fehl am Platz, so Hell. Doch im städtischen Mischverkehr, wo sich Fußgänger, Radfahrer, E-Scooter-Fahrer und co. die Straßen mit Autofahrern teilen müssen, sei Tempo 30 sinnvoll. „Wir würden, wenn es zu Kollisionen kommt, eine deutliche Reduktion von schweren oder sogar tödlichen Verletzungen von Fußgängern, Radfahrern und E-Bike-Fahrern erwarten können“, meint Hell.

„Vision Zero“ – Keine Toten oder Schwerverletzten im Straßenverkehr

Eine dementsprechende Verkehrsplanung ist aber nicht immer leicht umzusetzen und auch politisch kontrovers. Jedoch hat der Stadtrat bereits im Jahr 2018 die sogenannte „Vision Zero“ als Grundlage der Münchner Verkehrssicherheitsarbeit beschlossen. Das Ziel der Verkehrsstrategie ist ambitioniert: Keine Toten oder Schwerverletzten im Straßenverkehr. Um dieses Ziel zu erreichen, sind einige Änderungen in der Verkehrsinfrastruktur der Stadt nötig. Mehr Tempo-30-Zonen auf Münchens Straßen sind dabei ein durchaus effektiver Ansatz.


Beitragsbild: © Mucbook

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