Aktuell, Kolumnen, MUCBOOK Print, Münchner Gesichter
„Angefangen hat alles mit einem unerwarteten Fund“ – Max Kersting über seine Kunst, München und andere Kleinstädte
Glück ist für Max Kersting, so hat er das mal in einem Podcast erzählt, einen guten Song auf einem schlechten Britney Spears Album zu entdecken. Oder schrullige Bildunterschriften im Lokalteil der Lippstädter Zeitung – seiner Heimatregionalzeitung. Für charmante Schrägheiten und die kleinen Unstimmigkeiten des Alltags hat der Künstler, Designer und Texter jedenfalls ein großes Herz – und einen ebenso guten Riecher.
Als eine Art Fotoflüsterer versetzt er alte Schnappschüsse durch Texte in neue, humorvolle Sinnzusammenhänge. Zu sehen sind diese Kommentare in seinen Ausstellungen, Büchern sowie in Teilen des Internets. Mit diesem selbst geschaffenen Genre und Stil hat er seit gut einer Dekade eine gewisse Bekanntheit erlangt, obwohl er zunächst mal eigentlich nur recht planlos Grafikdesign in Düsseldorf studiert hat. Zuletzt landete eine seiner Arbeiten auf dem Titel des Zeit Magazins – so etwas wie ein kleiner Ritterschlag für jeden Illustrator.
Zu seinem Schaffen zählen aber auch Projekte, die irgendwo zwischen Privatvergnügen und Kunst rangieren. Mit Vorliebe fotografiert er etwa privat aufgestellte Basketballkörbe und er hat vormals den Punk-Namen-Generator in die Welt gesetzt.
Last but not least wurde unser aktuelles Heft-Cover von ihm gestaltet. Genug der Gründe also, um den Wahl-Münchner hier einmal näher vorzustellen. Vorhang auf:
Vom Antiquariat ins Internet – Im Gespräch mit Max Kersting
Hi Max, du kommst ursprünglich aus Lippstadt, eine Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen. Was sollte die Welt über Lippstadt wissen?
Im September wird es im Kunst im Turm (kurz KIT) im Lippstädter Süden eine Solo-Ausstellung von mir geben. Vor mir im KIT-Veranstaltungskalender 2023 finden sich der Erwitter Künstler Rosario Buccellato mit dem Ausstellungstitel “Malerei”, die Lippstädter Künstlergruppe Septimus mit “Terra Incognita”, die Mappenschule Profiprax mit ihrer Jahresausstellung und Mitglieder des Forum zeigen Arbeiten zum Thema “Rot – Schwarz”.
Es gibt auch noch einen interessanten Fakt: In der Nähe des KIT gibt es eine Riesenschaukel, was der Illustrator und Autor Felix Bork, der im Sommer 2021 drei Tage in Lippstadt war, bestätigen kann. Dort kann man wirklich enorm schwingen.
Über Umwege bist du jetzt in München gelandet. Hast du dich gut eingelebt?
Halbwegs. Schwabing-West ist aber schon mein Stadtteil.
Du bist bekannt dafür, alte Fotos und Reklamen durch Überschriften oder Sprechblasen zum Sprechen zu bringen. Dadurch entstehen humoristische Deutungsangebote dieser Bilder. Woher kommt dein Faible für dieses Format?
Angefangen hat alles mit einem unerwarteten Fund vor einem Berliner Antiquariat, als ich dort zufällig auf ein paar Kisten mit alten Fotos gestoßen bin. Ohne große Erwartungen habe ich in den Kisten gewühlt, um mir die Zeit zu vertreiben. Am nächsten Tag stand ich vor einem dringenden Problem: Ich war verkatert und brauchte ein Geburtstagsgeschenk für meinen Freund James. Also griff ich aus der Not heraus zu den alten Fotos, die ich zwar ohne konkrete Absicht erworben hatte, aber aus denen ich schon irgendwas machen wollte.
Ein Bild von zwei Frauen in einem Strandkorb fiel mir ins Auge. Die eine Frau auf dem Bild machte sichtbar Anstalten, den Strandkorb zu verlassen. In einem impulsiven Moment schnappte ich mir Tipp-Ex und malte der Frau eine Sprechblase über den Kopf in die ich mit einem schwarzen Edding hineinschrieb: “Los jetzt! Wir müssen noch einen alten Mann verwöhnen.” Dann verwendete ich das bemalte Bild als Cover-Artwork für eine CD, auf die ich James eine Audio-Datei mit dem Titel “Verwöhnt von zwei Frauen” gebrannt hatte. Eine sexuelle Tiefenentspannung die ich zu diesem Zeitpunkt selbst gerne hin und wieder gehört habe, um zu entspannen.
Obwohl ich schon zu Schulzeiten eine Vorliebe für Sprechblasen hatte, war es dieser ungewöhnliche Fund vor dem Antiquariat, der mich inspirierte, damit anzufangen, eigene Kunstwerke zu schaffen.
Hat sich schon mal jemand wieder erkannt – oder Bekannte – und bei dir gemeldet?
Ja, erst kürzlich. Zum ersten Mal. Das war ein komisches Gefühl. Die Reaktion war zum Glück durchaus positiv.
Wo findest du deine Vorlagen und woran erkennst du, dass ein Bild Potential hat?
Früher bin ich viel durch Antiquariate gezogen, habe bei Ebay und Ebay Kleinanzeigen Konvolute gekauft. Mittlerweile ruhe ich mich aber auf dem Schatz aus, den ich über die letzten Jahre so angesammelt habe.
Das Potenzial eines Bildes hängt tatsächlich stark von meiner Stimmung und meinen Gedanken ab. Eine „Leerstelle“ im Bild, die Raum für Gedanken lässt, ist aber immer gut. Danach schaue ich am meisten. Manchmal sind Bilder zum Beispiel schon so gut, dass ich nichts mehr ergänzen kann. Besonders toll sind Bilder, bei denen mir direkt eine Idee für eine Umdeutung kommt und ich einfach drauf los schreibe.
Die Bilder aus deinem neuen Band Auf der Suche nach Trouble „erheitern das Gemüt in ungemütlichen Zeiten“, sagt 3sat kulturzeit etwa. Glaubst du, sie erzählen auch von besseren, unbeschwerteren Zeiten?
Ja, ich glaube, das ist der Haupt-Kaufgrund. Der USP. Eine Sehnsucht.
Ist das, was du machst, eigentlich frech, spitzbübisch oder vielmehr liebevoll?
Klingt alles nicht falsch. Mir ist wichtig, dass die Bilder im Ergebnis kein „Fuck you“ sind, also nicht einfach nur gemein. Außerdem gebietet es schon das Material, dass ich mit einer gewissen Menschenliebe an die Bilder herantrete.
Du hast unter anderem das Cover unserer aktuellen Print-Ausgabe gestaltet. Wenn du raten müsstest: Wen sehen wir darauf? Name, Ort, Beruf, Sternzeichen, Lieblingsverein, Jahrzehnt? …Und wie geht’s ihr?
Ulla Schubert, nähe von Frankfurt, Geschäftsfrau, Waage, Kegelverein “Alle Neune”, keine Ahnung. Und es geht ihr gut. Ihrem Auto mittlerweile auch wieder.
Woran arbeitest du sonst gerade, wenn du nicht Magazin-Cover gestaltest oder auf Instagram abhängst?
An meinem ersten längeren Text. Und einem Kürzeren.
Den Mann mit der viel zu warmen Jacke vor der Haustür hast du vor einiger Zeit mal als deine „Mona Lisa“ bezeichnet. Wie werden die Menschen in einigen Jahrhunderten auf deine Bilder blicken? Ist Humor so lange haltbar?
Ich bin wirklich gespannt darauf, wie meine Arbeiten im Laufe der Zeit altern werden. Ich hoffe, dass sie sich so gut halten wie der 1999 erschienene Film “Voll normaaal” von Tom Gerhard, der meiner Meinung nach angenehm gealtert ist – obwohl meine Freundin Julia jetzt wahrscheinlich sagen würde, dass der Film äußerst schlecht gealtert ist oder immer schon schlecht war. Die Tatsache, dass die meisten Fotos, mit denen ich gearbeitet habe, bereits alt sind, könnte mir wahrscheinlich zugute kommen – das wird wohl ein Vorteil für mich sein.
Du bist Kurator des selbst initiierten „Deutsches Museum des Katers“ – ein Blog mit Selfies verkaterter Menschen. Welche Wunscheinsendung fehlt dir noch – und wovon glaubst du, wird er*sie zu viel getrunken haben?
Ich freue mich über jede Einsendung. Egal mit welchen Mitteln das Kunstwerk erzeugt wurde.
Jetzt wollen wir noch ein bisschen über München sprechen…
Worüber fluchst du am häufigsten in München?
Oft haben Geschäfte zu, wenn sie eigentlich offen sein sollten.
Wo trifft man dich auf einen Drink oder Kaffee?
Gegenüber des Sweet Spot Cafés in der Münchner Innenstadt gibt es zwei kleine Treppenstufen vor einer Kirche. Da bin ich gelegentlich zu finden, während ich einen Cappuccino mit Hafermilch trinke. In den letzten Jahren habe ich mich langsam zum Kaffeetrinker entwickelt, obwohl ich früher Schwarztee bevorzugte und sogar meine eigene Eistee-Produktion hatte (und das war schon lange bevor Rapper und Rapperinnen Eistee auf den Markt gebracht haben). Übrigens habe ich einen Eistee-Namen erfunden, den ich verwenden würde, falls Oliver Kahn seinen eigenen Eistee auf den Markt bringen würde – er heißt “Teatan” (aber ich bin mir noch nicht sicher, wie genau man ihn schreiben sollte).
Ich habe mir auch schon eine Werbung für Teatan ausgedacht: Oliver Kahn sitzt blass und leblos auf einem Thron in einem Tipico-Wettbüro (Szene angelehnt an die in Rohan bei König Théoden in Der Herr der Ringe: Die zwei Türme). Der kraftlose Kahn beobachtet müde Gestalten beim Sportwetten, als plötzlich eine Fußballmannschaft den Raum stürmt und ihm ein Getränk aus einer Dose gibt. Dann “erwacht” Oliver Kahn (wie Popeye, wenn er Spinat isst) und steht plötzlich wild im Tor, um Bälle von Satan höchstpersönlich abzuwehren. In der letzten Szene brüllt Kahn in dein Gesicht: “ICH BRAUCHE MEHR TEATAN!!!” – so ähnlich würde die Werbung aussehen.
Welches Klischee über München stimmt wirklich?
Es stimmt, München ist ein Dorf.
Was hat dich überrascht?
Wie weit es doch noch nach Italien ist.
Dein Lieblingsort in der Stadt?
Kustermann am Viktualienmarkt.
Weißwurst oder Leberkas?
Vegane Weißwurst.
Basketball oder Tischtennis?
Tischtennis.
Geht immer:
In einen Buchladen gehen und ein Buch kaufen, obwohl man neben seinem Bett noch sehr viele ungelesene Bücher liegen hat. Und Scheinfasten nach Barbara Becker.
Mehr von Max Kersting seht ihr unter anderem hier auf seiner Homepage.
„Auf der Suche nach Trouble“ ist im eichborn Verlag erschienen.
Unsere aktuelle Printausgabe inkl. Cover von Max Kersting könnt ihr hier bei uns im Shop bestellen.
Beitragsbild: ©privat
- Die 10 (wirklich) besten Orte mit Frankreich-Flair in München! - 5. Dezember 2024
- Wie Münchens Zukunft auf vier Rädern (oder weniger) aussehen könnte – Oliver May-Beckmannn (MCube) im Podcast - 28. November 2024
- „Meine Vorstellung von Techno“: Stenny über Münchens Szene, Ilian Tape und seine neue Clubnacht im Blitz - 28. November 2024