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Neue polnische TheatermacherInnen: Warszawa trifft auf München ab dem 14. Februar in den Kammerspielen

Warschau und München. Ein recht ungleiches Paar. Hier die Residenzstadt, die Stabilität und Gemütlichkeit, das große Dorf… 810 Kilometer entfernt die sich rasant verändernde Hauptstadt eines ganzen Landes, eine in Beton gegossene Erinnerung an Polens dramatische Geschichte. Die im Westen als “Paris des Ostens” bezeichnete Stadt, war unter deutscher Besatzung das Epizentrum für den Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Nach der fast vollkommenen Zerstörung durch die deutsche Armee wurde Warschau als sozialistische Musterstadt wieder aufgebaut – zumindest architektonisch. Heute ist sie Brennglas für die Liberalisierung des polnischen Marktes: neben dem sozialistischen Kulturpalast reihen sich verglaste Hoteltürme und Bürogebäude, die Mieten und Lebenshaltungskosten steigen exponentiell, Gründerstimmung und Hipsterästhetik treffen auf entgrenzten Wettbewerb.

Warschau ist auch: das Zentrum avantgardistischer polnischer Kunst und Kultur.

Neue Generation – neue Fragen – neue Formen

Valerie Göhring, die Dramaturgin der Münchner Kammerspiele, hat sich reinsaugen lassen in die polnische Hauptstadt und ihre Theaterszene, die KünstlerInnen aus ganz Polen anzieht. Denn in Warschau gibt es dank eines progressiven Bürgermeisters viele Freiräume – und mehr Geld als in kleineren Städten, wo Kulturetats momentan vor allem gekürzt werden.

Drei Theaterproduktionen hat die Dramaturgin der Münchner Kammerspiele mitgebracht. Vom 14. bis 17. Februar 2019 sind sie in München zu sehen. Alle Stücke vereint, dass sich die jungen DramaturgInnen von großen polnischen Theatertraditionen frei machen wollen. Sie bedienen sich einer globalen Sprache der Postdramatik: Der Prozess des Theatermachens wird thematisiert, mit Formen und Sprachen experimentiert, existenzielle Fragen gestellt:

  1. Fantasia von Anna Karasińska am 14. Februar, 19:30-20:30 Uhr, 15.2. 21-22 Uhr: Gibt es Dinge, die man sich im Theater nicht vorstellen kann? Oder ist alles möglich? Anna Karasińska fordert SchauspielerInnen sowie ZuschauerInnen gleichermaßen heraus, indem sie fast gänzlich auf die Vorstellungskraft beider setzt. Die Performance entsteht live vor dem Publikum und lässt eine fiktive Erzählung auf sehr humorvolle Art und durch die beeindruckenden SchauspielerInnen lebendig werden.
  2. Cezary Goes to War von Cezary Tomaszewski am 14. Februar, 21:00-22:00 Uhr, 15. Februrar, 19:30-20:20 Uhr: Das Stück wurde von Komuna // Warszawa produziert, dem wichtigsten freien Avantgarde-Theater Polens und gilt als das Theaterereignis der letzten Saison. Der Regisseur des Abends stellt seine Biografie zur Verfügung und lässt sie von vier Schauspielern und einer Pianistin in einer Turnhalle nachtanzen.
  3. The Polaks Explain the Future von Wojtek Ziemilski am 16. Februar, 21:00-22:00 Uhr, 17. Februar 18:00-19:00 Uhr: Die Geschwister Jaśmina und Piotr Polak erforschen das subjektive Erbgut Polens und mischen es neu. Ihr DJ-Set ist ein Kampf mit der dunklen Version unserer Zukunft. Kann man sich vom Pessimismus befreien? Diesen Abend könnte man zumindest als Anlass dafür nehmen!

 

Anderer Ort, gleiche Zeit

Das Rahmenprogramm wirft die Fragen auf, die München und Warschau, Deutschland und Polen vereinen: Die politische Spaltung der Länder, das Erstarken von Ressentiments und Populismus, Debatten um Feminismus und Gleichberechtigung, eine neue künstlerische Avantgarde, die marginalisierte Gruppen repräsentiert und deren Erfahrungen thematisiert. Hier verringert sich auf einmal die Distanz. Und die Schurkenstaat-Schablone, die auf alle Nachrichten aus Polen momentan angelegt wird, funktioniert in den Kammerspielen zum Glück nicht. Es sind die gleichen Fragen, die KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen und AktivistInnen in beiden Ländern bewegen.

Der Eintritt zu allen Diskussionen und Veranstaltungen ist übrigens frei. Hingehen!

  1. AM 14. FEBRUAR 2019, UM 18 UHR in der DACHKAMMER: What Future for Democracy? Mit: Karolina Wigura (Soziologin, Philosophin, Journalistin), Marta Keil (Kuratorin), Mod.: Joanna Bronowicka (Mitbegründerin der Partei “Razem”), in englischer Sprache, Eintritt frei
  2. AM 16. FEBRUAR 2019, UM 18 UHR in der DACHKAMMER: How to Deal with Populism? Mit Klaudia Hanisch (Politikwissenschaftlerin vom Institut für Demokratieforschung Göttingen), Mod.: Astrid Séville (Akademische Rätin für Politische Theorie), auf Deutsch, Eintritt frei
  3. AM 17. FEBRUAR 2019 UM, 16 UHR in der DACHKAMMER: We are the Granddaughters of the Witches You Couldn’t Burn Mit: Bożena Chołuj (Professorin für deutsch-polnische Kultur und Gender-Studies, Kazimiera Szczuka (Fernsehjournalistin), Zofia Nierodzinska (Galeristin, Aktivistin), Mod.: Julia Korbik, in englischer und deutscher Sprache, Eintritt frei

Das empfiehlt die Dramaturgin

Und welche der Inszenierungen empfiehlt nun diejenige, die schon alle gesehen hat? Nach kurzem Zögern verrät Valerie Göhring: „Fantasia ist mir besonders ans Herz gewachsen. Da sind sechs ganz tolle Schauspielerinnen auf der Bühne und die Regisseurin, die Anweisungen gibt. Und dadurch, dass da sonst nichts ist, spielt sich total viel im Kopf der ZuschauerInnen ab. Eine super reduzierte Art, Theater zu machen, das hat mir gleich gefallen. Das zeigt, dass es wenig braucht außer Schauspielern und einer guten Idee.“

Für deine Reise nach Warschau braucht’s diese Woche nur Theaterkarten.

 

Beitragsbild: © HUECKEL-STUDIO

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