Fahrradmetropole Paris Muenchen Vergleich
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Fahrradmetropole: München oder Paris?

Ich bin verabredet. 7 Kilometer zeigt mir Google Maps an. 35 Minuten Bus und U-Bahn. Ich tippe auf das Symbol mit dem Fahrrad, ganz rechts: 28 Minuten. Ich fahre los durch eine mir völlig unbekannte Millionenstadt, die sich auf einem Drittel der Fläche von München erstreckt. Ich passiere Kanäle, große Boulevards, werde von E-Rollern überholt, und radle durch 6-spurige Kreisverkehre. Das alles mit viel Endorphinen im Blut. Ich fühle mich sicher UND bin schnell. Trotz dichtem Verkehr. Am Ziel bin ich pünktlich, bestens gelaunt – und genau deshalb verwundert:

Kann man in Paris wirklich besser radeln als in München?!

Nein. Das zeigen die kommenden Tage voller Kopfsteinpflaster, Schlaglöcher und rigoros rücksichtslosen RechtsabbiegerInnen. Meine Begeisterung erhält deutliche Dämpfer, das Stresslevel steigt. Auch, weil ich hier mit wesentlich mehr Menschen um deutlich weniger Raum buhle.

Paris ist die am dichtesten besiedelte Metropole Europas. In München leben knapp 4.700 Menschen pro Quadratkilometer. In Paris fast 21.000.

Aber der erste Eindruck bleibt: Das Radfahrgefühl ist an vielen Stellen großartig und ich komme fast immer schnell voran. Dieses Gefühl hatte ich so noch nie. Auch in München nutze ich jeden Tag mein Rad, in Berlin hab ich 2 Jahre lang nach den besten Fahrradwegen gesucht (und sie selten gefunden), in Wien bin ich einige Wochen durch die engen Gassen gegen Busse und Autos gestrampelt. In Paris ist aber was anders…

Zwei Städte – gleiches Problem

Paris und München haben einiges gemeinsam. Beide wollen Hauptstädte der RadfahrerInnen sein. Auf Französisch klingt das naturgemäß eleganter als auf Bayerisch. „Capitale à vélo“, das leichte Rennrad – „Radlhauptstadt“, das solide Trekking-Bike. Wie schaut’s wirklich aus?

Der Copenhagenize-Index bewertet Städte nach ihrer fahrradfreundlichsten Verkehrspolitik. Wieviel Einfluss haben NGOs, gibt es gute Leihfarradsysteme, wie entwickelt sich der Anteil von FahrradfahrerInnen am Gesamtverkehr – um nur einige Kriterien zu nennen. Im Ranking verschlechtert sich München zusehend und landete 2017 auf Platz 15. 2011 belegten wir noch Platz 6. Damit liegen wir hinter Tokio, Berlin – und Paris, das es immerhin auf Platz 13 schafft.

Bewertet wurden über 136 Großstädte weltweit, was Paris wie München allerdings – Props! – zu den besten 11 Prozent der Erhebung zählen lässt.

Die RadfahrerInnen selbst stellen beiden Städten ein deutlich schlechteres Zeugnis aus. Das zeigen Umfragen, etwa vom ADFC oder Paris en Selle, die Paris und München lediglich im Mittelfeld großer Städte ihrer Nationen verorten. Und das zeigt der Münchner Radentscheid, der gerade mobil macht.

Noch etwas verbindet uns mit der Metropole an der Seine. Hier wie da ist’s flach und das Terrain eignet sich bestens zum Radeln, auch ohne Unterstützung von Akkus (über deren Nachhaltigkeit sich streiten lässt). Beide Städte haben außerdem ein Verkehrsproblem.

Die Überlastung der Straßen und die Feinstaubbelastung zwingen PolitikerInnen zum Handeln.

Holprige Münchner Fahrradpolitik

Radeln. Das klingt richtig niedlich. Niedlich aber ist der Anteil der Münchner Radfahrer am Gesamtverkehr kaum. Mit 18 Prozent ist das fast jede_r Fünfte. Der eingeräumte Platz auf den Münchner Straßen entspricht diesem Verhältnis bei weitem nicht. So hat München beispielsweise 66 Fahrradstraßen (das bedeutet: hier haben Fahrradfahrer Vorrang vor motorisierten Fahrzeugen) – 1 Prozent aller Straßen der Stadt. Nur 50 Prozent der Einbahnstraßen sind für RadfahrerInnen in Gegenrichtung geöffnet.

Dass das Fahrrad in Sachen Klimaschutz und Verkehrsentschlackung eine immer wichtigere Rolle spielen würde, das ist der Stadtregierung schon lange bewusst. Ein „Radverkehrsentwicklungsplan“ wurde bereits 2002 vom Stadtrat beschlossen. Aber so sperrig sein Name – so zäh scheint auch die Umsetzung.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Rosenheimer Straße. Die Einrichtung eines Fahrradweges wird seit 10 Jahren (!!!) diskutiert. Was war 2009 nochmal? Ach, richtig. Damals wurde Whatsapp gegründet. In der Zwischenzeit nutzen es 1,5 Mrd. Menschen. Startup-Geist in der Münchner Stadtverwaltung? Eher nicht.

Der Etat für die Entwicklung der Münchner Radlqualität wurde jedenfalls in den letzten Jahren deutlich erhöht. Mit der Radlhauptstadt-Kampagne 2009 von 1,5 auf 4,5 Mio. Euro. 2016 wurde das Budget dann nochmal mehr als verdoppelt. Es gibt mittlerweile einen Radbeauftragten, der aus diesem Topf schöpfen und die Belange der Fahrradfahrer gezielt unterstützen kann.

Und als Radfahrer merkt man schon – es tut sich was. Von einem echten Umdenken, wie ein städtischer Verkehr angesichts von Zuzug und Feinstaub in Zukunft aussehen kann, ist aber noch nichts zu spüren. Und genau hier liegt meiner Meinung nach der Unterschied zu Paris.

Der Kampf um öffentlichen Raum: Da geht was in Paris

Capitale à vélo – der Name und das Programm stammt von Paris’ bei der urbanen Linken sehr beliebten Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Sie habe den Autos den „Kampf angesagt“, so schreiben MedienvertreterInnen. Und tatsächlich hat sie sich’s ziemlich verscherzt mit der Pariser Mehrheit (den Autofahrern), vor allem dadurch, dass sie nicht nur redet – sondern handelt. Das zeigt vor allem ihr bislang umstrittenstes Fahrrad-Projekt:

Die dauerhafte Verbannung der Autos von einer massiv befahrenen Straße am rechten Seine-Ufer.

Man stelle sich vor, Dieter Reiter würde einfach so die Erhardt- und Steinsdorfstraße, also das linke Isarufer von Reichenbachkiosk bis Maximiliansbrücke schließen. Bis zu 30.000 Autos rauschen hier täglich entlang. Klingt unrealistisch? Ist unrealistisch.

Derartige Pläne in abgeschwächter Form wurden tatsächlich diskutiert – von der Einführung einer 30er-Zone bis hin zum Wegfall einer ganzen Fahrspur für Autos. Das Planungsreferat weist alle Vorschläge zurück: Ein zu hohes Verkehrsaufkommen ermögliche es nicht, den Autos Platz wegzunehmen.

Anne Hidalgo hat ein Exempel statuiert

Keine Autos mehr: An der Sein tummeln sich nun MüßiggängerInnen.

Anne Hidalgo hat auf alle Hinweise der Verkehrsexperten in Paris gepfiffen und – es einfach gemacht. Der Voie Georges Pompidou am rechten Seine-Ufer ist seit 2017 exklusiv für Fußgänger und Fahrradfahrer geöffnet.

Naherholung statt Feinstaubbelastung. Davor gehörte das Pflaster nämlich den rund 40.000 Autos, die ihn täglich befuhren.

Seitdem gibt’s viel Streit unter PariserInnen (von denen nur etwa 4 Prozent laut eigenen Angaben Fahrräder nutzen). Die einen sehen in Hidalgo die Heldin einer neuen urbanen Verkehrspolitik. Die anderen werfen ihr elitäres und wirklichkeitsfernes Handeln vor. Leidtragende der „Fahrradbürgermeisterin“ seien die PendlerInnen, die sich nicht mit schicken Rennrädern durch die Stadt bewegen könnten, weil sie sich schlicht die Mieten innerhalb der Stadt nicht leisten könnten. Der Verkehr verlagere sich nur, das Argument die viel beschworene Feinstaubbelastung werde gesenkt, sei demnach reines Marketing.

2015 verabschiedete die Pariser Stadtregierung den „Plan Vélo“ mit einem Volumen von 150 Millionen Euro bis 2020 – das macht 25 Mio. und 11,68 Euro pro PariserIn pro Jahr. In München sind es seit 2016 knapp 6,90 Euro.

Der Pariser Plan sieht neben dem Ausbau des Radverkehrsnetzes auch Fahrradschnellstraßen und bessere Parkmöglichkeiten vor. Er wird begleitet von einer Offensive, die die Vororte mit besserem Nahverkehr an Paris’ Zentrum anbindet. Die NGO Paris en Selle beobachtet die Fortschritte des Projekts hier. Es scheint schleppend voranzugehen, immerhin sind erst 26 Prozent des Plans in 85 Prozent der Zeit umgesetzt worden.

La réalité

Paris’ Radlplan hinterlässt schon Spuren im öffentlichen Raum. Und von vielen bin ich Fan. Konkret:

  1. Die Verteilung des öffentlichen Raums: Auf den großen Boulevards fahre ich auf Fahrstreifen mit Bussen und Taxen, die genauso breit sind wie die Fahrstreifen für Autos. Nachteil: Busse sind eben auch groß, halten oft an: ich bin bei großem Verkehrsaufkommen sehr langsam – oder nicht mehr sicher.
  2. Die Sichtbarkeit: Fahrrad-Markierungen sind alle paar Meter und oft großflächig auf dem Boden angebracht. An jeder Ampel sind Fahrradmarkierungen vor den Autos angebracht. Ich muss mein Recht, die Straße mitzubenutzen, nicht einfordern, sondern es ist für alle Verkehrsteilnehmer ersichtlich. Senkt das Stresslevel ungemein! Und macht die Straßen bunter.
  3. Abgrenzung: An vielen Stellen ist der Radweg mit Bollern oder Bordsteinen von der Fahrbahn abgetrennt. Ich fühle mich geschützt, bin aber dennoch auf gleicher Ebene mit den Autos. Die Chance, dass sie mich übersehen, erscheint mir nicht so groß. Auch hier ein Nachteil: Die Wege sind recht schmal, d.h. ein Überholen anderer RadfahrerInnen kaum möglich. Außerdem werden die Wege an ungeschützten Einfahrten oft von Autos oder Motorrollern zugeparkt.
  4. Zugänglichkeit: Alle Einbahnstraßen sind für mich als Fahrradfahrerin geöffnet. Ja, es wird recht eng an manchen Stellen, aber ich habe das Recht, die Straßen zu benutzen – und im Zweifelsfall muss auch mal der Autofahrer warten.
  5. Exklusivität: Am Sonntag sind ganze Viertel für den Autoverkehr komplett gesperrt. Wer einmal durch solche Straßen mitten in einer Metropole geradelt ist, hat eine leise Ahnung davon, wie eine verkehrsberuhigte Welt aussehen könnte.
  6. Schnelligkeit: Mit den Schnellstraßen entlang der Seine oder entlang der Boulevards ist das Fahrrad öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Auto fast immer überlegen. Wenn das mal nicht das beste Argument für gestresste GroßstädterInnen ist?!

Ein Boulevard mitten in Paris: Gleiche Verteilung des öffentlichen Raums
Markante Beschriftungen auf Straßenkreuzungen sorgen für mehr Sichtbarkeit für Radfahrer
Bordsteine oder Boller trennen viele Fahrradwege vom Fahrstreifen für Autos

Wem gehört die Straße?

Wir sind Autofahrernationen. Wir leben in Autofahrerstädten. Aber dass der größte Teil des öffentlichen Raums AutofahrerInnen gehört, ist langfristig nicht zu rechtfertigen – ökologisch wie sozial. Auch stadtplanerisch kann man anders vorgehen, das zeigen etwa holländische Kommunen wie Amsterdam. Der Verkehr wird von außen nach innen geplant. Erst bekommen FußgängerInnen und RadfahrerInnen genug Platz, dann sind Autos an der Reihe. Ergebnis? Ein wesentlich größerer Anteil an RadfahrerInnen und damit: weniger Staus und bessere Luft für alle.

Die Argumentation, dass eine Verkehrssituation aufgrund der Verkehrssituation nicht zu ändern sei, ist… sagen wir mal… interessant. Es kann nicht für weniger Autos gesorgt werden, weil es eben zu viele Autos gibt?! Finde den Fehler.

Es könnte besser sein…

Teilen. Das lernt man eigentlich schon sehr früh im Leben. Wenn’s um Mobilität geht, verhalten sich die meisten BürgerInnen jedoch noch immer wie im Sandkasten. Die einen beschimpfen die „Radlrowdies“, die anderen die „SUV-Verbrecher“.

Fakt ist: Die Stadt gehört uns allen! Und: Der Klimawandel und die Gesundheitsbelastung sprechen für einen U-Turn der städtischen Politik. Die ist aber seeeehr gemütlich hierzulande. Mehr Lederhosen als Laptops.

Deshalb beteilige ich mich jetzt erstmal an allen Radsternfahrten und plane den nächsten Ausflug in eine echte Fahrradmetropole… nach AMSTERDAM.

Alle Bilder: Agnes Fuchsloch

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