Luisa Neubauer, Lukas Köhler
Aktuell, Gute Sache, Nachhaltigkeit

Noch haben wir die Wahl – Luisa Neubauer und Lukas Köhler im Gespräch

Anne Lenz

Alle sind frei. Alle genießen die Freiheit, schnell Auto zu fahren, mal eben in ein anderes Land zu reisen, nahezu jedes Produkt auf Knopfdruck zu bekommen. Alle sind frei, bis schon wieder irgendwelche Klima-Aktivist*innen Verbote aussprechen und uns unsere Privilegien nehmen. Na gut, das klingt nun etwas überzogen, aber diesen Vorwurf hat Luisa Neubauer schon unzählige Male in ihrem Leben zurückweisen müssen. Die Studentin und Klimaaktivistin stellt in diesem Zusammenhang die Gegenfrage, ob man wirklich von Freiheit sprechen kann, wenn diese Freiheit nur eine sehr vergängliche Momentaufnahme ist.

Die Klimakrise, nicht-intakte Ökosysteme, das Artensterben und auch der erstarkende Populismus bedrohen unsere Freiheit. Doch es ist vielleicht noch nicht zu spät. Im zuletzt erschienenen Buch „Noch haben wir die Wahl“ wagen Luisa Neubauer und Bernd Ulrich, Vize-Chefredaktuer der Zeit, den Versuch eines Klärungsgesprächs zwischen zwei Generationen.

Wie viel Freiheit ist noch möglich?

Luisa Neubauer ist der Meinung, dass wir noch immer die Wahl haben unsere Freiheit zu bewahren und zu erkämpfen. Lukas Köhler, Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion, und Luisa Neubauer trafen sich am Donnerstag Abend, dem 5. Mai im Salon Luitpold, um die Klimakatastrophe, deutsche Klimapolitik und das Motiv der Freiheit zu diskutieren.

Als Liberaler ist Freiheit ein Kernaspekt Lukas Köhlers Identität. Freiheit, die Chancen ermöglicht, aber auch Verantwortung birgt, gerade im Bezug auf generationenübergreifende Themen. Lukas Köhler stellt die Frage, was letztendlich mit dem Individuum passiert und inwieweit der Einzelne in seiner Freiheit beschränkt wird. Wo liegt hier die politische Verantwortung? Wie muss die Politik gegenüber Krisen und der Wählerschaft handeln? Gerade die Last auf den heutigen Wähler*innen bereitet ihm Sorgen. Warum sollte die heutige Gesellschaft solch enorme Kosten tragen? Wie viel Verantwortung dem Einzelnen zugemutet werden kann, sei auch seine Möglichkeiten, beispielsweise im Bezug auf das Einkommen, die Wohnsituation oder die körperliche Verfassung, gekoppelt.

Konsument oder Konzern?

Luisa Neubauer betont die Verantwortung der Politik vor allem gegenüber denen, die selbst noch nicht wählen können, da diese in ihren Chancen, Freiheiten und Perspektiven noch am meisten betroffen sind.

Außerdem hebt sie hervor, dass sich Verantwortung auch nach Verfügbarkeit der Ressourcen verteilt. Menschen mit einem höheren CO2-Verbrauch müssen diesen demnach ausgleichen. Dennoch kritisiert die Aktivistin die Reduktion des Menschen auf ihn als Konsumenten. Das Individuum sei nicht nur beim Einkaufen bedeutsam, sondern auch in seiner spezifischen Verantwortung in Beruf, Verkehrsteilnehmer und so fort. Durch den Fokus auf den Einzelnen wird Abstand von den wirklich großen Problemen genommen und das, obwohl dessen Einfluss verschwindend gering ist. Schon seit geraumer Zeit sei es Strategie der fossilen Industrie Klimaschutz zu individualisieren. Der Ölkonzern BP p.l.c, ehemals British Petroleum, veröffentlichte 2004 einen Co2-Rechner, mit dem der eigene CO2-Fußabdruck berechnet werden kann. Diese Werbekampagne lenkte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit geschickt weg von den hohen Emissionen des Ölkonzerns hin zum Individuum. Dabei steht groß-industrielle Umweltverschmutzung in keinem Verhältnis zur Auswirkung der Einzelperson. Gänzlich klimaneutral zu leben ist allein deshalb schon unmöglich, weil unsere gesamte Infrastruktur noch immer auf fossilen Energien basiert. Deshalb ist laut Luisa Neubauer ein Strukturwandel nötig, beispielsweise im Bezug auf die lächerlich niedrigen Fleischpreise, um anzuerkennen, dass das individuelle Verhalten von der Umgebung geprägt ist. Oder auch im Bezug auf die Kohleindustrie.

Energie auf welche Kosten?

Lukas Köhler verteidigt das Ansteigen der Öl- und Kohlepreise. Wirtschaftswachstum und Klimaschutz seien miteinander vereinbar. Der Markt sorge für die besten Bedingungen während der Staat zu lange braucht. Die deutsche Politik steht vor der Aufgabe ein System zu schaffen, dass unabhängig von anderen Staaten ist und dazu über die eigenen Grenzen hinaus profitabel sein kann. Die Klimakrise als globale Herausforderung nimmt Deutschland die Möglichkeit in den nächsten zwei Jahren schon ohne Kohle auszukommen. Das System sei viel ausschlaggebender als ein einzelner Kohlekonzern. Die Politik eines Landes sollte daher als Businessmodell angesehen werden, nach dieser der Markt entscheidet, wo am günstigsten Energie generiert werden kann. Dort soll dann angesetzt werden. Möglichst großer Wandel und Wirtschaftswachstum sollen durch Energiehandel erzielt werden.

„Es gibt kein natürliches Recht auf Bodenschätze!“

Luisa Neubauer

Die Studentin entgegnet dem, dass in kolonialer Art und Weise Menschen um ihre Rohstoffe beraubt werden und dies als nachhaltiger Handel verkauft wird. Im globalen Süden schwindet die Lebensgrundlage der Menschen und katastrophale humanitäre Bedingungen herrschen. In Kenia wurde zuletzt aufgrund heftiger Gegenwehr der Bevölkerung ein Kohlekraftwerk verhindert. In Deutschland werden Dörfer für den Energieversorgungskonzern RWE enteignet. Und das obwohl Kohleenergie längst nicht mehr gebraucht wird und die fruchtbarsten Böden dadurch zerstört werden, so Neubauer. Energie sollte selbstverständlich jedem zur Verfügung stehen, jedoch erscheint der Eindruck, dass nur ‘bestimmte‘ Energie verfügbar sein sollte. Wer ist am Energiehandel beteiligt? Welche Interessen stehen im Hintergrund? Wer wird geschützt und wer profitiert?

Hat der Mensch sich überschätzt?

Diejenigen, die die direkten Konsequenzen erleben, tragen kaum zu ihrer Ursache bei. Lukas Köhler will für Ausgleich sorgen und Partnerschaften mit anderen Ländern herstellen, um Know-How und Ressourcen zu teilen, während die Entwicklung und Technik in Deutschland bleibt. Klimaschutz durch Reduktion hat keine gute Presse, deshalb sollen andere Taktiken angewendet werden. Die Landwirtschaft muss umstrukturiert und auch die Fleischpreise müssen angepasst werden. Politik und Gesellschaft tragen hier eine soziale Verantwortung.

Luisa Neubauer verdeutlicht, dass es kein Recht auf endlosen Fleischkonsum gibt. Das Konsumverhalten in Deutschland gleicht einer Gesundheitskrise. Die Bedingungen unter denen Fleisch in Deutschland produziert wird sind in ihrer Auswirkung auf Tier, Mensch und Klima höchst problematisch. „Hier werden keine Tiere gehalten, hier wird Fleisch produziert.“

„Der Mensch besitzt eine unfassbare Arroganz in seinem Umgang mit Klima und Tieren.“

Luisa Neubauer

Auch wenn der Einfluss des Individuums nahezu belanglos wirkt, leugnen weder Luisa Neubauer noch Lukas Köhler, dass der Einzelne gebraucht wird und an die Hand genommen werden muss. Letztendlich schädigt das reichste 1 Prozent die Umwelt doppelt so stark wie die gesamte ärmere Hälfte der Menschheit zusammen. Und diese 1% haben sich, wie eine Dame im Publikum des Diskussionsabends so klug bemerkte, wahrscheinlich an diesem Abend bei Luitpold-Spritz in der Brienner Straße versammelt.