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Obdachlos: Das Leben auf der Straße zwischen hipper Bar und Friseursalon

Johanna Rollenmiller

In München ist alles hell und schön und aufgeräumt. Jeder ist erfolgreich, schreibt für ein Magazin, legt bald das zweite Staatsexamen ab oder bezahlt immerhin sein erstes eigenes Auto ab.

Na gut, vielleicht ist das alles etwas übertrieben. Dennoch: Wenn man abends in München ausgeht, Gesprächen zuhört, Menschen beobachtet, vergisst man oft, dass das nicht die Norm ist, dass es auch Menschen gibt, die unter dem Existenzminimum oder auf der Straße leben.

Einer dieser Gegensätze lässt sich in der Gabelsbergerstraße in der Maxvorstadt beobachten, einen Steinwurf vom Königsplatz entfernt: Zwischen der Bar Komitee und einem Friseurladen schlagen zwei Obdachlose in einer verdeckten Ecke abends ihr Lager auf, rollen Matratzen aus, legen sich schlafen. Während BesucherInnen der Bar gleich daneben draußen sitzen, Cocktails oder Bier trinken und sie mit ihren Gesprächen und ihrem ausgelassenen Gelächter in den Schlaf wiegen.

Zumindest scheint es so beim Vorbeigehen.

Wie gehen die Beteiligten mit der Situation um?

André, einer der fünf Betreiber des Komitee, erklärt sich sofort zu einem Gespräch bereit. Und so sitzen wir dann gemütlich vor der Bar, trinken ein Bier und beobachten das Treiben auf der Straße. Menschen kommen nach Hause, manche betreten den Wohnblock um zu ihrer Wohnung zu gelangen, mache hasten noch schnell zum Feierabend-Einkauf und manche ziehen Trolleys hinter sich her, die das ganze eigene Leben beherbergen.

Welten prallen aufeinander und uns interessiert, was dies bewirkt. Wir befragen wir so viele Beteiligte wie möglich. 

Die Bar-Besitzer

André erklärt, dass sich das Team des Komitee bereits bei der Gründung zusammensetzte und über die Obdachlosen-Schlafplätze diskutierte. Eins war von Beginn an klar: vertreiben geht nicht, denn das passt nicht zu dem sozialen Flair der Bar.

Deshalb wird auf Zusammenarbeit gesetzt, jeder darf hier seine Wasserflasche auffüllen oder bekommt mal was ausgegeben. Falls es Probleme gibt, suchen sie das Gespräch. Das Team des Komitee scheint einen richtigen Weg gewählt zu haben, das Konzept geht auf und es gibt kaum Streitigkeiten.

Die BesucherInnen

Eine Besucherin, die nicht beim Namen genannt werden möchte, erklärt, dass sie manchmal das schlechte Gewissen einholt. Wenn sie unbeschwert Geld für Cocktails ausgeben kann und zur gleichen Zeit Obdachlose beim Betten-Aufbau betrachtet.

Und auch wenn die hauseigenen DJs bis nachts um drei auflegen und die Musik bis auf die Straße tönt: das ungute Gefühl bleibt. Deshalb reagiert sie positiv überrascht auf die Vermittlungsversuche der Bar und beschließt, dem guten Beispiel zu folgen: auf der Straße lebende Menschen bewusst wahr nehmen, immer mal wieder das Gespräch suchen und Hilfe anbieten.

Der Friseurladen

Ein Friseur-Geschäft gleich daneben bedient sich einer anderen Methode: Nachts bleiben alle Lichter an, blinken sogar auffällig und erschweren so das Einschlafen. Auch auf mehrfache Nachfrage möchten die Betreiber nicht mit uns sprechen. Doch die Möglichkeit nicht zu helfen, zu ignorieren oder gar nicht erst wahrzunehmen sollte jedem gegeben sein. Denn auch das gehört zu dem gesellschaftlichen System, in dem wir leben.

Die Menschen, die auf der Straße wohnen

Manchmal fällt es sehr leicht, Kontakt zu knüpfen und wildfremde Menschen anzusprechen. Manchmal fällt das wiederum schwer und gerade hier besonders. Denn der Versuch, Antworten zu bekommen, ging an dem Abend schief, ebenso wie eine erneute Nachfrage, ein paar Tage später. Schade, denn so kommt eine Gruppe von Beteiligten nicht zu Wort und verfälscht somit das dargestellte Bild.

Deshalb kann ich nur von anderen Unterhaltungen mit Obdachlosen berichten, mit einer Dame etwa, die sich im Winter immer einmal wieder Tee von mir mitbringen lässt, zum Aufwärmen. Wir grüßen uns und schlürfen den Tee, dann geht es weiter. Ein bisschen Menschlichkeit eben.

Als ich sie darauf anspreche, wie ich am besten helfen könnte, meint sie, dass sie gerne ab und an Obst mitgebracht bekäme. Ansonsten freut sie sich aber auch über jede Regung ihres Gegenübers: ein Lächeln, Kleingeld, ein Gruß.

Alles ist besser, als ignoriert zu werden. 

Was also tun?

Auch hier ist André um eine Antwort nicht verlegen: durch sein Engagement in sozialen Einrichtungen verging ihm die Scheu vor obdachlosen Menschen. Es fällt ihm nun leicht, konkret nach Bedürfnissen zu fragen, mal eine Leberkäse-Semmel auszugeben oder einen Kehrbesen auszuleihen, damit der Schlafplatz vom Dreck der Straße befreit werden kann.

Doch das gelingt nicht jedem so leicht. Deshalb ist es vielleicht ganz gut, die Grenzen verschwimmen zu lassen zwischen Straße und Bar, zwischen reich und arm. Manch einem Bewohner oder Gast wird so ins Gedächtnis gerufen, dass auch in den gepflegten Straßen Münchens Armut existiert, dass man nicht wegschauen darf, sondern hinlangen muss.

Wie man das macht, bleibt jedem selbst überlassen. Ob ein Lächeln, etwas Kleingeld, eine Unterhaltung, oder das Fragen nach Bedürfnissen. Alles kann, nichts muss.

MUCBOOK hat sich auch schon in anderen Artikeln mit dem Thema beschäftigt. Hier zum Beispiel.

Vielen Dank an das Team des Komitee für das gute Gespräch – die Bar findest du in der Gabelsbergerstraße 24.


Beitragsbild: © Johanna Rollenmiller

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