Kultur

Präriehunde mit Spezialeffekten

Regina Karl
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Melancholische Drachen – so eröffnete der Franzose Philippe Quesne das Spielart Festival. Eine Rezension und kurzer Ausblick.

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Sechs alternde Hardrocker und der Hund Hermès. Sie haben eine Panne, mitten im Schnee. Aber sie haben AC/DC, Steppenwolf und die Scorpions, die laut aus ihrem verbeulten Citroën in die Winternacht dröhnen. Macht das schon die Melancholie der Drachen?
Ganz nebenbei trifft Isabel, ebenfalls Hardrockerin im Metallica-Shirt und damit Frau vom Fach, auf die Truppe. Doch auch Isabel kann den Citroën der Jungs nicht retten. Aber was soll’s – denn binnen Sekunden wird der Road-Trip zur Tour durchs Heavy-Metal-Winter-Wonderland. Der Anhänger hinter dem Citroën entpuppt sich als portabler Freizeitpark. Spärlich aber effektiv sind die Mittel mit denen Isabel die folgenden eineinhalb Stunden bei Laune gehalten wird: im Ventilatorwind tanzende Langhaarperücken, ein kleiner Zimmerspringbrunnen, Seifenblasen, mannshoch aufgeblasene Plastiktüten und eine Nebelmaschine.
Philippe Quesne, der Leiter der französischen Theatergruppe Vivarium Studio, hat seine neueste Produktion, die am Donnerstag und Freitag das Spielart-Festival eröffnete, „Mélancolie des dragons“ getauft. Fast schon zärtlich wirkt diese Annäherung zwischen der Hardrock-Crew und der etwas linkisch auf dem Schneeteppich umhertapsenden Isabel. Mit Stolz präsentieren die Metaler der Unbekannten ihr ganz persönliches Kuriositätenkabinett. Da wird gemeinsam Bier getrunken, ein kurzes Blockflötenkonzert zu „Still loving you“ der Scorpions gegeben oder die Arthus-Saga in der Freizeitpark eigenen Infothek durchgeblättert. Genau das sind sie nämlich, die sechs Hardrocker: der verspielte Rest einer Zeit, als man noch Drachen bezwang. Was ihnen geblieben ist, sind die langen Haare und die Liebe am Abenteuer.
Dass diese ganze Szenerie nicht allein ins Groteske verebbt sondern immer wieder ins Komische kippt, wenn zum Beispiel kurzerhand einer der Rocker zu Mary-Poppins-Klängen den Citroën erklimmt und als Caspar David Friedrichs „Wanderer“ posiert, ist wohl das große Verdienst der Theaterästhetik à la Quesne. Natürlich ist der Schneeteppich nicht echt, klar kann der Hund darauf herumkauen. Schnee kommt im Theater wenn überhaupt aus der Maschine. Das ist alles gemacht! Diesen Illusionsbruch, um den wir doch eigentlich immer schon wussten, führt uns Quesne auf der Bühne wieder und wieder vor Augen. Es sind die kleinen Kniffe und Tricks, die den Theatertraum wahr werden lassen. Gerade weil Quesne sein Sammelsurium an Special-Effects nicht versteckt und den Probenschick seines Theaters so vehement betont, ist der Abend so spektakulär.
Und die Melancholie? Am Ende ihrer Tour durchs theatrale Disneyland tauscht Isabel ihr Metallica-Outfit gegen ein Shirt, auf dem ein Bild des Malers Pieter Bruegel aufgedruck ist, Abschiedsgeschenk ihrer rockenden Freunde. Wenn ihr dann beim Anblick der riesig aufgeblasenen Nylonsäcke, die fast schwerelos in mitten verschneiter Plastikbäume hin und her wanken, ganz lapidar und in gebrochenem Deutsch ein „Das ist rührend!“ entwischt, kommt man nicht umhin ihr still beizupflichten.

Das Spielart Festival zeigt noch bis zum 5. 12. bemerkenswerte Inszenierungen und Performances aus der internationalen Theaterszene.

Am Sonntag ist der letzte Tag des sogenannten Diskurs-Happening WOODSTOCK OF POLITICAL THINKING im Haus der Kunst. Unter anderem geben Schorsch Kamerun, die argentinische Theaterregisseurin Lola Arias, der deutsche Theatermacher Nicolas Stemann und LMU-Philosophie-Dozentin Elif Özmen einstündige Vorträge über die aktuelle Weltlage.

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