Brücke unter der Autobahn dort, wo später der Tatzelturm entstehen könnte.
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Raven unter der Autobahn? Nächster Versuch am „Tatzelwurm“

Seit einigen Jahren gibt es die Idee vom Tatzelwurm unter der A9: Ein Ort für Live-Musik, laute Raves und Kultur unter einer Autobahnbrücke am östlichen Ende des Frankfurter Rings. Jetzt könnte die Vision von Florian Schönhofer (Café Kosmos) endlich Wirklichkeit werden. Denn die Autobahn GmbH als Grundstückseigentümerin will die Entscheidung über den Betrieb letztlich der Stadt München überlassen. Von dort sieht der Ideengeber Schönhofer grüne Lichter. In trockenen Tüchern ist die Sache aber noch nicht.

„Wir können hier eine Fläche nutzen, die seit 50 Jahren nur brach liegt“, sagt Florian Schönhofer. „Ich muss hier nichts versiegeln und man nimmt keiner Kröte und keiner Fliege irgendetwas weg.“ Eine Freifläche im Freien, die zudem vor Regen und Wind geschützt ist – ein Traum, findet er.

Auch nachhaltig wäre die Nutzung, betont er, da hier in Schwabing-Freimann nichts Größeres umgebaut werden müsse. Nachdem die ehrgeizigen Pläne für einen genossenschaftlich genutzten Turm an der Autobahnausfahrt vorerst auf Eis gelegt wurden, sind die unmittelbaren Pläne für den Sommer denkbar einfach und minimalistisch: Bühne aufbauen, Getränkewagen organisieren, Toiletten aufstellen, Wasser und Strom anschließen, fertig. Am besten bis Ende Mai. Bis zu 1.000 Menschen sollen dann im Sommer drei Monate lang hier feiern oder Live-Musik genießen können.

Vorbilder für solche Brückenprojekte finden sich in anderen Städten. Zum Beispiel in Lissabon (LX Factory), Prag (Manifesto) oder Zürich (Im Viadukt) – alles urbane Zentren, die ebenfalls unter Platzmangel im Zentrum leiden und hier kreative Lösungen an eigentlichen Unorten gefunden haben.

Autobahnbrücke, unter der ein Teil des Tatzelturms entstehen könnte
Unter der Brücke: hier irgendwo könnten Boxen, Bühne und Bar Platz finden

Generell fehlt es im dicht besiedelten München an Freiräumen, an denen sich niemand durch laute Geräuschkulissen gestört fühlt. Gerade die Jugend- und Subkultur und die Kollektivszene sucht dringend solche legalen Flächen. Das haben etwa die Freiräumen-Demos mit zehntausenden Teilnehmer*innen im Jahr 2021 gezeigt haben. Der Standort unter der befahrenen Autobahnbrücke wäre unter dem Gesichtspunkt recht ideal: Anwohner*innen sind weit entfernt, ringsherum vor allem Gewerbeflächen oder Ödnis.

Die Autobahn GmbH sieht keine Bedenken mehr wegen des Brandschutzes

Schon vor dem Corona war Schönhofer zusammen mit David Süß (damals: Harry-Klein-Wirt, heute Stadtrat für die Grünen) und Louis Grünwald (ehemals 404 Bar) mit der Vision eines Kulturraums unter und neben der Brücke an die Öffentlichkeit getreten. Während Corona ist das Projekt etwas eingeschlafen. Doch jetzt scheint es voranzugehen.

Vor einigen Wochen habe er ein positives Signal von der Autobahn GmbH (einer Anstalt des Bundes) erhalten, erklärt Schönhofer. Diese hatte sich als Grundstückseigentümer bisher wegen brandschutztechnischer Bedenken offiziell quer gestellt. Nun scheinen diese Bedenken ausgeräumt: Die Stadt München solle die Eignung des Geländes für den geplanten kommunalen Zweck prüfen, heißt es laut Schönhofer von der Bundesanstalt. Dann würde die Autobahn GmbH als Eigentümer die Fläche zur Nutzung zur Verfügung stellen. Kurz vorweg gegriffen: Diese haben sich gegenüber Mucbook bisher nicht zur Sache geäußert.

„Warum sollten wir diese Fläche nicht nutzen?“, fragt Schönhofer. „Ich seh’ da den Punkt nicht: Sie gehört uns allen.“ In den letzten Jahren habe sich in der Stadt eine Outdoor-Feierkultur entwickelt, die genau solche Flächen sucht, erklärt er und verweist zum Beispiel auf die vielen Techno-Kollektive, die Outdoor-Parties veranstalten.

V.l.n.r.: David Süß (Harry Klein), Florian Schönhofer (Café Kosmos) und Tobias Ruhland (Bayern 2) damals bei einer Info-Veranstaltung im Harry Klein

Von der Stadt her weht ein Rückenwind

Er selbst wuchs in einer Zeit auf, in der es noch günstige Flächen in der Stadt gab. „Dort konnte man Sachen ausprobieren. Diese Probierflächen sind heute weg.“ Das Thema brennt ihm unter den Nägeln: „Wir haben in München eine Nachtkultur initiiert, die sich teilweise auf der ganzen Welt ausgebreitet hat. Diesen Drive dürfen wir nicht verlieren, weil die Stadt zu dicht wird.

Rückenwind bekommt Schönhofer aus der Politik – namentlich etwa durch Münchens zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden – die das Problem des Flächenmangels für Jugend- und Subkultur erkannt hätten. „Die Stadt ist ganz klar dafür“, hält er fest. In der Tat hat sich eine überparteiliche Koalition im Stadtrat Anfang des Jahres dafür ausgesprochen, Flächen für jugend- und subkulturelle Techno-Kollektive zu Suchen und zur Verfügung zu stellen. Alle Parteien außer die AfD hatten dem Antrag der Grünen zugestimmt.

Über das Projekt „Junges Feiern in der Stadt“ könnte auch die Stadt München die Fläche für junge (Techno-)Kollektive später anmieten. Die städtische Stelle MoNa (Moderation der Nacht) etwa soll im Auftrag der Stadt München momentan legale Flächen für diese junge Kollektiv-Szene erfassen und vermitteln. Öffentliche Räume und Flächen ohne Konsum-Zwang. Der Auftrag kam vom Stadtrat zu Beginn des Jahres. Schonhöfer wäre als Betreiber der Fläche unter der Brücke bereit, diese situativ zum Selbstkostenpreis weiter zu geben, sagt er. Der Punkt ist ihm wichtig.

Drei Monate im Sommer sollen die Testphase sein

Verdeutlichen will Schönhofer, dass er „kein finanzielles Interesse“ am Betrieb hätte. „Mir ist es im Prinzip egal, wer da etwas macht, Hauptsache es macht jemand was“, sagt er. Er möchte das Projekt im ersten Jahr als Pionier in Gang bringen – dabei die Flächen niedrigschwellig und günstig zur Verfügung stellen. Dafür müsse aber auch der Eigentümer – die Autobahn GmbH – die Fläche sehr günstig zur Verfügung stellen. Als möglichen Partner für die Konzerte nennt er target concerts und deren Booker Christian Kiesler, die kleine bis mittelgroße Shows in der Stadt veranstalten.

Um dieses Stück Autobahnbrücke geht es…

„Wir hätten in München niemals Afterhours gefeiert, wenn die Buden nicht so günstig gewesen wären.“

Mehr als die Kosten des Betriebs und faire Löhne sollen nicht an die Betreiber*innen abfallen. Viele andere Fixkosten – etwa die Lüftungsanlage – fielen vor Ort glücklicherweise weg.

Gerade für sub- und jugendkulturelle Szenen sind Kosten ein entscheidender Faktor. Schönhofer erinnert sich: „Wir hätten in München niemals Afterhours gefeiert, wenn die Buden nicht so günstig gewesen wären. Wir waren noch vor Berlin und Detroit dran mit den Afterhours. Warum? Weil es ging: Weil der Flughafen einfach leer stand und die Kommune keine horrenden Gebühren verlangt hat. Sonst hätte das nicht funktioniert.“ (Gemeint ist u.a. der Ultraschall Club im alten Flughafen Riem – Anm. d. Red.)

Solche Experimenträume will er möglich machen: „Es werden auch Geschichten in die Hose gehen, da bin ich mir sicher. Aber genau darum geht es ja: Man muss auch Fehler zulassen können. Sonst hat keiner der jungen Leute überhaupt eine Chance, etwas auszuprobieren.“ Ein Mix mit etablierten Partyreihen, Kollektiven und Konzerten soll deshalb die Wirtschaftlichkeit sicherstellen.

Wenn der Ort und das Projekt gut angenommen würden, könnte in den Folgejahren über die Gründung einer Genossenschaft nachgedacht werden. Diese wäre nicht in erster Linie profitorientiert. Als Vorbild in der Selbstorganisation ohne großen erkennbaren Chef nennt er zum Beispiel den Holzmarkt in Berlin: „Im Idealfall habe ich das einmal angestoßen und später gehe ich da manchmal noch ein Bier trinken und finde es lustig“, sagt er.

Das spricht die Verwaltung…

Im vergangenen Jahr fand laut Schönhofer eine Ortsbegehung mit Polizei, Feuerwehr und einem Vertreter des KVR statt. Jetzt hat er konkrete Anträge und Pläne bei den Referaten eingereicht: „Der Ball liegt jetzt im guten Feld“, sagt er. Die Begehung im vergangenen Jahr habe die Machbarkeit des Projekts grundsätzlich bestätigt. Zumindest habe es keine harten Ausschlussgründe gegeben. Er rechnet aber mit einer Liste von Auflagen – hier kommt die Sicherheit ins Spiel – die erfüllt werden müssen.

Und was sprechen die Referate? Das KVR bestätigte uns gegenüber, dass eine Anfrage für das Projekt einging. Dort sieht man die Zuständigkeit für die Grundsatzentscheidung aber eher bei der Autobahn GmbH beziehungsweise beim Planungsreferat. Das KVR kann später aber einzelne Events und den Veranstaltungsbetrieb genehmigen. Sie fordern jetzt die Einreichung von konkreteren Plänen durch die möglichen Betreiber*innen. Unsere Anfrage bei der Autobahn GmbH steht aus – dort hat man um eine Wartefrist gebeten.

Trau dich, München!

Fazit? Ein Schiff auf einer Brücke hat ja schonmal funktioniert. Wieso also nicht auch eine Bühne unter einer Autobahnbrücke? „Wenn’s dieses Jahr nicht klappt, dann nächstes Jahr“, ist sich Schönhofer sicher. Er will jedenfalls nicht locker lassen. Das glaubt man ihm.


Beitragsbild: ©privat

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