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Realität für alle Wiener, ein Traum für uns? Das 365-Euro-Jahresticket

„Wenn die Welt einmal untergehen sollte, zieh ich nach Wien, denn dort passiert alles 50 Jahre später“. Dieser Auffassung war zumindest der österreichische Komponist Gustav Mahler. Für viele Nutzer des hiesigen MVV geht die Welt fast täglich unter, wenn sie sich um 8 Uhr in der Früh auf den Weg in die Arbeit machen und es wieder einmal heißt: „Die U3 Richtung Moosach verspätet sich wegen technischer Störungen an der Strecke um mehrere Minuten.“

Gut, dass das Wort mehrere soviel Freiraum bietet, oder MVV? Man ist gezwungen, tatenlos zuzusehen und das Handy zu zücken, um eine Nachricht zu verfassen, adressiert an den Chef, mit Copy-Paste und marginalsten Änderungen der Nachricht von Vorgestern natürlich.

Eventuell hatte Gustav Mahler einfach Pech und ist ein gutes Jahrhundert zu früh geboren worden, denn in (mindestens) einer Sache hängen die Wiener den Münchner auf alle Fälle nicht hinterher – ihr öffentlicher Nahverkehr ist Meilen voraus, vor allem in Sachen Preisgestaltung.

365 Euro für ein Jahresticket der Öffentlichen

Zu schön um wahr zu sein, schlichtweg nicht möglich? In Wien der Status Quo.

„Die Stadt gehört dir“ schmeichelt die PR Agentur der Wiener Linien ihren Nutzern hiermit nicht zu unrecht. Auch der bayrische CSU-Ministerpräsident Markus Söder schmeichelt momentan seinen WählerInnen und Wählern in spe. Er hält diese phänomenalen Preise nicht nur für eine utopische Vision: Söder bezieht sich in seinem Wahlkampfprogramm eben auf Städte wie Wien, Warschau und Prag und möchte das Ein-Euro-Am-Tag-Ticket bis spätestens 2030 in die Landeshauptstadt bringen.

Politiker wie Florian Hartmann (SPD) sehen darin jedoch nicht vielmehr als leere Wahlkampfversprechen. Er geht sogar soweit, dass er sagt, dass durch diesen Vorschlag die kürzlich beschlossene Reform des MVV an Boden verlieren könnte und zu kippen drohe. Was angesichts der drei Jahre Verhandlungszeit und 100 Sitzungen, die seither vergangen sind, fatal wäre.

Der Kern dieser Reform ist es, dass statt der bisherigen 16 Ringe, fortan nur noch 7 konzentrische Tarifformen gelten. Generell wird es für Vielfahrer günstiger – Einzelfahrkarten und Tageskarten werden im Preis angehoben. Die Jahreskarte für den Bereich (M), dieser deckt die Innenstadt ab, kostet dann 43,46 € pro Monat.

(Wir hatten dir das schon mal alles detailliert aufgedröselt)

Trotz all der Bemühungen wäre die Reform weit entfernt von den Tarifen der Wiener. Da stellt sich die Frage, ob es denn so schlimm wäre, wenn die Reform kippen würde, und warum diese Preise nicht auch hierzulande realisierbar sind.

Logistisch logisch?

Bereits vor sechs Jahren führte die Stadt Wien die Preisreform mit durchschlagendem Erfolg ein. Die Zahl der Jahres-Abonnements hat sich mit  780.000 fast verdoppelt – die starke Nutzung der Öffentlichen schlägt sich auf die Auslastung der Straßen nieder. Lediglich 27 Prozent der Strecken der 1,8 Millionen-Stadt werden mit dem Auto zurückgelegt, ganze 39 Prozent mit den Öffis.

In München sind es nur 23 Prozent der Wege, die via S-Bahn, Tram und Bus zurückgelegt werden – die Straßen sind weitaus überfüllter, was man zum Beispiel an der Donnersberger Brücke zur Rushhour zu spüren bekommt, die Auslastung liegt hier bei leidigen 110 Prozent.

Also: warum kam es bisher noch nicht zu dem 365-Euro-Jahresticket? Auch in Wien musste man das Ticket politisch erstmal wollen. Vor der Reform kostete es dort schon lediglich 449 Euro, durch die weitere Senkung stieg der Andrang auf 2,6 Millionen Fahrgäste täglich (Quelle).

In München beläuft sich die Zahl der täglichen Nutzer der MVV auf 2 Millionen Nutzer (Stand 2016, Quelle) – nicht auszumalen, wie sich eine Verdoppelung dieser Zahl auf die Auslastung der Züge auswirken würde. Menschen müssten wohl nach japanischem Vorbild in die Züge gepresst werden. Eine kürzere Taktung, längere Züge und neue Linien müssten her, so wie es in Wien der Fall war.

Subventionierungen im dreistelligen Millionenbereich

Der Service und die nötigen Ausbauten verschlingen Unmengen an Geld. Der Etat von 1,2 Milliarden der Wiener-Linien wird nicht einmal zur Hälfte von den Fahrkarteneinnahmen gedeckt. 700 Millionen Euro übernehmen Stadt und Bund. Wenn Wien weiter wächst – derzeit kommen 30.000 Einwohner jährlich dazu – bedarf es an weiteren Subventionierungen, sofern die Kosten für das Jahresticket so günstig bleiben sollen.

Ähnliches wäre für München zu erwarten.

Zudem stellt es in der Landeshauptstadt einen immensen logistischen Aufwand dar. Der ÖPNV ist hier nicht nur eine Institution. Im MVV sind diverse Verkehrsunternehmen versammelt: Die MVG ist verantwortlich für die U-Bahnen, Trams und Busse bis zur Liniennummer 199. Die Münchner S-Bahn wird jedoch von der DB Regio verantwortet, sprich der Deutschen Bahn. Weitere Unternehmen im Verbund sind die BOB (Bayerische Oberlandbahn) und verschiedene Regionalbusunternehmen, die die Busse ab der Liniennummer 200 bedienen.

Autofahrer als Verlierer

Die Nutzer der ÖPNV würden klar als Gewinner hervorgehen, sofern sie nicht schwarz fahren – was zugegebenermaßen bei diesen günstigen Preisen nicht rentabel wäre – wer es trotzdem tut, muss sich auf eine saftige Strafe gefasst machen. Die Wiener Linien ahnden das relativ drakonisch mit 105 Euro.

Dennoch hat das 365-€-Ticket nicht nur Vorteile, vor allem für Leute, die auf ihr Auto angewiesen sind. Rot-Grün sorgt dafür, dass das Autofahren wenig Freude macht: In Wien sind die Parkplätze rar und die Parkgebühren in der Innenstadt horrend. Ob das auch für München gelten würde, müsste man abwarten, überraschend wäre es nicht.

Lead-City für sauberere Luft

Städte wie Essen, Herrenberg, Mannheim, Reutlingen und Bonn wollen sich am Wiener Modell orientieren, dies soll im Rahmen des „Lead-City“ Projekts stattfinden, einer Initiative der Bundesministerien für Umwelt und Verkehr zur Säuberung der Luft.

Vor allem Großstädte wie München tragen maßgebend dazu bei, dass die Emissionen weltweit steigen und die Luftqualität sinkt, jedoch liegt in ihrem Handeln auch das größte Potential zur Besserung. Das bayerische Umweltministerium will demnächst ein Gutachten vorstellen, das konkrete Handlungsempfehlungen zur Reduzierung von Stickstoffdioxid in Städten vorsieht. Darin dürfte es vor allem darum gehen, wie Autoverkehr künftig vermieden werden kann. Ein Punkt davon wäre der massive Ausbau der Öffentlichen.

Dennoch ist das 365-Euro-Ticket, zumindest in München, wohl eher ein ideelles Vorhaben. Aber nicht undenkbar –  eventuell passiert ja dieses Mal bei uns was nicht erst 50 Jahre später.


In aller Kürze:

Pro: 

-Tiefere Preise für den Nutzer

-Entlastung der Straßen

-Weniger Emissionen

-Ausbau des Netzes

Kontra:

-Sehr hohe Kosten für die Stadt und den Bund – Geld fehlt an anderen Ecken

-Autofahren wird teurer

-Kürzlich beschlossene Tarifreform wäre zunichte


Beitragsbild: © Dominik Martin via Unsplash

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