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Ringbus ist gut, Ringbahn ist besser: Warum München seinen Gleisring endlich nutzen sollte
Die Gleise wären längst da und der Leidensdruck durch den alltäglichen Verkehrswahnsinn in der Landeshauptstadt hat längst ein ungesundes Level erreicht: München braucht eine Ringbahn! Eine Rundumschlag-Recherche entlang der “ÖPNV-Offensive”, Überlegungen zu einer polyzentrischen Ausrichtung der Stadt und unzeitgemäßen Förderkriterien für den öffentlichen Nahverkehr.
Oben die Autos, unten die S-Bahn und beides komplett überlastet. Rund 140.000 Autos fahren tagtäglich über die Donnersberger Brücke, an Spitzentagen bis zu 160.000. Bis die zweite Stammstrecke darunter fertig gestellt ist, werden mindestens noch acht Jahre vergehen. Wer sich ein Bild von der Verkehrsproblematik in München machen möchte, kann sich hier während des Berufsverkehrs einen guten Überblick verschaffen. Bei all dem Verkehr hat der Mittlere Ring allerdings einen entscheidenden Vorteil zur Bahn: Man muss nicht immer erst durch das Nadelöhr im Zentrum quetschen, um an sein Ziel zu gelangen.
561.546 Menschen pendeln täglich im Großraum München
Mehr als ein halbe Million Menschen pendelt im Großraum München – 561.546 Menschen um genau zu sein: 382.943 sogenannte „Einpendler“ und 178.603 „Auspendler“ (Bundesagentur für Arbeit, Stand: 2017). Tendenz steigend: sowohl die Pendlerzahlen, als auch die Bevölkerung selbst. „Wenn wir nichts tun, werden wir im Verkehr ersaufen“, bringt es der Münchner Stadtrat Johann Sauerer (CSU) auf den Punkt. Er hat zusammen mit drei Fraktionskollegen einen Antrag zur „Prüfung und Freihaltung von Flächen für eine Ringbahn“ gestellt, der eine Ringbahn für München auf kommunaler Ebene in der Diskussion hält.
Im Januar 2018 hat die Stadt ihre „ÖPNV-Offensive“ vorgestellt, nach der 5,5 Milliarden Euro in den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gesteckt werden sollen. Geplant ist, die U5 über Pasing nach Freiham zu verlängern, die U4 nach Englschalking weiterzuführen und eine neue U9, die die U3/U6-Strecke zwischen der Implerstraße und der Münchner Freiheit entlasten soll. Dazu – und damit geht man erstmals bewusst die Problematik der rein zentral ausgerichteten ÖPNV-Struktur in München an – sollen auch zwei „Tram-Tangenten“ entstehen: Eine Nord- und eine Westtangente, die den Verkehrsstrom tangential, also an einem Ringsystem orientiert, vernetzen sollen.
Mit der Ringbuslinie hat München nun den nächsten Schritt gemacht und eine erste wirkliche Kreisverbindung geschaffen, die nicht radial durch die Mitte verläuft, sondern vorhandene Verkehrsknotenpunkte kreisförmig um das Zentrum miteinander verbindet.
„Der Ringbus ist keine Lösung für die Zukunft”
„Das neue Ringbussystem ist nicht schlecht“, findet Johann Sauerer, „aber es ist keine Lösung für die Zukunft – eher eine Übergangslösung. Bei ÖPNV sprechen wir schnell über Zeiträume von 15-20 Jahren. Wir müssen irgendwann damit anfangen.“ Das Problem der jetzigen Ringbuslinie ist, dass sie trotz der Ringverbindung sehr innerstädtisch gelegen ist: zwischen Ostbahnhof und Hauptbahnhof und zwischen Gisela- und Silberhornstraße. Der Ringbus schafft damit für die innerstädtischen Verkehrsströme eine Entlastung, für einen Großteil des Pendelverkehrs zwischen der Stadt und dem Landkreis München hat er jedoch keine große Bedeutung.
Wie sinnvoll ein ergänzendes Ringsystem ist, lässt sich nicht zuletzt am erdrückenden Erfolg des Mittleren Rings ablesen. Oder ein anderes Beispiel: die Zahlen der Ringbahn in Berlin zeigen klar, wie wichtig eine ergänzende Ringstruktur sein kann: 1,4 Millionen Fahrgäste zählt die S-Bahn Berlin an einem durchschnittlichen Werktag insgesamt, wovon rund eine halbe Million auf den Ring entfallen (Quelle: S-Bahn Berlin).
„Man braucht beides: die zweite Stammstrecke und eine Ringbahn“
Die Idee einer Münchner Ringbahn hatte zuletzt der Landtagsabgeordnete Michael Piazolo von den Freien Wählern wieder in Umlauf gebracht, der 2016 eine Studie zu den „Perspektiven für den Schienenverkehr im Großraum München“ bei den Ingenieuren Simon Herzog und Dennis Atabay in Auftrag gegeben hatte. Ausschlaggebend für Piazolo waren seine Zweifel am alleinigen Nutzen der zweiten Stammstrecke: „Ich bin der Überzeugung, dass man beides braucht: die zweite Stammstrecke und eine Ringbahn.“ Die Ringbahn sei natürlich vor allen Dingen auch eine Finanzierungsfrage. Aber aus verkehrstechnischer Sicht gelte: „Je schneller, desto besser – die Planung müsste schon längst begonnen haben. Das Land hat die Entwicklung der letzten Jahrzehnte einfach verschlafen. Auch die Stammstrecke hat so lange gebraucht, weil der politische Wille nicht da war.“
Simon Herzog sieht die Konzeptstudie vor allem als Impulsgeber: „Michael Piazolo und wir wollten eine realistische Abschätzung treffen, ob durch die Ringbahn das alltägliche Verkehrschaos auf dem Mittleren Ring reduziert werden kann, vor allem wenn im Münchner Norden noch tausende neue Arbeitsplätze (z.B. bei BMW) entstehen und entsprechend Leute zuziehen wie am Olympiapark.“ Dazu haben die beiden Ingenieure verglichen, was eine Ringbahn je nach Takt und Auslastung der Züge im Vergleich zum Mittleren Ring schaffen würde, also wie viele Personen pro Stunde und Richtung auf Straße und Schiene transportiert werden könnten und wie sich die potenziellen Verbindungen auf die Fahrtzeiten auswirken würden. „Die Rechnungen zeigen, dass eine Ringbahn den Mittleren Ring deutlich entlasten könnte und für viele Fahrgäste deutliche Fahrzeitverkürzungen bringen würde, da Umwege über die Innenstadt entfallen.“
So braucht man beispielsweise von Englschalking zum Forschungs- und Innovationszentrum (FIZ) von BMW heute mindestens 39 Minuten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Zum Vergleich: Mit dem Auto sind es zwischen 16 und 35 Minuten, je nach Verkehrslage (Google Maps). Nach der Ringbahn-Studie würde sich die Fahrzeit mit einer angedachten Station am FIZ auf 10 Minuten verkürzen, also eine attraktive Alternative zum Auto schaffen.
Eine Idee „für das nächste Jahrhundert“?
Während der Konzeptvorschlag in den lokalen Medien auf großes Interesse stieß, wurde der Vorstoß im Landtag eher zurückhaltend aufgenommen. Der Landtagsabgeordnete Erwin Huber (CSU) sprach von einer guten Idee „für das nächste Jahrhundert“. Johann Sauerer, der den Prüfantrag für die Ringbahn gestellt hat, hält die Aussage seines Parteikollegen für schwierig und bezweifelt, dass dieser den Ernst der Lage aus eigener Erfahrung richtig ein schätzen könne: „Eher ist Erwin Huber ein Politiker des vorigen Jahrhunderts.“
Was die Konzeptstudie von Herzog und Atabay aber tatsächlich außer Acht lässt, sind die Pendlerstrukturen und die Fahrgastströme auf der Basis von Daten der MVG und S-Bahn München, die nicht mit eingeflossen sind. Zudem sieht das Konzept vor, den Ring im Westen mit einem Tunnel- und Streckenneubau zwischen dem Heimeranplatz und dem ausrangierten Olympia-Bahnhof aus den 1970er-Jahren („Olympiakreuz“) zu schließen. Die aufwändigen Bauarbeiten, die dafür direkt entlang des Mittleren Rings allein schon aus Platzgründen sehr kompliziert wären, würden München während der Bauzeit wohl endgültig ins Verkehrschaos stürzen.
Den Gleisring für die Ringbahn München gibt es längst
Dabei ist die Grundlage für eine Ringbahn in München als Streckenverlauf längst vorhanden: Teile des Südrings werden seit jeher für den Bahnverkehr von Pasing (S20) oder vom Hauptbahnhof über den Heimeranplatz Richtung Süden genutzt. Nur die nötige Ringverbindung im Norden (zwischen den Bahnstrecken der S1 und S8) wird momentan ausschließlich für den Güterverkehr genutzt. Abgesehen von dieser Güterverkehrstrasse gäbe es auch bereits eine Vielzahl von Anknüpfungsmöglichkeiten und Bahnstationen: Von Moosach im Nordwesten (S1, U3), über Laim (S-Bahn) und Heimeranplatz (S7, U4/U5) zur Poccistraße (U3/U6) im Süden, geht es über den Kolumbusplatz (U1/U2/U7) zum Ostbahnhof (S-Bahn, U5). Von dort geht es entlang der S8-Strecke bis nach Johanneskirchen im Nordosten.
Das fehlende Problemstück ist also der Nordring, wie er genannt wird. Denn der Bahnabschnitt ist schon länger im Gespräch: Im Zuge des Wettbewerbs zur Erweiterung des BMW-Forschungszentrums sei damals schon die Idee wieder aufgekommen, den DB-Nordring auch für den Personenverkehr zu nutzen, erklärt Georg Dunkel. Als Abteilungsleiter für Verkehrsplanung vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Stadt München befasst er sich gerade mit dem Prüfantrag zur Ringbahn von den vier CSU-Stadträten.
Für den Nordring ist deswegen bereits eine Machbarkeitsstudie in Arbeit und die ersten Ergebnisse werden für diesen Sommer erwartet. „Zentrales Thema wird voraussichtlich die Trassenverfügbarkeit für den Personenverkehr sein“, schätzt Dunkel. Denn auch der Schienengüterverkehr wachse weiter und so werde es vor allem auch darum gehen, ob man genügend Trassen von der Bahn für eine attraktive Taktung des Personenverkehrs auf dem Nordring zur Verfügung gestellt bekomme.
20.000 Arbeitsplätze am Nordring
Dass die Planungen hier schon so weit vorangeschritten sind, dürfte auch den Interessen der beiden Münchner Großkonzerne BMW und Knorr Bremse zu verdanken sein: Knorr Bremse beschäftigt knapp 2.500 Menschen am Standort München. BMW erweitert gerade das FIZ-Areal in Milbertshofen, in dem künftig 15.000 Menschen arbeiten sollen und baut den BMW-Gewerbepark mit mehr als 3.000 geplanten Arbeitsplätzen an der Lillienthalallee – also über 20.000 Arbeitsplätze, die über den Nordring gut zu erreichen wären.
„Die BMW Group ist davon überzeugt, dass der öffentlichen Personennahverkehr auch langfristig das Rückgrat der Mobilität in München sein wird“, bekräftigt Tilman Haas das Engagement des Unternehmens für den weiteren Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes. Haas ist bei BMW zuständig für Verkehr- und Mobilitätsthemen in der Planung für das künftige FIZ-Areal. Er unterstreicht auch die Dringlichkeit, die Idee der Ringbahn weiterzuentwickeln: „Angesichts der Vorlaufzeiten eines solchen Projekts bis zu einer potenziellen Inbetriebnahme, sehen wir dringenden Handlungsbedarf in der Klärung der Sachlage, um den zuständigen Stellen eine Entscheidungsgrundlage schnell geben zu können.“
„Die Aktivierung des DB-Nordring würde natürlich eine extreme Belebung des Münchner Nordens nach sich ziehen, weil es die Erreichbarkeit und damit die Attraktivität des Standortes verbessert“, sagt einer, der es wissen muss: Professor Alain Thierstein forscht am Lehrstuhl für Raumentwicklung an der Technischen Universität München (TUM) auf dem Gebiet der Stadt- und Metropolenentwicklung. Ein von ihm geleitetes Projekt des Masterstudiengangs Urbanistik hat sich im letzten Semester mit dem Münchner Norden eingehend auseinander gesetzt, Entwicklungen untersucht und die Ergebnisse vor kurzem in der Publikation “München Nord: Stadtzentrum 3.0 einer polyzentrischen Stadtlandschaft” veröffentlicht. Als entscheidend für eine Entlastung des Verkehrs unterstreichen auch diese Untersuchungen die Wichtigkeit der tangentialen Verbindungen hin zu einer Ringbahn (siehe Grafik oben): „Ein schrittweiser Ausbau der Zulaufstrecken des Nordrings, sowie der Verlagerung von Güterzügen, die München im Transit durchqueren, schaffen die Möglichkeit, einen vollständigen S-Bahn-Ring in dichtem Takt zu betreiben.“
Erstmals ein eindeutiges politisches Bekenntnis zur polyzentrischen Stadtregion
Und auch Thierstein bemängelt, dass man die infrastrukturelle Entwicklung in München lange verschlafen habe. „Anfang der 2000er Jahre war ja schon der Südring im Gespräch – das hätte man noch vor dem Ausbau der Stammstrecke anpacken müssen. Dass man über eine so lange Zeit auf der Stammstrecke nichts gemacht und die Unterhaltsarbeiten verpasst hat, rächt sich jetzt mit dem Bau der zweiten Stammstrecke.“ Allerdings hebt er hervor, dass seitens der Politik mittlerweile auch ein Umdenken eingesetzt habe. So sei das Positionspapier „Zukunftsperspektiven für die S-Bahn München“ der Landräte der im MVV-Einzugsgebiet „zum ersten Mal ein eindeutiges politisches Bekenntnis zur polyzentrischen Stadtregion München.“ Darin sprechen sich die acht Landräte der betroffenen Landkreise explizit für den Ausbau von tangentialen Verbindungen sowie die Nutzung des Nordrings für den Personennahverkehr aus (siehe Grafik unten).
Mit wem man auch spricht über eine Ringbahn für München: Es herrscht großes Einvernehmen, dass kein Weg daran vorbeiführt. Auch Georg Dunkel vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung bestätigt, dass eine Ringbahn neben der ÖPNV-Offensive sinnvoll wäre: „Wir brauchen vermutlich beides.“ Entsprechend habe man den Beziksauschüssen einen Beschlussentwurf des Prüfantrages vorgelegt, der aus fachlicher Sicht empfiehlt, „die notwendigen Flächen für einen S-Bahnring zu sichern.“
Und wer soll das alles bezahlen?
Damit gilt es also nur noch eine recht zentrale Fragestellung zu klären: die Finanzierung. Denn auch wenn die Stadt München eine sehr wohlhabende Gemeinde ist, übersteigen derartige Infrastrukturmaßnahmen bei weitem das Budget einer Kommune. Hier müssten sich Bund und Länder maßgeblich beteiligen. Die MVG hat mit der Stadt München im Zuge der „ÖPNV-Offensive“ zwei zentrale Forderungen aufgestellt: „Eine massive Aufstockung der Mittel und eine Anpassung des bestehenden Bewertungsverfahrens.“ Der Bund müsse möglichst gemeinsam mit den Ländern ein Sonderprogramm für die Modernisierung und den Ausbau der Verkehrswege über insgesamt 20 Milliarden Euro schaffen oder die Bundesmittel des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) massiv aufstocken.
Der zweite Kritikpunkt ist das derzeitige Verfahren, das zur Ermittlung der Förderfähigkeit von Schienen-Neubauvorhaben angewandt wird: „Während bei Hauptverkehrsstraßen im Stadtgebiet die Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Straße für die Bewilligung einer GVFG-Förderung ausreicht, muss bei ÖPNV-Projekten nach wie vor die Hürde des positiven Kosten-Nutzen-Verhältnisses genommen werden.“ Nach den jetzigen Kriterien werde vermutlich keines der geplanten U-Bahnprojekte im Stadtgebiet die Voraussetzungen für eine Förderfähigkeit erreichen, glaubt auch Georg Dunkel.
Die TUM-Publikation sieht als Fazit vor allem auch die politischen Entscheidungsträger in der Verantwortung, damit die Infrakstrukturmaßnahmen zügig umgesetzt werden. „Politik und Verwaltung sowie öffentliche und private Träger müssen bürokratische Hürden schneller bewältigen, um die kommunale Handlungsfähigkeit zu beschleunigen und bauliche und planerische Sofortmaßnahmen zu realisieren.“
„Grand Paris Express“: Eine 200 Kilometer Ring-U-Bahn rund um Paris
Vielleicht lohnt es sich auch, für eine mutige Verkehrsplanung zu unseren französischen Nachbarn nach Paris zu schielen. Dort hat unlängst der Bau des „Grand Paris Express“ (GPE) begonnen: Eine gigantische Ring-U-Bahn rund um Paris, die auch die entfernten Flughäfen Paris-Charles-de-Gaulle und Paris-Orly sowie das Schloss von Versailles mit ein beziehen soll, wie der Schweizer Tagesanzeiger berichtet: „Rund 200 neue Metrokilometer sollen entstehen – so viele, wie das ganze U-Bahn-Netz der französischen Hauptstadt bislang umfasst.“ Die Kosten für das Großprojekt werden momentan auf 35 Milliarden Euro taxiert – und wen wundert es: Tendenz steigend. Da wäre die Münchner Ringbahn mit den bestehenden Gleisen vergleichsweise ein Schnäppchen.
Und wer bis dahin erst einmal weiter auf dem Mittleren Ring im Stau steht, kann sich das Warten auf die Ringbahn derweil mit De La Soul schön singen: „Hey, how ‘ya doin’? Sorry you can’t get through…“
https://www.youtube.com/watch?v=gC1xuVCBl4o
Text: Max Büch
Beitragsgrafik: Max Büch, OpenStreetMap
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