Leben

Rom in kritischen Zeiten – Besetzung auf Italienisch

Martina Kollross
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Antonio ruft ins Megaphon: Wir besetzen das Wohnheim! Hinter ihm lärmt eine Gruppe Studenten. Am Stadtrand Roms hört man statt Parolen und Musik, Kindergekreische in verschiedenen Sprachen. Besetzte Häuser sind über ganz Rom verteilt. Sie sind leicht zu finden, es gibt viele. Das liegt auch an den Mietpreisen, denn Italiens Hauptstadt gleicht Münchner Standards. Trotz der tiefen Rezession, die fast alle hier spüren.

So sind viele Okkupationen nicht nur politischer Protest und vorübergehend, sondern echtes Zuhause für Prekäre. Eine Gruppe, die in der anhaltenden Krise mehr und mehr einschließt. Dazu gehört auch Daniela, 27, mit ihrem Sohn Michele. Sie ist Aktivistin bei „Action“, einem Kollektiv, das Besetzungen koordiniert, und erzählt bereitwillig von der Neubesetzung des Palazzo, in dem gerade ein Ökosolidarischer Markt stattfindet. Durch die Flure des alten Lagers der römischen Verkehrsbetriebe Atac hüpfen Kinder. Der stattliche Palazzo hat orangene Außenwände und eine Dachterrasse. Darauf haben sich Händler ausgebreitet, die Bio-Gemüse und Recyclingschmuck verkaufen. „Seit 2003 steht das Gebäude leer. Als am 25.Januar das besetzte Haus eine Straße weiter geräumt wurde, sind wir hierher gegangen“, sagt Daniela, die Aktivistin, an einen Tisch gelehnt, auf dem einige Kleinigkeiten zum Essen zubereitet sind.

Daniela_Michele

Das S.Cu.P., ein Anagramm für „Soziale Sport-und Kultureinrichtung“, gehört zu den neusten Besetzungen in Rom. Zumindest zu den bekannten, denn jenseits der organisierten Besetzungswellen, werden leer stehende Gebäude auch spontan besetzt. Am 6.Dezember rollte die letzte organisierte Welle über verschiedene Stadtteile Roms: 3000 Menschen, darunter 800 Familien, fanden dadurch eine Unterkunft.

Scup

Nach den ersten Hochphasen der Hausbesetzungen fing man in Rom in den 90er Jahren an, in den besetzten Gebäuden „soziale Zentren“ zu gründen. Die Bunker-Festung aus dem 19. Jahrhundert, „Forte Prenestino“, gehört zu den ältesten und aktivsten. Seit 1986 finden in den Tunneln und Katakomben alternative Feiern und Kultur statt. Im kulturell konservativen Rom sind die „centri sociali“ nicht nur wichtiger Freiraum für Themen wie Gender und andere Kulturkritik sondern auch Fluchtort für Krisenverlierer: Kulturschaffende, Immigranten, Arbeitslose. Der Großteil der Besucher sind aber Studenten, die genauso auf die sozialen Preise angewiesen sind.

Das Studentenwohnheim an der größten Uni der Stadt, der La Sapienza, ist ein Beispiel für eine Protest-Besetzung. Weil Zimmer für bedürftige Studenten fehlen, wurde kurzerhand ein Teil des Studentenwohnheims besetzt. Das Studentenwohnheim wird seit Monaten umgebaut, ähnlich wie viele andere Wohnheime in der Region Lazio, die aus Geldmangel zum Teil privat vermietet werden. Aber das geht gegen das Studienrecht und die Studenten wissen das genau.

Zwischen fünfzig und zwanzig Studenten schliefen mehr als drei Wochen lang in der Baustelle des Wohnheims. Tagsüber wurden in Arbeitsgruppen die rechtlichen Grundlagen durchgesehen und Forderungen an die zuständige Organisation formuliert. Abends organisierten die Studenten Soli-Partys, zu denen lokale Berühmtheiten erschienen. Das alles lief gewaltfrei, spontan und ohne Polizeistörungen ab. Nachdem ein Teil der Forderungen von den Zuständigen angenommen wurden (nicht ohne das Büro des Chefs vorübergehend zu besetzen), löste sich die Besetzung wieder auf. Über die facebook-Gruppe informieren die Aktiven weiterhin über die erreichten Maßnahmen. Doch inzwischen stellen viele Aktivisten fest, dass die starren Strukturen der italienischen Verwaltung und die fehlenden Gelder jegliche Verbesserung der Lage der Studenten blockieren. Jetzt organisieren sie neue Protestaktionen.

Seit einigen Jahren wurde keine Besetzung mehr legalisiert. Die Anzahl an Besetzungen hat, der Meinung vieler Beobachter nach, aber stark zugenommen. Daniela erzählt von einem neuen Trend: „Inzwischen besetzt man nicht mehr nur für einen Wohnplatz, sondern auch, um einen Arbeitsplatz zu schaffen.“ Denn der fehlt vor allem den jungen Italienern. „Beratung, Betreuung: Es gibt verschiedene Angebote.“

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