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Fazit: Großdemo zur großen Autoshow

Anne Lenz

„Als Teil eines breiten Bündnisses demonstrieren wir heute, dass die Forderung nach einer radikalen Verkehrswende einen gigantischen gesellschaftlichen Rückhalt hat. Die Autoindustrie verheizt wissentlich seit Jahrzehnten unser Klima. Wir brauchen nicht immer mehr Autos. Was wir stattdessen brauchen, sind kollektive Formen der Mobilität, ein ticketfreier und gut ausgebauter ÖPNV, vor allem auf dem Land, und einen Umbau der Autoindustrie, gemeinsam mit den Beschäftigten.“ 

Lou Winters, Sprecherin von Sand im Getriebe

Voller Tatendrang und Zuversicht versammeln sich am Samstag, 11. September 25.000 Menschen, um anlässlich der IAA gegen die Klimazerstörung der Autoindustrie zu demonstrieren. Bei einer Großdemonstration und Fahrrad-Sternfahrt unter dem Motto #aussteigen fordern Klimaaktivist*innen eine faire Verteilung des öffentlichen Raumes, mit Vorrang für den Fuß- und Radverkehr, den massiven Ausbau von Bus und Bahn und klimaneutralen Verkehr bis 2035.

Foto: © ADFC/Chris Müller

Große Gruppen von Radfahrenden fanden sich, ausgehend von 11 umliegenden Städten und 4 Startpunkten innerhalb Münchens, auf der Theresienwiese zu einer Fahrraddemonstration ein. Eingeschlossen einer Kinderdemo sollen nach Angaben der Veranstalter*innen zehntausende Demonstrierende an der Sternfahrt teilgenommen haben. Im Vorfeld erschwerten die bayerischen Behörden die Durchführung der Protestfahrt durch Änderung der Routen und dem gänzlichen Ausschluss mancher Streckenabschnitte.

Polizeiaufgebot am Mobilitätswendecamp

Auch die Organisation des Mobilitätswendecamps auf der Theresienwiese wurde durch behördliche Auflagen behindert. Die Essensausgabe an 1.500 Menschen wurde ursprünglich untersagt und das Aufstellen der verschiedenen Veranstaltungszelte wurde nur bedingt geduldet. Zudem wurde den Aktivist*innen nur die Nutzung einer deutlich kleineren Fläche der Theresienwiese genehmigt als ursprünglich vorgesehen. Die Einhaltung der Hygienemaßnahmen und die Unterbringung der Protestierenden wurde so erheblich erschwert.

Ungeachtet davon, dass sowohl Protestcamp als auch Demonstration offiziell angemeldet waren, umstellte die bayerische Polizei die Theresienwiese und begleitete die Demonstrationszüge mit gewaltigem Polizeiaufgebot.

Die Organisator*innen des Mobilitätswendecamps berichten von 302 Vorfällen mit Polizeikontakt rund um das Camp und an den umliegenden U-Bahnhöfen. Erste Zusammenstöße gab es bereits am Freitagmorgen, beim Versuch der Klimaaktivist*innen das Protestcamp zu verlassen. Polizist*innen blockierten die Ausgänge und setzten Schlagstöcke und Pfefferspray ein, als die Demonstrierenden die Polizeikette durchbrechen wollten. Mehrere Personen mussten noch vor Ort behandelt werden.

Foto: © Tim Wagner

Hausbesetzungen und unterlassene Hilfeleistung

Im weiteren Verlauf des Tages besetzten Aktivist*innen zwei Häuser in der Karlstraße und richteten Sitzblockaden auf den Veranstaltungsplätzen der IAA ein. Bereits in der Nacht vor den Protestaktionen sollen sich Demonstrierende in den beiden leer stehenden Häusern in der Karlstraße eingefunden haben. Als der Demonstrationszug die Gebäude erreichte, lösten sich einige der Protestierenden aus der Menge und betraten die Häuser. Im Zuge der Protestaktionen wurden nach eigenen Angaben weitere 30 bis 40 Personen durch die Polizei verletzt.

Foto: © Sand im Getriebe

Eine Person soll beim Versuch, einen Baum zu besetzen, gewaltsam aus zwei Metern Höhe heruntergerissen worden sein und benötigte daraufhin medizinische Versorgung. Die Sanitäter wurden kurzzeitig von den Polizeikräften daran gehindert, entsprechende Hilfe zu leisten. Begleitende Sanitäter*innen und Anwälte sollen die daran beteiligten Polizeikräfte sogar noch darauf Aufmerksam gemacht haben, dass die Kletter*in nicht gesichert war.

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„Wir verurteilen, dass die Polizei unsere Arbeit behindert. Wir verurteilen, dass die Polizei Sanitäter*innen behindert, kriminalisiert und verletzt. Wir verurteilen, dass die Polizei ganz bewusst den Tod von Aktivist*innen in den Kauf nimmt.“

Eine Sanitäterin bei der abschließenden Pressekonferenz auf der Theresienwiese

Die Intersektionalität der verschiedenen Kämpfe

Laut Kerem Schamberger, Bundestagsdirektkandidat für die Linke München-Süd, soll die Aktion die Intersektionalität der verschiedenen Kämpfe aufzeigen. Die Hausbesetzung während einer „Autopropaganda-Show“ soll auf den Mietenwahnsinn, die Wohnungsnot und den Leerstand zahlreicher Häuser in der Stadt aufmerksam machen. All das, während der IAA die öffentlichen Plätze zur freien Verfügung gestellt werden und die Mobilität der Bürger durch die Versperrung von Fahrradwegen, barrierefreien Durchgangswegen usw. auch noch eingeschränkt wird.

Aktivist*innen berichten von unverhältnismäßiger Gewalt gegen die Demonstrierenden, auch bei der späteren Räumung der Gebäude. Ein Journalist, der vom Inneren der Hausbesetzung für die Taz berichtete, wurde vorübergehend in Gewahrsam genommen.

Ähnliche Szenen spielten sich am Samstag im Zug des Protestmarsches durch die Innenstadt ab. Umweltverbände, Anhänger*innen der Gruppierungen Sand im Getriebe, No Future for IAA und dem Bündnis SmashIAA, sowie zahlreiche Zivilpersonen versammelten sich zur Demonstration ausgehend von der Theresienwiese. 4.500 Polizeikräfte wurden für den Zeitraum der IAA mobilisiert und begleiteten die Protestaktionen.

Gewalt und Verletzte – Eine positive Bilanz?

Während der Demonstration am Samstag kam es zu einer spontanen Baumbesetzung entlang der Route in der Luisenstraße. Zwei Aktivist*innen überwanden eine Holzabsperrung und kletterten auf zwei Bäume, um ein Banner dort anzubringen. Die Polizei setzte daraufhin Pfefferspray und Schlagstöcke gegen die umstehenden Demonstrationsteilnehmer*innen ein. Die Betroffenen ordnen das Vorgehen der Polizei als „unnötig brutale Gewaltanwendung und versuchte Einschüchterung“ ein. Nachdem die beiden Kletternden eine für die Polizei unerreichbare Höhe erlangten, ließen die Einsatzkräfte nach und nach von den anderen Protestierenden ab.

Foto: © Sand im Getriebe

Sprecher*innen der Polizei versichern, die Polizist*innen hätten sich früher zurückgezogen, wäre bekannt gewesen, dass der Anlass der Aktion lediglich das Anbringen eines Banners war. Insgesamt zeigt sich die Polizei “hochzufrieden” und zieht eine positive Bilanz aus dem Verlauf der vergangenen Woche.

Viele der Demonstrierenden hingegen mussten noch an Ort und Stelle von Sanitätern versorgt werden. Gegen 16 Uhr setzte sich der Zug wieder in Bewegung in Richtung der Abschlusskundgebung, wo die Demonstration aufgelöst wurde.

„Die Polizei hat heute erneut ihre enorme Gewaltbereitschaft unter Beweis gestellt. Das ist genau die gleiche Polizei, die vor kurzem mit dem Polizeiaufgabengesetz die größte Erweiterung ihrer Befugnisse seit dem zweiten Weltkrieg erhalten hat. Die mutige Klimagerechtigkeitsbewegung, die sich für eine radikale Verkehrswende und ein Ende des klimazerstörerischen Autokapitalismus einsetzt, wird mit diesen Befugnissen hier gezielt bekämpft“

Liv Roth, Sprecherin von „…ums Ganze!“, das sich an den Protesten von Sand im Getriebe beteiligt.

Das Mobilitätswende-Camp München ist auf finanzielle Unterstützung angewiesen, um die Kosten der Unterbringung und Versorgung der Demonstrierenden zu decken. Hier kannst du die Organisator*innen unterstützen.

Derweil hat auch schon die politische Aufarbeitung dieser ersten Münchner IAA begonnen.


Beitragsbild: © Sand im Getriebe

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