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Unsere Zukunft wird designt, im Hier und Jetzt. Aber könnte nicht alles auch ganz anders sein?

MUCBOOK Magazin

Autonome Fahrzeuge, Haushaltsroboter, die uns hinterher dackeln und aufräumen, Mahlzeiten aus der Flasche oder auch die neusten Smartphone- und Computertechnologien, die zum Beispiel bei den Apple-Keynotes jedes Mal bejubelt werden: Schon heute sehen wir überall, wie unsere Zukunft bald aussehen wird und wir in naher Zukunft leben werden.

Aber muß das wirklich so kommen? Könnte unser Alltag in der (nicht allzu fernen) Zukunft nicht auch ganz anders aussehen, komplett losgelöst von diesen vorgespurten und -gedachten Zukunftsvisionen?

Foto: © Jan Krattiger

Karianne Fogelberg beschäftigt sich in ihrer designtheoretischen Arbeit am „cx centrum für interdisziplinäre studien“ an der Akademie der Bildenden Künste mit genau diesen Fragen. Es geht um aktuelle spekulative und kritische Designansätze, die darauf zielen, Gestaltung als einflussreiches Medium von Markt und Konsum zu entkoppeln, um die in ihr angelegten Risiken und Potentiale zu erforschen: „Design muss nicht immer marktkonform sein. Spekulatives Design arbeitet mit fiktiven Apparaturen oder Prototypen, die nicht den Anspruch erheben, funktionierende Produkte zu sein, sondern vielmehr dazu dienen, gegenwärtige Zukunftsentwürfe zu hinterfragen und eine Diskussion anzuregen.“

Ein einfaches Beispiel:

Design ist daran beteiligt, neue Technologien gesellschaftsfähig zu machen. Das Smartphone, wie wir es kennen, gibt es seit zehn Jahren. Mit dessen Einführung hat sich ein Repertoire an neuen Gesten verbreitet und etabliert, wie etwa Wisch- und Zoombewegungen mit den Fingern, die bereits heute aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken wären. Diese normalisierenden Kräfte, die dem Design innewohnen, beinhalten aber auch Risiken: „Gerade da will spekulatives Design ansetzen. Es versucht, die dem Design innewohnende Tendenz der Normalisierung auszuhebeln beziehungsweise sie dahingehend zu nutzen, um neue Möglichkeitsräume zu eröffnen.“ 
Wiederum am Beispiel des Smartphones bedeutet das: Wie würde eine alternative Bedienung oder gleich ein komplett anderes Gerät aussehen, losgelöst vom Standard, wie ihn Apple eingeführt hat und alle Konkurrenten übernommen haben? Der Fantasie sind – eigentlich – keine Grenzen gesetzt. Auch in anderen Lebensbereichen.

Es könnte alles anders sein.

Das zeigte zum Beispiel die Designerin Lisa Ma aus Seattle an einem Abend an den Kammerspielen. Sie lud zur „Speculative Dinner Performance“, bei der die sie gemeinsam mit der Raw-Food-Köchin Christine Mayr Speisen mit Zutaten aus der Wüste zubereitete, das „Desert Traveller’s Meal“. Das Menü bestand unter anderem aus einem „Prickly Sand Drink“ (Kaktusfeige, Tapiokaperlen, Limette, Aloe Vera), einem „Survival Bratling“ (Maniokmehl, Kartoffel und saisonales Gemüse) und einem „Extraction Pudding“ (u.a. Erdmandel, Kalaharisalz & Agavendicksaft).

Foto: © Julia Bergmeister

Ma konzentriert sich auf die Frage, was passiert, wenn immer weitere Regionen der Erde wüstenähnliche Bedingungen aufweisen. „Dabei handelt es sich um eine Zuspitzung gegenwärtiger Entwicklungen: Lisa Ma nimmt die fortschreitende Erderwärmung und extrapoliert sie in die Zukunft“, erklärt Karianne Fogelberg. „Und fragt dann, welche Auswirkungen sie haben könnte im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Nahrung und Wasser. Wäre es zum Beispiel denkbar, dass bestimmte Naturerzeugnisse wie die Avocado oder Mandel aufgrund des Wassermangels zu einem Luxusgut würden?“

Noch findet spekulatives Design insbesondere im Kontext von Museen oder Galerien statt. Ginge es nach Karianne Fogelberg, sollte sich das aber ändern. Mit ihrer gemeinsam mit Sarah Dorkenwald kuratierten Veranstaltung „Undesign“, in deren Rahmen das Wüstendinner an den Kammerspielen stattfand, möchte sie ein neues, breiteres Publikum erreichen. „Das gemeinsame Essen mit seinen hierfür eigens gestalteten Speisen sollte eine Diskussion zwischen den Gästen und Lisa Ma darüber anstoßen, welche konkreten Folgen die Erderwärmung haben könnte. Und welche alternativen Handlungsweisen es zwischen dem Leugnen des Klimawandels einerseits und der vermeintlichen Ausweglosigkeit andererseits geben könne. Es war interessant zu sehen, inwieweit die Leute sich darauf einließen.“ Mit einem vermeintlich einfachen Abendessen werden also sehr grundsätzliche Fragen aufgeworfen.

Oder Tröpfchenweise?

Grundlegend wird es auch beim spekulativen Design der Münchner Akademie-Studentin Pauline Stroux, mit dem Titel „OYL. Optimize Your Life“. Sie befasst sich – wie der Name unschwer erkennen lässt – mit Selbstoptimierung. Dabei verknüpft sie die Frage, wie wir in (nicht allzu ferner) Zukunft 10 Milliarden Menschen ernähren können, mit den bereits bestehenden Antworten einiger Nahrungsmittelkonzerne, die unter dem Stichwort Selbstoptimierung „ungenießbare Pulvermahlzeiten“ verkaufen, die „Essen weder als sozialen Akt, noch als vielseitiges, komplexes Gebilde der Nahrungsaufnahme betrachten, sondern vielmehr als zeitfressende Nährstoffzufuhr“.

Foto: © Pauline Stroux

Ein Beispiel aus dem realen Alltag dafür ist “Soylent” – ein Pulver, das angerührt mit Wasser jegliche Mahlzeiten ersetzen soll. Beliebt ist es insbesondere im Silicon Valley. Das fiktive Produkt von Pauline Stroux nennt sich „OYL“, und es “ermöglicht, sich ohne Zeitaufwand tröpfchenweise über den Tag verteilt von einer Infusion zu ernähren. Wir können uns also zeitsparend und effektiv ernähren, konsumieren ausschließlich die Nährstoffe, die wir brauchen und vermeiden Giftstoffe. Dazu gehört außerdem ein zweitägiges Seminar und ein fester Betreuer, der dem Nutzer „besonders in der Anfangsphase der Optimierung immer zur Seite steht“.

Übertriebene Selbstoptimierung.

In eine ähnliche Richtung geht NAOY von Stefanie Baumüller, entstanden an der Fakultät für Design der Hochschule München. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit Apps und Gadgets, die „den Traum eines optimierten Lebens versprechen“. Wir kennen das alle von unzähligen Fitness- und Diät-Apps, Schlafphasenweckern und ähnlichen Tools auf unseren Smartphones. Grundlage dieser Technologien ist aber immer auch, dass wir sehr persönliche und sensible Daten preisgeben. Baumüller greift das Thema auf und projiziert es in die Zukunft: NAOY postuliert eine fiktive Beratungsfirma, die mithilfe persönlicher Daten individuelle Selbstoptimierungs-Produkte zusammenstellt. Zum Beispiel „NAOY Ambient“, das aufgrund einer Analyse des Atems im dazugehörigen Bio-Organismus biochemische Reaktionen auslöst und so täglich einen individuell abgestimmten „Detox-Cocktail“ und Nährstoff-Gelee absondert.

NAOY – Natural Optimization Of Yourself, 2015. Foto: © Stefanie Baumüller

Klingt verlockend, aber auch ziemlich eklig und gespenstisch, oder?

Genau darum geht es bei diesen spekulativen Designs: Den Blick auf die Gegenwart und die Zukunft zu erweitern, und damit idealerweise eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema zu provozieren. Denn die Zukunft wird designt, ob wir wollen oder nicht. Aber wir können und sollten mitreden und mitgestalten.

 

Text: Jan Krattiger, Beitragsbild: Pauline Stroux

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