Aktuell, Kultur, Was machen wir heute?
„Ich steh darauf, wenn der Sound psychedelisch ist“ – Münchner Label TERRA MAGICA feiert im Import Export (Interview)
Bei TERRA MAGICA SUMMER ISSUE im Import Export am 13.09. zeigen sieben sorgfältig kuratierte Acts die Bandbreite des Münchner Labels für elektronische (Tanz-)Musik.
Als DJ, Veranstalter und Herausgeber des Stadtmagazins „SuperPaper“ hat sich Mirko Hecktor längst in die Nachtleben-Geschichte Münchens eingeschrieben. Seit vier Jahren betreibt er zusammen mit Partner-in-Crime Tom Sprenger nun eine weitere kreative Spielwiese: das Label „Terra Magica Rec.“.
Für ihre SUMMER ISSUE im Import Export haben beide ein famoses und internationales Line Up zusammengesponnen – darunter auch der Live-Act Volodymyr Gnatenko aus der Ukraine. Im Interview erzählen beide mehr über den abwechslungsreichen Abend und ihre Labelarbeit.
Hey Tom, hey Mirko, erzählt doch mal von eurer SUMMER ISSUE. Fangen wir beim Headliner Volodymyr Gnatenko an?
Tom: Volodymyr Gnatenko kommt aus Lutsk in der Ukraine und hat sich in den Genres Ambient, Trance und Techno einen Namen gemacht. Bei unserer Label Night in München wird er sein erstes zweistündiges Live-Set präsentieren. Vor dem Krieg in der Ukraine war er regelmäßig in renommierten Kiewer Clubs wie Closer und Kureni zu hören, doch die russische Invasion hat sein Leben und seine Karriere tiefgreifend verändert.
Trotz der schwierigen Bedingungen während der Bombenangriffe in Kiew ließ er sich nicht unterkriegen und produzierte weiterhin Musik in seinem Studio.
Sein Album Rainalice, das er seiner zukünftigen Frau gewidmet hat, steht für Hoffnung und Liebe und reflektiert gleichzeitig die bedrückenden Umstände des Krieges. Das Album vereint träumerische Klanglandschaften, sanfte Breakbeats und einen Hauch von Techno. In einer klaren Abgrenzung zur Aggressormacht änderte er sogar seinen Vornamen zu Volodymyr.
Wen sollten wir uns noch vormerken?
Tom: DJ SKIN sorgt in ganz Europa für Furore und schafft durch ihre immersiven Sets sinnliche Erlebnisse. Sie ist in Großbritannien geboren und lebt jetzt in Berlin. Ihre Sets führen durch pulsierende Tekwaves, hypnotischen Trance und die dreckigeren Seiten des Techno.
Miran Ns musikalische Reise begann 2014 in Köln mit einer zweijährigen Residency bei Psycho Thrill, einem der ältesten und renommiertesten Techno-Events Deutschlands. Derzeit ist Miran N Resident bei Power Play, einem der beliebtesten DIY-Raves in Berlin. Sein Sound ist eine erhebende Odyssee durch seine kuratierte Sammlung von frühen Psytrance-Perlen, erhebendem Progressive House und Trance sowie treibenden Techno-Tracks, die sowohl aktuelle Hits als auch zeitlose Klassiker umfassen. Seine Sets sind immer auf das Wesentliche reduziert – hypnotisch, fesselnd, treibend und prickelnd, genau so, wie er es mag.
Sofiia Zoloto, kommt ursprünglich aus Charkiw in der Ukraine und lebt jetzt in München. Bekannt ist sie für ihre vielfältigen Stilrichtungen, darunter melodischer Techno, Deep House, Indie Dance, Dark Disco, Acid House und viele andere. Schon ihr Vater spielte in den 90er und 2000er Jahren auf Underground-Techno-Partys.
Allgemein zu eurem Label: Ihr macht das jetzt seit gut vier Jahren. War Terra Magica zu Beginn ein klassisches Lockdown-Projekt oder hattet ihr das schon länger im Ärmel?
Tom: Crazy, wie die Zeit vergeht! Ich wollte immer ein Vinyl-Label machen. Der Lockdown hat uns den entscheidenden Schub gegeben, es wirklich umzusetzen. Wir kennen uns schon lange aus München. Richtig gut aber erst, als ich im Düsseldorfer Salon des Amateurs auflegte und dazu Merch entwarf, das die elektronische Musikszene beider Städte widerspiegelte – inklusive Mirko der darauf verewigt wurde. (lacht)
Mirko: Der Hoody auf dem mein Namen falsch und bei meinen Klammern das Projekt von jemand anderen dran steht. Das fand ich sauwitzig! (beide lachen)
Tom: Dann fingen wir an, uns zusammen mit Sound auseinanderzusetzen und wir saßen in Mirkos temporärem Studio in der Maroto Bar, die wir dank Corona umnutzen konnten.
Mirko: Das war auch so eine Schnappsidee, im Lockdown in einer vollbestückten Bar ein Tonstudio zu machen. Da kann man sich ja vorstellen, was passiert, wenn man die Sperrstunde verpasst. Ich hatte davor ein Label im Eigenvertrieb. Als Toms und meine Social Rub E.P. fertig war, sagte ich, nie wieder Eigenvertrieb. Man beschickt ja nicht mal eben so schnell Plattenläden in Tokyo oder New York, wenn keiner das Label kennt. Dann haben wir den Plattenvertrieb Bordello A Parigi in Amsterdam mit an Board bekommen.
Tom: Also ja, Terra Magica Rec. war vielleicht kein typisches Lockdown-Projekt, aber die Umstände haben definitiv dazu beigetragen, dass wir schnell gemerkt, dass wir gut harmonieren und Ideen umsetzen können.
Was ist euch beim Kuratieren wichtig und wo ist der gemeinsame Nenner?
Tom: Unser Kuratieren folgt einer klaren kosmischen Philosophie: Null Einschränkungen.
Mirko: Jeder von uns macht, was er will. Dann streiten wir. Oft sehen wir ein, dass der andere gute Argumente hat, manchmal nicht. Keine Angst vor Fehlern. Falsch ist manchmal auch richtig. Cosmic halt.
Tom: Ich stehe darauf, wenn der Sound psychedelisch ist und definitiv nicht in die Kategorie ‘funktional’ fällt.
Mirko: Ich höre mir Demos und unsere eigenen Tracks immer auf dem Handy an, Hauptsache darauf ist es fett. (lacht) Letztes Jahr habe ich auf dem Meadows Festival in Bulgarien gespielt und hatte unseren Labelmerch an. Nach der 40. Person, die meinte „wkd amazing label. fukn chuggy mate!“, habe ich gecheckt, dass die Engländer*innen uns auf dem Schirm haben. Terra Magica Rec. ist eines der wenigen deutschen Labels, das unter dem Begriff „Chug“, also „tuckern“ eingeordnet werden kann. Das ist dieser analoge, hängende, psychedelische Drive der alle verschiedenen Genres, LowFi Krautrock, Acid-Trance, Candomblé-Disco, UK Electro, elektronischer Cumbia, Big und Break Beats etc. zusammenhält.
Ihr kommt inzwischen auf neun Vinyls, die alle auch digital erhältlich sind. Welcher Release war ein ganz besonderer für euch?
Tom: Das war zweifellos die Veröffentlichung der Cosmica Bandida LP. Das Release zeigt die Vielfalt und Kreativität unseres Labels. Die Remixe unter anderem von Grischerr & Heap, Lipelis, Los Pulpitos, Kobermann und uns rundeten den Release perfekt ab. Es markierte auch einen Wendepunkt für uns. Der Sound ist zugänglicher für ein breiteres Publikum.
Mirko: Da hast du recht. So á la 90ies-Heavenly Rec. mit Indiebands und DJ-Producern, die sich alle gegenseitig remixen und covern. Wie du plötzlich immer noch mit einem neuen Remixer ankamst und ich immer nur meinte drei Tracks und 40 Remixes. (Lacht)
Tom: Yes, vier originale Tracks und gefühlt ein Dutzend Hitremixer-Remixes.
Die Holzrassel und das Vocal-Sample eurer Single „Chiqui Tan“ (als Hektisch Sprengen DJs) verfolgen mich immer wieder, wenn ich den Track höre. Es ist ein Remake des House-Klassikers „Paper Moon“ von 51 Days. Wie kam es zu dieser Idee und dem Track?
Mirko: Ja eigentlich ist es ein Cover vom Remix. Ich spiele den deepen Liquidhouse-Klassiker von 51 Days (R.I.P.) seit ca. 1994. In den Nullern habe ich dann verstanden, dass das Ritsche-Ratsche-Sample auf „Paper Moon“ eigentlich von der MPB-Coverversion von Carol Kings „Corazon“ kommt. Das habe ich das halt mit einem Holz live eingespielt.
Tom: Klang dann wie eine Kröte.
Mirko: Dann meinte Tom, ich soll die TR-808 anmachen. Die klang dann nach Ed DMX UK-90s-Elektro. Dann haben wir uns den Sixtrack geschnappt und plötzlich war Windrauschen auf dem Track. Und dann wollte Tom das spanische 90s-Trance Vocal. Das haben wir klassisch auf 45 statt 33rpm aufgenommen. Dann kam noch eine SH-101 Lead dazu. Scheisse ist das jetzt nerdig. (lacht)
Wie schwer oder leicht ist es eigentlich, 2024 ein kleines Label zu betreiben?
Tom: Es ist definitiv eine Herausforderung. Wir bieten zusätzlich zu den Vinyl Releases noch Bonus Digital Tracks an, was ein Anreiz mehr ist, unsere Releases zu kaufen
Mirko: Das Bizz hat sich natürlich schon seit der MP3-Kompression stark verändert. In den 1990er-Jahren konntest du mit experimentellem Sound als Label wachsen, weil du mit dem schwierigsten Zeug trotzdem 500 bis 1000 Scheiben verkauft hast. Das ist heute komplett anders, aber wir werden alle älter und das heißt auch, dass sich mit uns der Begriff der Hochkultur verändert. Dadurch verändert sich auch die Förderlandschaft in Deutschland. Elektronische Musik ist auch Erinnerungskultur.
Was macht ihr beide sonst so, wenn ihr nicht gerade ein Label betreibt?
Tom: Ich bin Art Director für eine Mineralien und Edelsteinmesse und Vater. Für die Gestaltung unserer Platten-Covern bin ich bei uns zuständig und habe mit einigen internationalen Illustrator*innen zusammengearbeitet.
Mirko: In meinem Vertrag steht Referent. Ich verwalte öffentliche Fördermittel im Bereich zeitgenössischer Tanz in Deutschland und schreibe nebenher für das Groove Mag.
Wo zieht es euch momentan hin, was sind spannende Orte oder Personen?
Tom: Favo Bar, Unter Deck, Rio Bar, Bei Otto, Komitee, Import Export, Arkaoda in Berlin, Salon des Amateurs in Düsseldorf und auf jeden Fall das Sameheads in Berlin, wo im März unsere erste Labelnight veranstaltet haben!
Mirko: Das Unter Deck ist tatsächlich einer der wichtigsten vorpolitischen Läden Europas. Ansonsten Favo Bar, Truckerbabe2000, Cucurucu, Alternative Fakten, LiveEvil, Probl3matique, Halle6, Mancanflywhen, Der Nico vom Rio, Missing Vale (R.I.P.)! Tanzwerkstatt Europa. Ankali und Planeta Za in Prag waren auch fun.
In aller Kürze:
Was? TERRA MAGICA SUMMER ISSUE – Volodymyr Gnatenko (live) (Tickets im VVK ab 8,45 EUR – 15 EUR Abendkasse)
Wann? 13. September 2024, Einlass: 18 Uhr, Ende: 06:00 Uhr
Wo? Import Export, Schwere-Reiter-Str. 2h, 80636 München
Beitragsbild: ©Terra Magica (links: Mirko Hecktor; rechts: Tom Sprenger)
- Die 10 (wirklich) besten Orte mit Frankreich-Flair in München! - 5. Dezember 2024
- Wie Münchens Zukunft auf vier Rädern (oder weniger) aussehen könnte – Oliver May-Beckmannn (MCube) im Podcast - 28. November 2024
- „Meine Vorstellung von Techno“: Stenny über Münchens Szene, Ilian Tape und seine neue Clubnacht im Blitz - 28. November 2024