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Wolfgang Nöth – der Freiräumer

Ein Nachruf von David Süß

Wolfgang Nöth habe ich 1993 kennengelernt, aber schon Ende der Achtziger war ich in seinen Hallen und hatte von ihm gehört. Der Nöth lasse auch eine Soliparty, etwa den autonomen Infoladen, in der Theaterfabrik zu – Veranstaltungen auf denen regelmäßig der Staatsschutz präsent war. Vor allem war ich in seinen Hallen, weil dort Konzerte gespielt wurden, für die wir aus Fürstenfeldbruck sonst mit dem Auto in den Zirkus nach Gammelsdorf oder in den Siedlerhof nach Augsburg fahren mussten. Bad Brains, Alien Sex Fiend, Nirvana, Pixies: Musik abseits des Mainstreams. Nach Unterföhring konnten wir mit der S4 und dann der S3 fahren. Wenn wir die Zugabe noch hören wollten, ging es auf dem Heimweg nur noch mit der S3 nach Esting und ein paar Kilometer zu Fuß.

Im Sommer 1993 hat Wolfgang den Flughafen in Riem als dreijährige Zwischennutzung übernommen, der war nach der Öffnung des Flughafens leer, für viele Menschen ausgelegt und dort gab es, anders als in der Stadt, keine Anwohnenden und keine Sperrzeit, aber eine eigene Autobahnausfahrt.

Für diese Freiräume hat Wolfgang junge Veranstalter gesucht (ich spare mir hier das Gendern. Bei uns war Dorle Zenker dabei, die heute an der Roten Sonne beteiligt ist, sonst gab es keine Frauen). Und Wolfgang hat die Veranstalter gefunden. Die Ideen waren da, es gab in Riem vier Hallen und die wurden voll gemacht, manchmal reichte der Stau vom Parkplatz bis auf die Autobahn.

Wolfgang Nöth in Riem, 1993. © Volker Derlath

In der Stadt war es derweil noch so: Sperrzeit war grundsätzlich um 1 Uhr, am Wochenende um 3 Uhr. Einzelne Ausnahmegenehmigungen gab es für das P1 und das Parkcafe. Im Babalu gab es donnerstags und samstags eine Technoveranstaltung, die musste aber um 4 Uhr beendet werden, um 6 Uhr konnte dann in der Afterhour weiter gefeiert werden. Aber schon im Herbst ’92 gab es im P1 und im Babalu Drogen-Razzien und das Kreisverwaltungsreferat hat ernsthaft überlegt, Veranstaltungen mit Techno und House keine Aufhebung der Sperrzeit mehr zu geben. Es war ein Musikverbot geplant.

1993 war auch die Wahl des Oberbürgermeisters in München, die aussichtsreichen Kandidaten waren der junge Christian Ude für die SPD, als Nachfolger von Georg Kronawitter, und Peter Gauweiler für die CSU, der sich schon unter Kronawitter als Kreisverwaltungsreferent den Ruf als schwarzer Hardliner verdient und mit seinen reaktionären Ideen im Kampf gegen Aids viele Schwule aus der Stadt vertrieben hatte.

Zwischen dem Kabarettisten Ude und dem Kultur-Ermöglicher Nöth gab es schnell eine Annäherung und Wolfgang hat auf eigene Kosten Wahlwerbung für Christian Ude in der Stadt gemacht. Weil die CSU Prominente eingespannt hatte, war Wolfgangs Slogan: „Ich bin für Christian Ude, weil Uschi Glas für Peter Gauweiler ist.“ Wie bekannt, wurde Christian Ude damals sehr knapp, aber für lange Zeit Oberbürgermeister in der Landeshauptstadt.

Wolfgang nutzte den guten Draht zum OB: 1995 waren wir mit einer Delegation von Veranstaltern unter seiner Leitung zu einem Gespräch über die Sperrzeit ins Rathaus eingeladen. Der Oberbürgermeister und seine Verwaltung ließen sich informieren, worin denn der Reiz des nächtlichen Feierns bestünde. Der große Erfolg in Riem und die Hinweise auf Silvester, die Beispiele anderer Städte und die Einsicht, dass eine Nachtkultur ein Standortfaktor sei, haben gewirkt. 1996 wurde die Sperrzeit in einigen innerstädtischen Vierteln versuchsweise aufgehoben. Heute kann die Aufhebung der Sperrzeit in der ganzen Stadt bei den Bezirksinspektionen beantragt werden.

Wolfgang Nöth (r.) und Christian Ude, Alt OB, 2001 im Nachtcafé des Kunstpark Ost. © Volker Derlath
Wolfgang Nöth (r.) und Christian Ude, Alt OB, 2001 im Nachtcafé des Kunstpark Ost. © Volker Derlath

Im Sommer ’96 hat Wolfgang zusammen mit Gabi und Mathias Scheffel den Kunstpark Ost eröffnet. Wieder eine Zwischennutzung, diesmal noch größer als Riem. Und wieder hat er es geschafft, dass sich alle Räume dort gefüllt haben. Auch, weil die Mieten fair waren und die Gastro, die Clubs und die Hallen die Ateliers mitfinanziert haben. Trotz dieser Quersubventionierung war die Kaltmiete, etwa für das Ultraschall, nur 10 Mark pro Quadratmeter. Die Zahl der Clubs in München hat sich nach der Öffnung des Kunstparks mit Sicherheit vervierfacht.

Es sind schon ein paar Nachrufe auf Wolfgang Nöth erschienen und ich empfehle sie alle, nur so ergibt sich ein größeres Bild über die Person und was er erreicht hat

Ein paar Mal habe ich gelesen, er wird der Stadt fehlen, weil er soviel angepackt und möglich gemacht hat. Klar fehlt der Mensch, sehr sogar. Aber der Macher fehlt nicht.

Wolfgang hat geholfen, die Stadt so zu verändern, dass andere weiter machen können. In Teams, in der Zusammenarbeit mit der Verwaltung.
Damals gab es eine Sperrzeit, heute wird eine Fachstelle für das nächtliche Feiern bei der Stadt besetzt. Vor bald dreißig Jahren musste sich Wolfgang mit einem unfassbaren finanziellen Risiko eine Zwischennutzung sichern, heute gibt es ein Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft der Stadt, das sich um Zwischennutzungen kümmert.

Dieses Vermächtnis sollten wir bewahren und dafür sorgen, dass immer Platz ist in dieser Stadt. Für die Gspinnerten, für die Bunten, für die Wilden, für alle die nicht schlafen wollen und die Freiräume mit Leben füllen.

Wenn wir das nicht schaffen, wenn wir diese Freiräume nicht erhalten und neu errichten, dann schickt uns Wolfgang hoffentlich die Eine auf dem Gabelstapler, die voran fährt und die Orte freiräumt.

Danke Dir lieber Wolfgang und eine gute Reise.

Wolfgang Nöth ist im Alter von 77 Jahren am 10. Januar 2021 in einer Münchner Klinik nach kurzer Krankheit verstorben.


Fotos: © Volker Derlath

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