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Am Gesundheitshaus: Street Art mit Schnapswerbung übermalt

Caroline Priwitzer

„Es ist nicht nur ironisch, es ist zynisch“, klagt Sebastian Pohl, künstlerischer Leiter des gemeinnützigen Münchner Kunstvereins Positive Propaganda e.V.. Er selbst konnte es kaum fassen, als er die neu bemalte Wand sah. Aber da war es schon zu spät.

Ort des Geschehens ist das ehemalige Gesundheitshaus an der Dachauer Straße. Das haben die Inhaber des (privat geführten) Museum of Urban and Contemporary Art (MUCA) für 5 Jahre zur Zwischennutzung übernommen und dort das Kunstlabor 2 gegründet.

“Die beiden Kunstliebhaber”, so die Website des MUCA, das Ehepaar Utz, sehe es als höchste Maxime, “Urban Art in den zeitgenössischen Kunstdiskurs einzufügen und diese aufstrebende Kunstform zu musealisieren.“ Musealisieren, das bedeutet vor allem: Bewahren.

Darum geht es:

Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass am vergangenen Wochenende das konsumkritische Mural “Greed Depression” des Streetart-Künstlers NoNAME übermalt wurde. Nun prangt an dieser Stelle in der Dachauer Straße 90 großflächig ein von Jägermeister gesponsertes Werk der Künstler Case Maclaim (alias Andreas von Chrzanowski) und Pepe (alias Jose Luis Villanueva Contreras.)

Auf konkrete Fragen von MUCBOOK hierzu antworten Stephanie und Christian Utz nicht, sondern schicken ein allgemein gehaltenes Pressestatement. Darin heißt es, es sei „völlig Usus, dass bei kuratierten Außenflächen im Sinne der Gleichberechtigung und Fairness auch andere (Street-Art-) KünstlerInnen „zum Zuge kommen””.

Für Pohl jedoch stellt das Übermalen von Arbeiten aus der Streetart-Bewegung ein absolutes Tabu dar.

The Greed Depression

“Das Werk von Herrn Pohl hatte eine sehr lange Verweildauer und es sollte in unser aller Interesse sein, künstlerische Vielfalt in München zuzulassen“, erklärt sich das MUCA. Kleine, aber nicht unwichtige Korrektur: Das Mural stammt tatsächlich nicht von Pohl selbst, sondern vom in Wien lebenden (und international gefeierten) Streetart-Künstler NoNAME – Pohl malt selber keine der von Positive Propaganda realisierten Wände. Das Werk “Greed Depression” war laut Pohl zwar kein offizielles Positive-Propaganda-Projekt, wird aber als Teil dessen Gesamtgestaltung verstanden.

Pohl bedauert vor allem den Verlust des künstlerischen Werts von “Greed Depression”: “Es geht nicht um den Geldwert, sondern den Wert für die Öffentlichkeit und die Kunstgeschichte.” Auf Basis dieses Münchner Murals entstand 2020 eine Zusammenarbeit mit der amerikanischen Streetart-Legende Shepard Fairey (einige kennen ihn von der Hope-Kampagne für US-Präsident Obama oder seiner Marke OBEY).

Die Kunst des Übermalens

Unter dem Punkt PHILOSOPHIE liest man auf der Website des MUCA, das sich – auch laut Website – als “Begegnungsstätte für Urban und Contemporary Art” versteht, die Zielsetzung „für eine vergängliche Kunstform Räume zu schaffen, in denen Street- und Urban Art im Dialog mit anderen Genres der zeitgenössischen Kunst steht, sich gegenseitig befruchtet und zu neuen Erkenntnissen führt.“

Die Vergänglichkeit des Streetart-Werks im konkreten Fall ist laut Positive Propaganda in dieser Art deutschlandweit jedoch der erste Fall.

Dürfen die das?

Mal ganz abgesehen vom Usus und dem Respekt vor künstlerischer Arbeit: Auch in rechtlicher Hinsicht gibt es scheinbar Interpretationsmöglichkeiten. Das Ehepaar Utz erklärt, sie hätten das gesamte Gebäude (Indoor und Outdoor) in Erbpacht übernommen. Ein Nutzungsrechts- und Überlassungsvertrag an der Fassade sei dem Kunstverein Positive Propaganda bereits im Sommer vergangenen Jahres gekündigt worden. “Im Sinne unserer eigenen, künstlerischen Freiheit in der Verwandlung des ehemaligen Gesundheitshauses werden wir u.a. die Hausfassade des KUNSTLABOR 2 in regelmäßigen Abständen an KünstlerInnen zur Gestaltung freigeben.“ 

Diese Vereinbarung bezog sich laut Pohl jedoch nur auf die aktive Umsetzung von Kunstwerken, nicht aber auf deren Erhalt. Außerdem habe das Kulturreferat schriftlich darauf hingewiesen, dass sich die Werke entlang der Dachauer Straße 90 unter Ensembleschutz befänden, erzählt er weiter. “Darüber hinaus ist es auf öffentlichen Flächen und Gebäuden sogar verboten, kommerzielle Werbung anzubringen. Umso mehr ist es ein Skandal, dass das MUCA Schnapswerbung – am Gesundheitshaus – ermöglicht hat.“ 

Ob das Mural, das zumindest in Schrift und Farben an Jägermeister erinnert, eindeutig als Werbung einzuordnen ist, bleibt wohl Interpretationssache. Über die Webseite und Socialmedia-Kanäle von Jägermeister und dem Künstler Case Maclaim (s. oben) wird aber klar, dass das Werk aus einer Kooperation mit der Schnapsmarke entstand.

Bitterer Beigeschmack

Sebastian Pohl jedenfalls weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll: “Wir kriegen Anfragen für genau so einen Quatsch.” Aber den lehne er ab. Die Streetart-Bewegung entstand aus der Motivation heraus, den öffentlichen Raum zurückzugewinnen, erzählt er. Als Gegenentwurf zur Werbeflut.

Traurigkeit klingt in seiner Stimme mit, als er scherzhaft sagt, er trinke nach unserem Gespräch erst einmal einen Jägermeister.

Statement des Kulturreferats

Nachtrag vom 16.7.: “Das Kulturreferat bedauert die Übermalung. Das künstlerische Ensemble, welches aus der übermalten NoName-Arbeit am Nebengebäude sowie dem Triptychon von Skullphone in Zusammenarbeit mit dem Münchner Kunstverein Positive-Propaganda e.V. am Hauptgebäude bestand, hatte zum Ziel, den zunehmend für Werbekampagnen benutzten öffentlichen Raum durch reflektierte künstlerische Interventionen zurückzuerobern. Die Kunst von NoName und Skullphone stellt eine Gegenbewegung zur kommerziellen Vereinnahmung der Großstädte und ihrer Kultur dar.[…]

Außerdem: “Das gesamte Gebäude (Besitz, Nutzen, Lasten) ging im Rahmen eines Erbpachtvertrags nach Mitteilung des Kommunalreferats im Juni 2020 auf MUCA über. Der Kulturreferent hatte in einem Schreiben im Dezember 2020 an das MUCA den Wert des künstlerischen Ensembles an den Fassaden des Gebäudes betont und sich für dessen Verbleib ausgesprochen. Im direkten Austausch mit der Leitung des MUCA hat das Kulturreferat diese Haltung nun nochmal bekräftigt. Dabei wurde auch bestätigt, dass die aktuellen Umgestaltungen das Triptychon von Skullphone nicht betreffen.”


Beitragsbild: Jan Krattiger

Bild im Artikel: Sophia Hösi

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