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70 Jahre Clubkultur – diese Ausstellung zeigt das Münchner Nachtleben von seinen wilden und besten Seiten

Wer die neue Ausstellung im Münchner Stadtmuseum betritt, hat vielleicht gleich zu Beginn schon ein verheißungsvolles Déjà-vu. Vorausgesetzt man war bereits in den 00er Jahren oder in den frühen 2010er Jahren im hiesigen Nachtleben unterwegs. Ein Mosaik-Schriftzug mit den klingenden Namen “The Atomic Café” ist hier im ersten Stockwerk im Foyer durch eine Glasscheibe gut sichtbar. Darunter zwei stählerne Türen. Tritt man etwas näher, öffnen sich diese Pforten automatisch wie von Geisterhand und man betritt „Nachts. Clubkultur in München“, eine lange erwartete Ausstellung, die am 24. Juli im Münchner Stadtmuseum Eröffnung feiert. Wir durften vor der Eröffnung schon mal reinschauen.

Fast wie im echten Club

Passiert man die erwähnte Tür, dann erwartet einen tatsächlich erst mal sowas wie ein kleines Atomic Café-Replikat. Erfahrene Nachteulen werden sich verwundert die Augen reiben und vielleicht ein sehnsüchtiges Stechen im Indie-Herz verspüren, wenn sie diesen ersten Raum der Ausstellung betreten. Zu verdanken ist diese recht originalgetreue Installation der Weitsicht der ehemaligen Atomic-Betreiber, welche die Einrichtung damals unmittelbar nach der Schließung dem Münchner Stadtmuseum zur Verfügung und Aufbewahrung überließen.

Um zehn Uhr morgens am 01. Januar 2015 war die letzte Party vorbei, erinnert sich Kurator Christoph Gürich. Danach gab es noch einen „Trauermarsch“ mit der Express Brass Band durch’s Viertel. Wenig später wurden bereits die ersten Möbel und Erinnerungsstücke von den Handwerkern des Stadtmuseums abgeholt. Es musste ganz schnell gehen damals. Vom alten Glitzervorhang bis zur geschwungenen Bar ist ein großer Teil des Interieurs hier nun wieder aufgebaut. Die Detailtreue ist verblüffend und zeigt noch einmal, wie liebevoll, originell und verspielt der Indie-Tempel damals eingerichtet war. Die Atomic-Installation vermittelt die Bedeutung der (Innen-)Architektur für das Erlebnis Club.

Streifzüge durch die Nacht

Einen Anspruch auf historische Komplettheit hege man nicht, sagt Gürich weiter, aber man wolle mit der Ausstellung den verschiedensten Menschen das Thema Nachtkultur als wichtigen Teil der Stadtgesellschaft in seiner Bedeutung nahe bringen. Über sieben Jahrzehnte Feierkultur bildet „Nachts“ dabei ab und taucht somit auch in die verschiedenen Subkulturen dieser Epochen ein. In den 60er Jahren waren Beat-Schuppen in Mode, Größen wie die Rolling Stones oder Jimi Hendrix verkehrten in der Stadt. In den 80er Jahren feierte Freddy Mercury schon mal seinen Geburtstag in der Travestiebar Old Mrs. Hendersons in der Müllerstraße (heute: Paradiso Tanzbar). Zeitdokumente wie eine private Eintrittskarte zu dieser Geburtstagssause werden hier als memorable Zeugnisse aus wilden und vergnügten Zeiten präsentiert. Daneben läuft das Musikvideo zu „Living on my own“, das Mercury in seinem Münchner Lieblingsclub gedreht hat. Die vielleicht höchste Ehrung, die einem Münchner Club jemals zu Teil wurde, wie Gürich meint.

Viele solcher Memorabilia sind zu entdecken. Etwa ein Brainstorming-Zettel zur Namenssuche für den legendären Ultraschall-Club (sowas wie Münchens erster Techno-Tempel, der u.a. von den heutigen Betreiber*innen von Harry Klein und Rote Sonne geführt wurde). Hexenkessel oder Knatterbox ist dort etwa zu lesen. Der Vorschlag „Trap“ würde heute wohl gar zu musikalischen Verwechslungen führen. Andere Ideen sorgen für Schmunzeln oder Erstaunen. Vielleicht war Ultraschall also eine ganz gute Wahl. Bildgewaltige Szenen vor den Clubs auf den Münchner Straßen hat derweil Volker Derlath eingefangen, der die Stadt seit Jahrzehnten nachts fotografisch dokumentiert und für die Ausstellung sein Archiv lüftete.

Alte Bekannte

Wer durch die Ausstellung streift, wird also ziemlich sicher das ein oder andere bekannte Stück wieder erkennen. Die ikonische Militär-Mütze von X-Cess-Betreiber Isi Yilmaz vielleicht. Das Silvester-Poster vom Zwischennutzungsprojekt Puerto Giesing. Der mit Stickern verklebte Zigarettenautomat aus der alten Registratur. Der Plattenkoffer von DJ-Legende DJ Hell. Oder speziell codierte Szene-Klamotten. Die gezeigten Devotionalien atmen die Nostalgie vergangener (und damals meist noch verrauchter) Nächte.

Betonen will die umfangreiche Ausstellung aber auch die Bedeutung des Nachtlebens für marginalisierte gesellschaftliche Gruppen und queere Personen oder Transgender. Hier waren Szene-Bars schon immer eine Art Safe Space für Menschen, die im Alltag oft diskriminiert wurden oder schlichtweg wenig Gleichgesinnte um sich hatten. Bevor es institutionelle Anlaufstellen oder ärztliche Beratungen als Selbstverständlichkeit für Transpersonen gab, wurden wichtige Ratschläge und Lebenserfahrungen auch schon mal am Tresen von Älteren übermittelt und geteilt, erinnert sich Kurator Christoph Gürich an Begebenheiten, die ihm bei der Ausstellungsvorbereitung übermittelt wurden. Hier wird die Bedeutung des Clubs als Raum der Vergemeinschaftung und der Avantgarde deutlich.

Innenhofbühne: Sommer im Hof

Damit nicht genug: Rechtzeitig zur Eröffnungswoche veranstaltet das Stadtmuseum zusammen mit dem Veranstalterkollektiv TAMTAM außerdem eine Reihe von Konzerten im Innenhof des Museums. Von Oh No Noh & Maxi Pongratz über Meerkat Meerkat bis zur Album-Releaseparty der Igitte Sisters wurde hierfür ein buntes und abwechslungsreiches Programm mit Fokus auf die Subkultur auf die Beine gestellt. Eine gebührende Clubnacht muss aus bekannten Umständen aber erst mal ausfallen.

Da wird zuletzt die besondere Pointe beim Timing der Ausstellung deutlich – auch wenn das natürlich nicht so geplant war: gerade jetzt wo die Clubs seit über anderthalb Jahren geschlossen sind, erinnert diese umfassende Zeitreise an das, was momentan so schmerzlich fehlt im Stadtgeschehen – als bedeutender Bestandteil und auch als sozialer Katalysator dieser Stadt.


In aller Kürze:

Was? Nachts. Clubkultur in München (Ausstellung)

Wann? 24. Juli 2021 bis 1. Mai 2022 (Montags geschlossen)

Wo? Münchner Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz 1

Begleitend zur Ausstellung erscheint eine umfassende Publikation im Verlag Sorry Press mit zwölf Essays sowie vielen Fotos, Informationen und Archivmaterial rund um die Ausstellung. Diese ist an der Museumskasse und im Online-Shop erhältlich.


Beitragsbild: Atomic Cafe München um 1999 – Foto: © Tina Weber; restliche Bilder: © Mucbook

Anm. d. Redaktion: Wir haben die Angaben zur letzten Partynacht angepasst, nachdem uns Feedback aus der Atomic-Crew dazu erreicht hat (vgl. Kommentar unter dem Artikel).

1Comment
  • Roland
    Posted at 15:49h, 24 Juli

    Kleine Korrektur: die letzte Party ging bis 1.1.2015 um 10h, danach funky trauermarsch mit der express brass band durchs fertig gentrifizierte bonzenviertel bis ca. 11 und dann absuckerparty für crew bis ca 14h 😉

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