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Die Plauze, viele Steine und eine dunkle Ahnung

Simone Mellar
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gustl4 in muc – der einzige Fortsetzungsroman, in dem Du vielleicht auch einmal auftauchen wirst. ChapterV.

Mittlerweile war Mucl ein Profi in Sachen Strick.

Egal, ob Wollmützen, Teddybären oder Eierwärmer (der Verkaufsschlager so kurz vor Ostern) – Mucl brachte einfach jedes Wollpaket an die strickbegeisterte Frau. Mit vollem Eifer erklärte er in den letzten zwei Wochen älteren Damen, die einem Wollknäuel gar nicht so unähnlich waren – rund und weich – die Vorteile von Angorawolle gegenüber ägyptischem Feingarn und andersherum. Mucl hatte sich tatsächlich in dem befremdlich schwäbischen Laden einen Namen gemacht. Ihm ging es sogar so gut, dass er bereits nach zwei Wochen ein paar Tage frei nehmen durfte – als Belohnung für den exorbitanten Umsatz, der eindeutig auf den jungen Mann im grellen Erdbeer-Pullunder zurückzuführen war.

So hatte Mucl endlich wieder mehr Zeit für Gustl, den er – wie er sich eingestehen musste – in all dem Bavi-Chaos kläglich vernachlässigt hatte. Doch mit Bavis maxistischer Anbandelei hatte er sich nach dem ersten Schock mehr oder weniger abgefunden. Die Tatsache, dass ihm werktags zwischen neun und 18 Uhr an die fünfzig hübsche Töchter von handarbeitsbegeisterten Müttern quasi auf dem silbernen Stricknadel-Tablett serviert wurden, war daran bestimmt nicht ganz unbedeutend. Sein Kopf war immerhin mit ausreichend neuen Gedankenfetzen gefüllt, und hin und wieder hüllten sie den Schmerz in seinem Herzen in eine angenehme Leichtigkeit. Mucl wollte diese Energie unbedingt nutzen, und da die Stadt so langsam den Frühling in Empfang nahm, verabredete er sich mit Gustl an seinem ersten freien Tag zum Joggen am Flaucher.

Gustl freute sich über Mucls Anruf, über die Idee der sportlichen Ertüchtigung allerdings weniger. Schließlich war Gustl ein bayerisches Original und stolz auf seine kleine Wampe. Er vertrat die Meinung, dass diese kleine Plauze Ergebnis jahrelangen Trainings sei. Im Mass-Heben konnte ihm keiner etwas so schnell vormachen. “Bei den Mädels allerdings schon …”, unterbrach Mucl vorsichtig Gustls energische Argumentation. Und diese Worte saßen mehr als der übelste Wiesn-Rausch bei Gustl. Denn bei aller Liebe dem schnuckligen Guerilla-Gärtner gegenüber muss man doch zugeben, dass er nicht weit über die Fremdbesamung exotischer Rosenzüchtungen hinauskam – doch damit sollte von nun an Schluss sein.

So trafen sich Mucl und Gustl hochmotiviert im Englischen Garten zum Training. Die ersten Schritte waren jedoch schwieriger als geplant, da sich die Stadt dank der wärmeren Temperaturen in einen Sandkasten verwandelte. Wohin man auch trat, überall lagen Tonnen von Kies und die kleinen Steinchen schienen einen Vorliebe für Gustls sumpfige Schuhsohlen zu haben. Immer, wenn er gerade losrennen wollte, spürte er mindestens einen kleinen pieksenden Stein zwischen Strumpf und Schuh. Alle zwei Minuten musste Gustl so den bereits davon schnellenden Mucl zurückrufen, sich an einen kargen Baum lehnen, und die ungebetenen Untermieter seiner Laufschuhe rabiat nach draußen befördern. Nach einer halben Stunde dieser Stopp&Schüttel-Show war Gustl völlig außer Atem und seine kleinen wulstigen Lippen formten in seinem trapezförmigen, purpurroten und völlig nassgeschwitztem Gesicht das Wort “Pause”.

Mucls Puls hingegen schlug noch immer normal und er selbst hatte das Gefühl, noch nicht einmal richtig aufgewärmt zu sein. Doch für seinen besten Freund unterbrach er gerne und so kehrten die beiden in den Biergarten ihres Vertrauens ein. Mucl bestellte ein großes Wasser, Gustl “nach all der Plackerei”  ein bayerisches Frühstück: frischen Obazda an riesiger Breze und Fleischplatte, dazu eine halbe Mass. Mucl musste laut lachen und klopfte seinem völlig ausgehungerten Kumpanen auf den Rücken: “Wenn Du so weitermachst, bist Du der erste Mensch, der durch Sport eher zu- als abnimmt!” Gustl schüttelte den Kopf und schmatzte zwischen Obazda und flüssigem Gold, das einzige, was ihm wirklich fehle, sei die “rischtische Moddivatschion”. “Na, da kann ich Dir behilflich sein”, dachte sich Mucl und ein breites Grinsen teilte seinen Fünf-Tage-Bart in zwei unsymmetrische Hälften. Als sich Gustl nach dem Grund für diesen seltsamen Gesichtsausdruck und dem unheimlichen Leuchten in Mucls verschmitzen Augen erkundigte, schüttelte dieser nur weise lächelnd den Kopf und schlug vor, sich doch morgen für eine neue Trainingsstunde zu treffen. Gustl willigte irritiert ein und orderte vorsichtshalber noch ein halbes Hendl bei der Bedienung. Eine dunkle Ahnung verriet ihm, dass dies vielleicht der letzte Tag sei, an dem er unbekümmert schlemmen könnte …

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