Kultur

Ein Wort zum Unsagbaren

Tini Kigle
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Josef Bierbichler war mit seiner Produktion Holzschlachten. Ein Stück Arbeit in den Münchner Kammerspielen zu Gast.  Ein großartiger Theaterabend und ein erschütterndes, ein quälendes Zeugnis.

Spätestens wenn die Biologie das Ihrige tut, wenn der letzte Zeitzeuge tot ist, spätestens dann wird sich die Frage mit erneuter, mit dringlicher Vehemenz stellen: Wie erinnern an den Holocaust, wie Auschwitz gedenken? Wie viel so genanntes ‚Tätervolk’ steckte in uns, wie viel ist da noch immer und wie entwickelt sich die Shoah als bisher fast reine Opfererzählung? Letzten Endes: Wie wollen wir uns unsere Geschichte erzählen?

bierbichler

Zu Unsagbarkeits- und Unvergleichlichkeitsdebatten hat vor allem Adorno Wesentliches beigetragen: „Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe kein Gedicht mehr sich schreiben.“

Josef Bierbichler, der mit seiner Berliner Produktion Holzschlachten. Ein Stück Arbeit zu Gast in den ausverkauften Kammerspielen war, knüpfte an eine weitere Debatte an: die nach der Moral und Möglichkeit von Fiktion über den Holocaust. Die scheinbar authentische Autobiographie Bruchstücke. Aus einer Kindheit 1939-1948 von Binjamin Wilkomirski, in der Ende der 90er die Kindheit des Autors in Auschwitz erzählt wurde, löste in Öffentlichkeit und Literatur- und Kulturbetrieb tiefe Betroffenheit und große Begeisterung aus. Die nicht lange währte: Bald darauf entlarvte der Journalist Daniel Ganzfried diese ‚Autobiographie’ als in Wahrheit gewaltiges Konstrukt aus fragwürdiger Erinnerung, Lüge und erfundener Identitätsgeschichte. Eine riesige Auseinandersetzung zur Fiktionalisierung des Holocaust fand und findet noch immer statt: DARF MAN DAS? Darf man die Unvergleichbarkeit weil Einzigartigkeit, die Unaussprechlichkeit und Unsagbarkeit des Holocaust fiktiv umsetzen? Die Aktualität der Fragestellung lässt sich prüfen anhand der Kritik an Herta Müllers Atemschaukel, dem Prosatext, in dem ein Insasse eines Arbeitslagers aus der Ich-Perspektive seine Geschichte erzählt und für den Müller im Herbst vergangenen Jahres den Literaturnobelpreis erhielt. Obwohl der Text in enger Zusammenarbeit mit dem 2006 verstorbenen Oskar Pastior entstand, zeichnete offiziell einzig Herta Müller verantwortlich für den Titel.

Wenn Bierbichler also in Holzschlachten. Ein Stück Arbeit – Idee und Konzept Bierbichlers – einen Text auf der Bühne spielt, der auf Gesprächen mit dem Auschwitz-Arzt Hans Münch und Monologen des Schriftstellers Florian List basiert, dann, ja dann hat Bierbichler die Frage nach dem „DARF MAN DAS?“ für sich mit einem Ja beantwortet. „Die Welt ist voll. Für einige immer ein wenig zu voll. Ich möchte mit diesem Münch-Text an eine gewesene Sprache erinnern. Dass man sich an sie erinnere, wenn in der Zukunft eine andere Sprache gesprochen wird, die das Gleiche meint“, so sagt Bierbichler in der Pressemappe zur Produktion.

Es ist dies ein Zeugnis in einer Zeit, in der die Zeitzeugen bald fehlen werden; eine Art von Zeugnis, die wohl bald die einzige Vergewisserung historischer Wahrheit sein wird.

Wenn die von Bierbichler dargestellte Figur Sätze sagt wie „ob moralisch oder unmoralisch – das ist der Dienst“, „die Endlösung wurde als human empfunden“, „es gibt moralisch unqualifizierte Rassen“, „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps“ oder „ich saß da wie die Made im Speck“, wenn Bierbichler in seinem Großväterchenerzählsessel immer wieder aufstoßend sein Bier trinkt, wenn er sich gegen Ende des Stücks vollkommen entblößt auf seinen selbst errichteten Scheiterhaufen legt und ruft „Ich bin das Opfer“, wenn er die Bäume im Wald selektiert und eliminiert – mag der Vergleich auch ein erzwungener sein und sicherlich die Frage der Angemessenheit aufwerfen – wie die Menschen im Konzentrationslager, dann ist er in seiner Tötungs- und Verwaltungmaschinerie, seiner Obrigkeitshörigkeit und seiner Unfähigkeit zu selbstständigem Denken, seiner Selbstzufriedenheit und seinem kompletten Fehlen an Zweifeln für einen Menschen zu wenig und für ein Monster zu viel. Nicht dämonisch, nicht abgrundtief schlecht, kein Jago – er ist schlicht die Banalität des Bösen, wie Hannah Arendt es in ihrem Bericht zum Eichmann-Prozess in Jerusalem formulierte.

Wenn Bierbichler vor einer Kulisse selbst gefällter Baumstümpfe sitzt, die je nach Beleuchtung an Grabmäler oder an die Stelen des Mahnmals in Berlin erinnern, wenn er als Angeklagter frontal vor dem Publikum wie einem Gericht diesen Text spricht und lebt, wenn er, Ausschnitte aus Lists Text, die Schuldgefühle als Heimsuchung das Schlimmste nennt und am Ende doch sagt, dass es den Glauben nicht gebe, sondern ausschließlich die „primitive Bedürfnisbefriedigung“, dann ist das ein großartiger Theaterabend und ein so erschütterndes wie quälendes Zeugnis.

Foto: Berliner Schaubühne

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