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Eine Handvoll Mut: Unterwegs mit einem Klimaaktivisten zur IAA

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Florian Henig lässt sich oft beschimpfen, wird immer wieder festgenommen. Denn er kämpft für eine andere Klimapolitik. Dafür klebt er sich auch auf die Straße. Spaß macht ihm das nicht, sagt er. Auf der Automesse in München will er richtig stören, entscheidet sich dann aber anders.

Dieser Text erschien zuerst und in voller Länge im Mucbook #21 zum Thema Mut.

Zur Protestwoche kommt Florian Henig mit einem Fahrradanhänger voller Taschen. Wo sonst seine Kinder sitzen, hat er jetzt Ausrüstung für den Protest gegen die Internationale Automobil-Ausstellung (kurz: IAA) in München. In ausgelatschten Turnschuhen schiebt er seinen Wagen auf das „Mobilitätswendecamp“, ein Zeltdorf von Klimaaktivist*innen im Luitpoldpark. Auf seiner Bauchtasche ist eine Sanduhr – das Symbol von Extinction Rebellion. Eine Gruppe, die für mehr Klimaschutz kämpft und dafür etwa Straßen blockiert. „Zivilen Ungehorsam“ nennen die Teilnehmenden das. Andere nennen es kriminell.

Bereits vor der IAA-Messe wurden 27 Aktivist*innen in Präventivhaft genommen

Und das bekommt Henig zu spüren, wenn er protestiert: Passant*innen pöbeln, Politiker*innen schimpfen und Polizist*innen verhaften. Sie nehmen ihn als „böse“ wahr, sagt der 35-Jährige. „Es macht keinen Spaß, sich den Anfeindungen auszuliefern.“ Trotzdem tut er es immer wieder. Es ist der erste Montag im September, in drei Tagen will er sich festkleben. „Wenn ich bis dahin noch auf freiem Fuß bin.“ Bereits vor der IAA-Messe wurden 27 Aktivist*innen in Präventivhaft genommen. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann hat außerdem angekündigt, im Rahmen der IAA konsequent gegen Straftaten vorzugehen. Henig will schon vor dem offiziellen Beginn der Messe protestieren. Der Plan für Dienstag: Mit einer Menschenkette stören.

„Vieles, was die Menschheit vorangebracht hat, wurde auch durch Mut ermöglicht“

Was Henig macht, ist mutig. Davon ist die Philosophin Prof. Dagmar Borchers überzeugt. Sie forscht an der Universität Bremen zu Tugendethik. Mut hat aus ihrer Sicht, wer sich überwindet, Unangenehmes in Kauf zu nehmen, um für die eigenen Überzeugungen einzustehen. „Vieles, was die Menschheit vorangebracht hat, wurde auch durch Mut ermöglicht“, sagt Borchers. Politik, Wissenschaft, Gesellschaft verändern sich durch mutige Menschen, so ihre Auffassung. Dass auch Klimaaktivist*innen wie Henig mutig sind, ist für sie „eine ziemlich klare Sache“. Borchers spricht von den gefährlichen Aktionen selbst und sieht außerdem die generell große Kritik an den Protestierenden. Sich der zu stellen, sei auch eine Form von Mut.

Henig kommt am Protestcamp an

Noch bevor Florian Henig sein eigenes Zelt aufbaut, geht er in das von Extinction Rebellion. Am Biertisch sitzt ein Mann mit Jutebeutel auf dem Rücken und einer lila Fahne mit dem Sanduhr-Logo drauf. Neben ihm ein Mitstreiter in Latzhose und orangener Warnweste. Eine Frau sammelt alle Handys ein. Auf einem lässt sie Musik ablaufen und steckt alle in eine Metallbox. Die Gruppe hat Angst, von der Polizei abgehört zu werden. „Ich hab Pyro dabei“, sagt Henig.

Die beiden Herren von der Bank erheben sich und kommen begeistert auf ihn zu, als Henig etwa 20 Rauchfackeln aus seinem Fahrradanhänger holt. Zehn davon kommen auf den Tisch. An dem nehmen ein Dutzend Personen Platz. Henig trägt die Metallbox mit den Handys ganz an den Rand des Zelts. Sicher ist sicher.

Die Frau, die die Handys eingesammelt hat, heißt Susanne Pusch. Sie ist bei Extinction Rebellion, seit sich die Ortsgruppe in München vor vier Jahren gegründet hat. Pusch ist die Wortführerin und erklärt den Plan: Eine Menschenkette mit Banner vor dem Messegelände der IAA. Die Gruppe diskutiert über das „Aktionsbild“, überlegt also, wie sie mit ihrer Choreografie ihre Botschaft am klarsten transportieren kann. Oberkörperfrei? Mit Farbe beschmieren? Rege Diskussion.

„Mindestens drei plus“

Dann klären sie, wer sich wie beteiligen will. Wer sich für „Aktionsbereich eins“ meldet, unterstützt, wird aber nicht Teil der Menschenkette sein. Die Hälfte der Anwesenden ist mindestens zu Bereich zwei bereit. Sie wollen auf dem Gelände protestieren und auch dann bleiben, wenn die Polizei sie auffordert zu gehen. „Ich will nicht am ersten Tag schon für die ganze Woche eingesperrt werden“, sagt Pusch. Heißt: Sie will Aktionsbereich drei meiden, denn der bedeutet die Teilnahme an „außergewöhnlichen Aktionen des zivilen Ungehorsams“. Dazu gehören auch Straftaten, weshalb hier mit härteren Strafen und auch Haft zu rechnen ist. Dazu ist an diesem Tag nur Florian Henig bereit. Danach gefragt, antwortet er: „Mindestens, ich sage mal drei plus.“

Es geht los…

Treffpunkt am Tag nach der Diskussion ist ein Park nahe dem Messegelände. Henig kommt in Anzughose und noblen Schuhen. Auch die anderen haben versucht, sich schick zu kleiden, um nicht aufzufallen. In Zweiergruppen brechen sie auf, Abstand knapp zehn Meter. Henig steckt sich eine Rauchfackel in den Schritt und geht mit seinem Kollegen los. Sie schlendern, sprechen miteinander, gehen an einem Polizeiauto vorbei. Wenn sie jetzt kontrolliert werden, ist es für sie vorbei.

Der Beamte im Auto spielt auf seinem Handy. Sie erreichen das Gelände. Noch 200 Meter. Auch die Polizist*innen im zweiten Auto schöpfen keinen Verdacht. Am Ziel machen die Aktivist*innen einen mitgebrachten Koffer auf, nehmen das Banner und steigen in den See vor dem Eingang. Henig watet im knietiefen Wasser zu den anderen. Er nimmt sich schwarze Farbe aus einer Tube, schmiert sie ins Gesicht und stellt sich zu den anderen.

Dort zündet er die Rauch spuckende Pyrotechnik. Binnen Sekunden sind Kameras auf die Gruppe gerichtet. Die Aktivist*innen brüllen Parolen. Zum Beispiel: „What do we want?“ – „Climate justice!“ „When do we want it?“ – „Now“. Henig schreit mit, schaut stoisch in die Ferne. Kurz danach stehen Polizist*innen vor dem See. Mit Megaphon fordern sie die Gruppe auf, rauszukommen: Sie würden hier Hausfriedensbruch begehen. Die Protestierenden bleiben stehen und schauen erwartungsvoll nach draußen, halten weiter ihr Banner, auf dem steht: „Für wen wird hier Politik gemacht?“

Polizeiaufgabengesetz und Präventivhaft

Die Polizist*innen kommen nicht ins Wasser. Florian Henig und die anderen schreien weiter ihre Parolen. Nach fünf Minuten die zweite Aufforderung, rauszukommen. Nichts passiert. Irgendwann kommen die Aktivist*innen von selbst heraus. Henig wird als erster Richtung Polizeiauto abgeführt. „So ein Abschaum“, murmelt ein Passant im Vorbeigehen, während Henigs Personalien aufgenommen werden. Ob er verhaftet wird, ist noch nicht klar.

Am nächsten Abend sitzt Henig mit Kolleg*innen an einem Biertisch im Protestcamp. Aus dem Küchenzelt kommen Hunderte Teller veganes Curry. Essen dürfen alle, Beteiligung auf Spendenbasis. Bis zu 1.500 Menschen haben hier laut Veranstalter im Luitpoldpark ihre Zelte aufgebaut. Hier in München, was für Protestierende ein schwieriger Ort ist, wie Susanne Pusch erklärt. Vor fünf Jahren hat der bayerische Landtag trotz starker Kritik Veränderungen am Polizeiaufgabengesetz beschlossen. Damit dürfen Menschen bis zu zwei Monate präventiv eingesperrt werden, um sie von Straftaten abzuhalten. „Das schreckt natürlich total ab“, sagt Pusch von Extinction Rebellion. Ihre Ortsgruppe sei auch deswegen kleiner geworden. Ein anderer Grund: Einige machen inzwischen bei der Letzten Generation mit. Klare Aktionsform, hohes Risiko, viel Aufmerksamkeit – das ziehe an. Während die Gruppe den Alltag der Bevölkerung stört, setzt Extinction Rebellion häufiger auf kreative Aktionsbilder und geht öfter dorthin, wo sie die eigentlichen Verantwortlichen sieht – zum Beispiel auf der IAA.

Henig, Pusch und die anderen haben mit ihrem Protest am Messegelände auf sich aufmerksam gemacht: Sie haben es aufs Titelblatt der „Frankfurter Rundschau“ geschafft. Doch glücklich wirkt am nächsten Tag keiner. Bis zu vier Stunden hat die Polizei sie festgehalten. Danach haben sie ein Betretungsverbot für die Messe erhalten. „Die Maßnahme dient der Gefahrenabwehr“, so die Begründung der Polizei. Das trifft alle hart. Denn sie fürchten jetzt mehrere Tage Haft, wenn sie sich nicht daran halten. 

Für seine Überzeugung ist Henig bereit, ins Gefängnis zu gehen. Aber damit ist er an diesem Abend allein. Aus seiner Gruppe will sich am nächsten Tag niemand sonst festkleben im Messebereich der Münchner Innenstadt. Jetzt muss er überlegen, ob sich eine solche Aktion lohnt.


Text: Stefan Foag

Fotos: Ramon Brussog

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