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Jüdisch-muslimische Spuren in der Altstadt: ein Rundgang

Florian Kappelsberger

Was hat die Frauenkirche mit dem Felsendom in Jerusalem zu tun? Welchen Ursprung hat die Tradition der gigantischen Zelte auf dem Oktoberfest? Und woher hat das Türkentor seinen Namen?

Diese und viele weitere Fragen beantworten die Kultur- und Religionswissenschaftlerin Hannan Salamat und die Lehrerin Sapir von Abel mit einem Stadtrundgang, der Spuren von Islam und Judentum in München sichtbar machen will. Die Tour wurde im Rahmen von ausARTen erarbeitet; das jährliche Kulturfestival versteht sich als Stimme einer bunten, post-migrantischen Stadt und wurde in diesem Jahr mit dem Bürgerpreis für Demokratie ausgezeichnet.

Anhand von Wahrzeichen der Stadt, denen man nahezu jeden Tag begegnet, wollen die beiden ein Bewusstsein für die die Verwobenheit unterschiedlicher kultureller Einflüsse in München schaffen. “Wir möchten uns der Stadt von einer anderen Seite nähern”, erklärt Sapir. Wir nehmen Dich also mit auf diesen Rundgang, um einen neuen Blick auf die Münchner Altstadt zu werfen!

Gotteshaus und Ort der Begegnung

Startpunkt ist das Münchner Forum für Islam im Herzen der Altstadt, das zugleich Gebetsort und Raum der interkulturellen Begegnung ist. Moscheen haben eine bewegte Geschichte in München: In der Nachkriegszeit mussten für große Festgebete oft Gaststätten, Bierkeller und Kongresshallen angemietet werden, weil der wachsenden muslimischen Gemeinde entsprechende Räumlichkeiten fehlten. Im Jahr 1973 wurde in Freimann dann die erste Moschee der Stadt eröffnet, daneben entwickelten sich in ganz München sogenannte ‘Hinterhofmoscheen’.

Um die Jahrtausendwende entstanden neue Projekte in Pasing, Sendling und Penzberg. Schließlich wurde im Jahr 2007 auf Initiative des Imams Benjamin Idriz das Forum für Islam gegründet. Vor einigen Jahren plante der Verein den Bau eines modernen Gemeindezentrums in der Dachauer Straße, die Finanzierung des Projekts scheiterte jedoch. Damit bleibt das MFI in der Hotterstraße, wo nicht nur Gebete und religiöse Feste, sondern auch Ausstellungen, Vorträge und Konzerte stattfinden.

Kontinuitäten und Bruchstellen

Hannan und Sapir wollen mit ihrem Stadtrundgang einerseits auf Kontinuitäten von kulturellem Austausch und Pluralität in der Stadtgeschichte aufmerksam machen. Damit soll das Image des homogenen, ausschließlich katholisch geprägten München nuanciert werden. Andererseits müssen auch gewaltvolle Einschnitte und Bruchstellen sichtbar gemacht werden, von den antisemitischen Pogromen im Mittelalters bis hin zur Vernichtungspolitik des NS-Regimes.

Die nächste Station des Stadtrundgangs liegt deshalb an der Herzog-Max-Straße. Hier wurde im September 1887 die Alte Hauptsynagoge eingeweiht, die als Erfolg im Kampf für die Emanzipation der Münchner Jüd*innen galt. Als solches Symbol wurde sie von den Nationalsozialisten später angegriffen: Im Juni 1938 begann der Abriss des Prachtbaus, wenige Monate danach wurden während der Novemberpogrome im ganzen Land Synagogen beschädigt und in Brand gesetzt. Seit 1969 erinnert ein von Gedenkstein des Bildhauers Herbert Peters an das zerstörte Gotteshaus.

Zwischen Konflikt und Faszination

Daneben sollen auch Bezüge auf islamische Kultur in der Stadt in ihrer Komplexität begriffen werden. “Viele wissen nicht, dass die Geschichte des Islam in München nicht erst mit Gleis 11 und den sogenannten ‘Gastarbeiter*innen’ angefangen hat”, so Hannan. Einige dieser Spuren gehen auf die Türkenkriege im 17. Jahrhundert zurück: Noch heute erinnern Orte insbesondere in Schwabing und der Maxvorstadt an Schlachten oder Bauvorhaben, vom Türkentor bis zur Belgradstaße. Auch die Geschichte des Oktoberfests ist indirekt damit verknüpft: Der Kurfürst Max Emanuel hatte ein türkisches Audienzzelt erbeutet, das im Jahr 1810 zur festlichen Hochzeit zwischen Kronprinz Ludwig und Therese aufgestellt wurde – und damit die lange Tradition der Wiesn-Festzelte begründete.

Die Stadtführerinnen werfen auch einen kritischen Blick auf Phänomene wie die ‘Türkenmode’. In Folge der Osmanenkriege entwickelte sich an vielen Orten Europas eine starke Faszination für das Fremde: Orientalische Kostüme wurden zu einer Modeerscheinung am bayerischen Hof, verschleppte Kinder und Kriegsgefangene mussten als Kammerdiener für reiche Münchner*innen arbeiten. Dieses Bild des exotischen Anderen habe aber wenig mit der Realität gemeinsam, sondern sei vor allem ein Fantasieprodukt. “Es geht auch darum: Wie stellte man sich den Orient vor?”, führt Sapir aus.

Panorama der Stadt Jerusalem in der Reisechronik von 1486 (© MET / CC)

Jerusalem am Münchner Horizont

Auch bereits viel früher finden sich Einflüsse von Judentum und Islam in der Architektur. Wir setzen unseren Rundgang an einem der markantesten Wahrzeichen der Stadt fort: die Frauenkirche mit ihren einzigartigen Hauben. Dabei wissen selbst viele Münchner*innen nicht, dass der Ursprung dieser Kuppeln tausende Kilometer entfernt liegt. Der Entwurf ist inspiriert von einer Zeichnung aus dem Reisebericht eines Mainzer Bischofs, der im 15. Jahrhundert nach Jerusalem gepilgert war.

Vorbild der Zwillingstürme sollte der antike Tempel Salomons sein, ein Verweis auf das biblische Versprechen eines Neuen Jerusalem. Tatsächlich handelt es sich bei dem Kuppelbau allerdings um den Felsendom, eines der bedeutendsten Heiligtümer des Islam. Durch dieses Missverständnis ziert die Silhouette des Tempelbergs bis heute den Horizont unseres Millionendorfs an der Isar.

Doch die Türme der Frauenkirche sind nicht der einzige Anklang der Heiligen Stadt in München. Unser Rundgang endet mit der Synagoge Ohel Jakob, deren raue Steinfassade viele Besucher*innen an die Klagemauer in Jerusalem erinnert. Das Gotteshaus wurde im Jahr 2006 eröffnet und dient als Zuhause der Israelitischen Kultusgemeinde. In unmittelbarer Nähe finden sich zudem das Jüdische Museum, ein Gemeindezentrum und das Einstein, ein koscheres Restaurant.

So schlägt die Tour einen Bogen vom Forum für Islam bis zur Synagoge am Jakobsplatz – die beiden Herzstücke des muslimischen und jüdischen Lebens im München der Gegenwart.

Ein neuer Blick auf die Stadt

Zweimal wurde dieser Stadtrundgang schon angeboten und stieß auf großes Interesse. Das Publikum sei sehr vielfältig, erinnert sich Sapir – ob jung oder alt, Kinder der Stadt oder Neu-Münchner*innen. Selbst Menschen, die jeden Winkel der Isar-Metropole zu kennen glauben, seien oft erstaunt und könnten viel Neues lernen. Hannan und Sapir würden sich also freuen, die Tour weiterhin anzubieten. Als Ehrenamt neben dem Vollzeitjob wie bisher sei dies aber nur sehr bedingt möglich.

Langfristig hoffen die beiden deshalb, mit Akteur*innen wie dem Stadtmuseum und der VHS zusammenzuarbeiten, um dem Rundgang einen institutionellen Rahmen zu verleihen. So könnte man das Konzept auch weiterzuentwickeln, etwa mit anderen lokalen oder zeitlichen Schwerpunkten. Auch den digitalen Raum sehen die beiden als Chance: Mithilfe einer interaktiven Karte Münchens ließe sich die Geschichte der Stadt beispielsweise für jede*n erfahrbar machen.

Sapir und Hannan unterstreichen, dass es ihnen nicht darum gehe, Anderes oder “Fremdes” zu zeigen – sei es der Islam, das Judentum oder ein vages Konzept wie der Orient. Vielmehr wollen die beiden Münchnerinnen auf die eigene Stadt zu blicken und eine kulturelle Pluralität sichtbar machen, die bisher oft unsichtbar bleibt. “Das ist auch Münchner Geschichte”, betont Hannan.


Titelbild: Daniel Seßler via Unsplash

Fotos: © Belmin Mehic; Hannan Salamat / Sapir von Abel

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