Sticker auf einem Laptop: Total im Trend
Aktuell, Leben

Status: Ich (k)lebe, also bin ich

Barbara Manhart

In München tingeln zig Student*innen in diverse Cafés mit Internetzugang und toleranten Besitzer*innen, um an Hausarbeiten, Präsentationen und Lektüre zu arbeiten. Immer dabei: Ihre Laptops. Schaut man sich diese genauer an, stellt man eines schnell fest: Die Zeiten, in denen ein angebissener Apfel als Statussymbol hergehalten hat, sind offenbar vorbei. An seine Stelle ist etwas Anderes getreten: Sticker.

Eine Artenvielfalt wie im Amazonas: Sticker im Großstadtdschungel

Auf manchen sind Zeichnungen oder Grafiken mit Text versehen. Manche zeigen nur einen Schriftzug. Rund wie ein Rad, gelber Untergrund, blaue Schrift: Die Sticker für den Radentscheid. Alls sind sie auffallend unterschiedlich. Gegensätze gibt es auch in den angesprochenen Themen von Stickern. Fußball, Indie-Musik, Ernährung, Umweltschutz. Einer titelt: „Jetlag mich doch am Arsch – ohne Flugzeug unterwegs“. Ein klares Statement. Sticker werden von Künstler*innen, Parteien und Firmen designt und hergestellt, von den gleichen und noch vielen mehr genutzt. In der Folge findet man sie überall: Auf technischen Geräten, Straßenlaternen, Autos. Nicht zu vergessen der Umschlagsort Nummer eins: Toiletten von Bars und Cafés. Eines haben sie alle gemeinsam:                       Sie stellen eine Kommunikationsform dar. Eine kurze, bündige, ohne verbale Elemente auskommende Ausdrucksform. Eine Ausdrucksform, die seit mehr als einem Jahrzehnt boomt.

Woran liegt das?

Klar, Sticker sind nicht so kostenaufwändig, wie große Plakate, die sich für Litfaßsäulen eignen. Gerade für kleine Geschäfte oder Künstler*innen ist es oft billiger auf diese Art und Weise Werbung zu machen. Zumal sie durch ihre geringe Größe auch nicht so aufdringlich sind, wie ein 2×3 Meter Plakat. Und die Fläche, die man sonst für das Bekleben anmieten müsste, spart man sich durch Sticker auch gleich noch. Das Anbringen in der Öffentlichkeit ist zwar eigentlich illegal, aber gerade in Großstädten wie München wird an dieser Stelle kaum etwas strafrechtlich verfolgt. Die Flut der Sticker würde es ja auch schwer machen, jede*n der einige davon anbringt zu belangen. Zumal das schwer nachvollziehbar ist.

Sticker – Ein Armutszeugnis?

Ein anderer Grund, aber mit dem gleichen Effizienzgedanken im Hinterkopf, ist ebenfalls denkbar: Wir haben wenig Zeit, sind kurz angebunden und beschränkt aufnahmefähig. Aus Gründen, die genauso vielfältig sind wie die Sticker. Überarbeitung, Überinformation, Überforderung… Auf jeden Fall zu viel. Kein Mensch würde an der Ampel zwanzig Zeilen Text lesen. Oder extra deswegen stehen bleiben. Aber einen knappen Zweizeiler, den liest man auch mal im Vorübereilen. Nachteil des Ganzen: Alles ist vollgeklebt und nachhaltig sind sie meistens auch nicht.

Sind Sticker etwas Schlechtes?

Nein. Sticker mögen vielleicht hauptsächlich Dinge vermarkten. Eine Veranstaltung, eine Dienstleistung, ein Produkt. Letztendlich sind sie unserem heutigen Lebensstil angepasst. Nicht was den Inhalt betrifft – der ist schon seit jeher ähnlich – aber die Aufmachung ist neu. Früher wurde Werbung über Litfaßsäulen gemacht, heute eben über Sticker. So entwickeln sich Dinge. Sticker sind aber gleichzeitig auch für viele private Personen eine Ausdrucksform ihrer Gedanken, Gefühle und Einstellungen. Gerade wenn man die Sticker nicht ins nächste Klohäuschen, sondern auf den Laptop klebt. Das ist super, denn so können alle ihre Meinung auch dann ausdrücken, wenn sie nicht reden wollen oder können. Ein bisschen, wie als würde man ein Demoschild in die Höhe recken.

An sich toll. Auf den zweiten Blick stellt sich hierbei die heutzutage so relevante Frage: wo die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem gezogen wird. Das Problem kennt man ja schon von Social Media. Mit dem feinen Unterschied, dass man wohl eher selten einen Sticker von sich in Unterwäsche auf einen Laptop klebt. Aber warum eigentlich nicht? Einen großen Unterschied würde es nicht machen. Die meisten Sticker haben dann aber doch eher einen gesamtgesellschaftlichen Bezug. Nur auch bei diesen Dingen – oder gerade bei diesen – braucht es dringend Reflexion. Es wäre nicht verwunderlich, wenn irgendwann eine rechte Partei Sticker mit linksorientierten Sprüchen drucken würde und niemandem würde dieses Paradoxon auffallen, weil alle so begeistert dabei sind, die Gegend und Gegenstände mit der wichtigen Botschaft zu verkleben. Tragisch, aber wahr: Häufig sind die Statements einem Post auf Instagram, in ihrer Funktion der Repräsentation einer Scheinwelt, relativ ähnlich. Denn wenn ein Sticker aus Plastik und Papier für Zero Waste wirbt,  hat das schon was von Doppelmoral, oder?

Erst denken, dann kleben.

Also das nächste Mal, wenn du auf einem Event einen Batzen Sticker mit ultratollen Sprüchen in die Hand gedrückt bekommst: Anhalten. Innehalten. Nachdenken. Und dann kleben.


Beitragsbild: © Photo by JASUR JIYANBAEV on Unsplash

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