Handschuh auf einem Poller, Foto: © Martin Liebl
Aktuell, Fotobook, Kultur

Warum tust du das? Mit dem Fotografen Martin Liebl

Jan Krattiger

Seine Bilder zeigen München, wie man es selten sieht. Fernab von den instagrammable pathosschwangeren Sonnenuntergängen an der Isar oder den epischen Blicken auf die Altstadt, zeigen die Fotos von Martin Liebl ruhige, meist menschenleere Alltagsmomente. Skurrile Kleinigkeiten am Wegesrand, augenzwinkernde und unglaubliche Zufälle, die oft auch eine stille Schönheit ausstrahlen.

Diese Bilder aus seinem Viertel, oder seinen Vierteln besser gesagt, hat Martin nun in einem Buch in Eigenregie veröffentlicht.

Grund genug für uns, ihm mal ein paar Fragen zu stellen:

MUCBOOK: Was hat dich dazu bewogen, ein Fotobuch mit Bildern aus deinen Vierteln Sendling und Thalkirchen zu veröffentlichen?

Martin Liebl: Es ist irgendwie einfach “passiert“ indem ein paar Dinge zusammengekommen sind. Direkt auf der ersten Seite des Buches schicke ich ja einen „besonderen Dank” an Depression und Pandemie für ihren Beitrag an der Entstehung des Buches. Es war Ende April 2020, im ersten Lockdown nach Ausbruch der Pandemie, als mir auf dem Weg zum Falafel-Imbiss meines Vertrauens „Beirut Beirut“ die Idee kam, etwas in gedruckter Form über meine Wohngegend veröffentlichen zu können.

Ich hatte neun Monate zuvor, ausgelöst durch eine starke Depression, meinen eigenen Lockdown (ohne dass das Wort schon irgendwie in meinem oder dem allgemeinen Bewusstsein präsent war). Während dieser Zeit war nicht arbeitsfähig, eigentlich nur zu Hause und wenn ich meine Wohnung mal verliess, war ich meist auf Spaziergängen in beiden Vierteln unterwegs. Oft mit der Kamera, und so hatte ich, ohne große Hintergedanken, über diese Zeit schon relativ viel Bildmaterial gesammelt. Im April 2020 war ich aus dem Gröbsten raus und hatte gelernt, mit der Depression umzugehen. Als mir auf dem Weg zur Falafel plötzlich auffiel, wie sehr sich die Situation der Allgemeinheit meiner Situation in der Zeit vor der Pandemie ähnelte.

Unterschiedliche Auslöser, aber sehr viele Parallelen. Radius runter, daheim bleiben, maximal Spazieren gehen, große Verunsicherung und Ungewissheit. Same same, but different. Mit der Erkenntnis war die Idee da, so etwas wie ein Zine zu machen. Nach einer ersten Sichtung des Bildmaterials merkte ich: Da ist eine Basis vorhanden, aber die ist mir noch nicht stark genug. Ich bin dann einfach weiter Spazieren gegangen und habe mehr Bildmaterial gesammelt. Die erste Idee entwickelte sich dann auf den weiteren Spaziergängen, bei denen ich weiter Bildmaterial sammelte, in meinem Kopf Stück für Stück weiter. Als ich dann im Herbst 2020 genug Bildmaterial hatte, war aus der ersten Idee eines Zines dann ein Buch geworden.

Was macht die Viertel Untersendling und Thalkirchen so besonders?

Alles und nichts. Ich kann Dir jetzt natürlich von den vielen guten Essensmöglichkeiten in Untersendling & Thalkirchen schreiben, dem vielen Grün und die Nähe zur Isar, dem hohen Anteil an Genossenschaftswohnungen, der die Gentrifizierung etwas stärker bremsen mag als in anderen Münchner Vierteln, und vielen anderen Dingen. Aber aus fotografischer Perspektive ist das nichts was zählt, ich habe ja nichts „Besonderes“ fotografiert. Ich habe Banales und Alltägliches eingefangen, was sich auf den ersten und auch den zweiten Blick gar nicht diesen oder irgendeinem Vierteln zuordnen lässt. Vieles sind “Nicht-Orte“, also Stellen und Plätze an denen man im Alltag dran vorbeiläuft und gar keinen Grund sehen würde, sich diese länger anzuschauen oder länger dort zu verweilen. Würde ich z.B. in Giesing oder Haidhausen wohnen, dann wäre das Buch denke ich genau so entstanden. Es würde dann halt anders heißen, den alten Postleitzahlen der Viertel entsprechend, also 8000 München 90 für Giesing oder 8000 München 80 für Haidhausen.  

Du sprichst in einem Buch an, dass zwei verschiedene Lockdowns dich beeinflusst haben, ein privater und sozusagen ein externer durch die Coronamaßnahmen. Hat Fotografie für dich auch eine therapeutische Wirkung?

Keine Frage, Fotografie hat für mich definitiv auch eine therapeutische Wirkung. Ich verliere mich sehr gerne darin. Ich denke, man kann das für künstlerische und kreative Dinge im Allgemeinen sagen. Denn auch das Schreiben der Buchtexte, das Gestalten und Layouten waren für mich von therapeutischer Wirkung. Therapie bedeutet ja auch, sich mit Schmerzen und Hürden auseinander zu setzen und im besten Falle gestärkt daraus heraus zu kommen. Kreatives, künstlerisches Arbeit bedeutet für mich auch immer Auseinandersetzung mit mir selbst. Diese Arbeit und ihre Ergebnisse schaffen etwas von Wert für den Kreativen selbst und oft auch für andere Menschen, wobei ich es wichtig finde hier nicht von Wert im materiellen Sinne zu sprechen.

Die Bilder wirken sehr minimalistisch und zurückhaltend, es sind sehr wenige Menschen nur zu sehen. Ist das eine bewusste Entscheidung oder hatte das auch mit den Umständen zu tun, also dass die Corona-Maßnahmen das Stadtbild verändert haben?

Spannende Frage. Es hat sich so ergeben. Und unterbewusst mag es sicherlich ein bewusste Entscheidung gewesen sein. In meinem privaten, durch die Depression bedingten Lockdown, war ich ja meist Spazieren zu Zeiten, in denen der Rest der Menschen in der Arbeit war. Und da es in meinem Kopf eher laut war, habe ich jetzt auch nicht direkt Orte gesucht, an denen viele Menschen sich aufhalten. Es gibt von Minor White das Zitat „All photographs are self-portraits.“ Ich finde das einen sehr interessanten Gedanken. Viele Fotos sind natürlich auch ein Spiegel meines Gemütszustandes an bestimmten Tagen. Als die Corona-Maßnahmen dann das Stadtbild veränderten, war an bestimmten Orten (vor allem an der Isar in Thalkirchen) sehr viel mehr los als vor Corona, weil es eben nur noch die Option für Sport und Spaziergänge gab. Da bin ich dann natürlich auch eher die weniger besuchten Wege gegangen oder an andere Orte hier gegangen oder habe an anderen Plätzen verweilt.

Vielleicht eine fiese Frage: Hast du ein Lieblingsbild in dem Buch?

Ja, das habe ich. Es ist das Bild an der Bushaltestelle, in dem die kopflose Schaufensterpuppe im dunkelroten Priestergewand im Haus dahinter mit erhobenen Armen über dem kaputten, ebenfalls dunkelroten Regenschirm steht, der vor dem Mülleimer der Bushaltestelle liegt. Darum liebe ich die Strassenfotografie so sehr: Man zieht umher, sucht nichts, und bekommt etwas völlig Unerwartetes als Motiv geschenkt, das auf so vielen Ebenen wirkt.

Hast du allgemein einen Lieblingsort in München?

Als gebürtiger Münchner habe ich sehr viele verschiedene Lieblingsorte in der Stadt. Die variieren auch immer je nach Jahreszeit, Wetter und Stimmung. Um ein paar zu nennen: Untersendling & Thalkirchen natürlich. Ich liege gerne in der Hängematte an einem ruhigen Fleck an der Isar, wenn es das Wetter zulässt. Bei schlechtem Wetter in Herbst und Winter gehe ich gern sonntags in die Pinakothek der Moderne zum Fotografieren. Da ist immer was los und der Ort ist einfach der perfekte Spielplatz, um sich mit der ein Kamera auszutoben. Ich liebe das libanesische Essen und die entspannten Imbissatmosphäre im Beirut Beirut und Manouche hier in Untersendling. An nebligen Herbst- und Wintertagen gehe ich auch gerne mal in die Fröttmaninger Heide im Münchner Norden. Die Weitläufigkeit und Ruhe dort gefallen mir sehr. Lieblings-Sightseeing-Spot mit auswärtigen Besuchern: Hoch auf den Alten Peter am Marienplatz. Geringes Eintrittsgeld und viele Treppenstufen für die schönste Aussicht über die Stadt. 

Arbeitest du schon an einem nächsten Projekt?

Obwohl ich immer noch ganz gut beschäftigt bin, mich um 8000 München 70 zu kümmern, bin ich (wie jeder, der viel fotografiert) natürlich immer am Bildmaterial sammeln und dabei, diverse Ideen auf Papier zu bringen. Ich bin selbst gespannt was die nächste wird. Definitiv würde ich sehr gerne noch eine Ausstellung für 8000 München 70 realisieren, was aber in Zeiten von Corona sehr schwierig ist, weil eigentlich nichts bis wenig planbar ist. Und weil viele Orte einen „Ausstellungsstau“ haben, weil durch die Pandemie natürlich eine Menge Ausstellungen auf Halde oder auf irgendwann später vertagt werden mussten. In gedruckter Form kann ich mir sehr gut vorstellen, wieder etwas über München zu machen. Mich interessiert dieses Spannungsfeld über die Wahrnehmung der Stadt von außen als ein aufgeräumter, sauberer, elitärer Ort und den Gegensätzen dazu, die definitiv dazu existieren. Ich sammele einfach immer weiter Bildmaterial im Alltag und dann ist es vielleicht irgendwann soweit. 

Ist die Fotografie für dich ein Hobby oder verdienst du damit auch dein Geld?

Es ist mehr als ein Hobby geworden, eine richtige Leidenschaft. Das Medium fasziniert mich unglaublich und selbst wenn ich nicht am Fotografieren bin – mein Kopf ist eigentlich immer damit beschäftigt. Ich habe in ihr das für mich passende Medium gefunden, mit dem ich mich kreativ und künstlerisch am Besten auszudrücken kann.  Und so hat sich dann auch ergeben, das ich einen kleinen Teil meines Geldes damit verdiene. Ich fotografiere (wie so viele) auch Hochzeiten, aber unter dem Motto „Kein Hochzeitsfotograf“ völlig konträr zu dem, was sonst so in diesem Feld üblich ist. Ich bin absolut dokumentarisch unterwegs, wie in der Straßenfotografie und fotografiere was passiert, ohne etwas zu inszenieren oder einzugreifen. Ich bin der festen Überzeugung, dass an solch wichtigen Tagen alle sie selbst und bei sich selbst bleiben sollen und nicht in feste Klischees gepresst gehören, denen sie und ihre Feier nicht entsprechen. Die Leute, von denen ich gebucht werde, wählen mich genau deswegen und feiern beim Erhalt der Bilder immer das Ergebnis ab, weil sie halt keinen Hochzeitsfotografen gebucht hatten. Ich besetze da sozusagen eine „kleine Nische in der Nische“ und fotografiere so ein paar Hochzeiten pro Jahr, die hauptsächlich über Empfehlungen zu mir kommen.

Wo findet man dich?
Meine Dokumentar- und Straßenfotografie und alles zu 8000 München 70 findet man unter www.martinlieblphoto.com. Dort kann man im Webshop auch das Buch sowie ausgewählte Fine Art Prints bestellen.

Falls jemand noch auf der Suche nach einem Fotografen für (s)eine Hochzeit ist und keinen Hochzeitsfotografen dabei haben möchte, findet mich unter www.keinhochzeitsfotograf.de

Wer meinem fotografischen Treiben auf Instagram folgen möchte, kann das hier tun:

Herzlichen Dank für die Plattform hier und das Interview. Stay dirty, München!

Dem können wir uns nur anschließen 🙂


Beitragsbild: © Martin Liebl

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